Gerhard Bäßler ist ein Mann, der mit dem Reagenzglas Gerechtigkeit schafft.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Hochdorf - Stuttgart - Bei Gerhard Bäßler hat das Wort Blutspur einen doppelten Sinn. Denn als er vor mehr als 30 Jahren im Landeskriminalamt anfing, konnte man lediglich die Blutgruppe bestimmen, um einem Mörder auf die Spur zu kommen. Damals war er ein junger promovierter Biologe, den das ungewöhnliche Feld der Kriminalistik reizte. Und heute? Ein Jahr vor der Rente – wenn er nicht verlängert – leitet Bäßler eine Abteilung mit fast 60 Mitarbeitern, und wenn eine DNA-Spur auf einen Täter zeigt, dann ist es beinahe eine übermächtige Beweisspur.

 

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine DNA-Untersuchung irrt, liegt bei eins zu 23 Billiarden. Oder anders herum ausgedrückt: In einem von 23 Billiarden Fällen liegt die Polizei bei der DNA falsch. Bei 4800 Anfragen jährlich, die das Gebäude in der Stuttgarter Taubenheimstraße erreichen, dürfte es also noch eine Weile dauern, bis die Fahnder ihr Wahrscheinlichkeitskontingent voll ausgeschöpft haben. Die unerhörte Beweiskraft, die DNA-Spuren damit haben, verpflichtet die Mitarbeiter aber auch zu besonderer Sorgfalt.

In der Asservatenkammer weht Schreibstubenluft. Es riecht nach Pappe und Leim. In den Kartons liegen Kleidungsstücke und Tatwerkzeuge – Gegenstände, auf denen DNA-Spuren haften können. Sie werden von den Ermittlern nach Stuttgart geschickt und warten auf eine Untersuchung. Wenn die Zeit drängt, können die Ermittler innerhalb von vier Stunden eine DNA-Untersuchung abschließen. Gerhard Bäßler ist ein besonnener Mann. Er lässt in seiner Abteilung keine Hektik aufkommen, nicht nur, um die Mitarbeiter zu schützen. Denn in der Hektik passieren Fehler, und die darf es in der DNA-Analyse nicht geben.

Besonders eilig sind natürlich jene Fälle, in denen der Täter flüchtig ist. Zu Beginn der Ermittlungen trifft sich dann auch eine zehnköpfige Konferenz von Experten, die den Fall diskutieren. „Wir überlegen uns, welche Spuren vorhanden sind, aber auch, welche vorhanden sein könnten“, sagt Bäßler. Er versucht, den Ermittlern aus seinem Erfahrungsschatz Hinweise zu geben. „Bei einem Banküberfall beispielsweise kam der Vorschlag, den Tresen zu untersuchen, an dem der Räuber gelehnt hatte“. Weil dort jedoch großer Publikumsverkehr herrscht, hätten die Molekulargenetiker zu viele Mischspuren bekommen.

Vor den Glastüren der Untersuchungsräume steht „Betreten verboten.“ Die Mitarbeiter der DNA-Fahnder müssen besonders vorsichtig sein, um Verunreinigungen zu vermeiden. Auf dem Tisch liegt ein grünes Nachthemd – und auf einmal werden DNA-Spuren und ein Blutfleck zu einem Menschen, einer Tat, vielleicht einer Tragödie. Über konkrete Fälle spreche er nicht, sagt Gerhard Bäßler. Aber auch im Fall der ermordeten Freiburger Studentin habe das Landeskriminalamt ermittelt, wie in allen anderen Fällen auch. Mittlerweile ist das DNA-Verfahren eine Standard-Untersuchung, die bei nahezu jedem Verbrechen angewendet wird.

Die Entwicklung der Technik ist atemberaubend schnell gegangen in der Molekularbiologie. Bäßler erinnert sich daran, dass er früher einen Blutfleck brauchte, der mindestens so groß wie ein Geldstück war. Heute genügt ein wenig Hautabrieb. Möglich gemacht hat das eine Technik, die DNA vervielfältigen kann. Dazu wird zunächst die DNA, die ja das Erbgut einer Zelle trägt, aus der Zelle extrahiert, dann in kleine Sequenzen geteilt. Anfang und Ende werden mit Markierungsmolekülen gekennzeichnet.

In kleinen Brutkästen werden die Sequenzen vermehrt und dann über Kapillaren geschickt. Je länger eine Sequenz ist, desto länger dauert die Reise durch die Kapillare. Das ganze misst ein Laserdetektor, und der Computer setzt es dann in ein Schaubild um.

Weil die DNA ein so mächtiges Beweismittel ist, versuchen Verteidiger in Prozessen immer wieder einen Weg zu finden, der das Ergebnis erschüttern könnte. Könnte die DNA- Spur nicht auch auf anderem Weg an diese oder jene Stelle gekommen sein, ohne dass sie mit der Tat in Zusammenhang steht? Das wird Gerhard Bäßler oft gefragt. In einem Mammutprozess musste er einen ganzen Tag lang der Verteidigung Rede und Antwort stehen.

Anhand der DNA ließe sich auch ein Täterprofil erstellen. Das ist in Deutschland nicht erlaubt, deswegen hat das Landeskriminalamt auch die Geräte nicht. Die Genetiker in Stuttgart haben da kaum juristische Bedenken: „Wir könnten ja nur das bestimmen, was auch ein Zeuge gesehen haben könnte“, erklärt Bäßler. In anderen europäischen Ländern wie Schweden sei diese Art der Untersuchung bereits erlaubt.

Denkt man beim Arbeiten an die Opfer? Ja, gesteht Bäßler. „Ich glaube schon, dass die Möglichkeit, Gerechtigkeit zu schaffen, unser Team motiviert“, sagt Bäßler. Denn auch für ihn geht es darum, die Welt ein bisschen besser zu machen, einen Täter zu finden, oder darum, einen Verdächtigen von einer Beschuldigung reinzuwaschen. Jetzt am Ende seiner Berufszeit und dem Ruhestand in Hochdorf überprüft er möglichst viele alte Fälle mit den neuen Methoden der Genetik, um vielleicht doch noch zur Aufklärung beizutragen. Dabei denkt er auch an die Angehörigen: „Dann können die Familien damit abschließen.“