Ecuador entsprach dem Klischee eines Exportlandes. Präsident Raffael Correa will das ändern. Eine Milliarde Doller stellt er zur Verfügung, eine Universität auf internationalem Spitzenniveau zu gründen. Ein Besuch auf der Baustelle.

Stuttgart / Yachay - Es ist fantastisch, es ist ein Traum“, sagt Daniel Larson, „aber ohne Träume gibt es keine Realität“. Auf so einen Satz wäre man vielleicht in einer Strandbar voller altgewordener Hippies gefasst. Aber Larson hatte bis vor kurzem eine leitende Funktion an der Pennsylvania State University mit fast 100 000 Studenten und vier Milliarden Dollar Jahresetat inne. Jetzt sitzt er in seinem großen, nüchternen Büro, und das einzige, was man als traumhaft bezeichnen könnte, ist der Ausblick aus seinem Fenster auf einen lichten Park, hinter dem die Höhen der Anden in den Himmel ragen, gekrönt vom Schneegipfel des Vulkans Cayambe.

 

„Als ich zum ersten Mal mit denen von der Regierung zusammensaß“, erzählt Larson, „da hieß es, hören Sie, es geht nicht nur darum, eine neue Universität zu gründen, sondern darum, ein Land zu verändern!“ Diesen Traum von der Veränderung des Andenlandes Ecuador hält der hagere Amerikaner für machbar: „Wir werden eine Weltklasse-Universität aufbauen.“

Yachay bedeutet in Quechua „Wissen“

Ecuador ist bisher eine klassische rohstoffabhängige Volkswirtschaft. Deshalb hat Präsident Rafael Correa, ein linker, in Belgien und den USA ausgebildeter Ökonom, die Devise ausgegeben, das Land müsse seine „Produktionsmatrix verändern“. Und so kommt es, dass für die Gründung einer auf naturwissenschaftliche Spitzen-Forschung ausgerichteten Elite-Universität eine Milliarde Dollar zur Verfügung stehen. Yachay, das bedeutet „Wissen“ in der Indianersprache Quechua. Dass diese Vokabel zusammen mit der englischen Silbe Tech den Namen der Uni ergibt, ist natürlich Programm. Denn was sollte Ecuador den Übergang zu einer Wissensgesellschaft eröffnen, wenn nicht die Rückbesinnung auf eigene Kräfte und deren Anwendung in der globalisierten Wissenschaft und Technologie.

Von Ecuadors Hauptstadt Quito fährt man keine zwei Stunden in die Provinzstadt Ibarra, dann windet sich ein Landsträßchen weitere 23 Kilometer den Hang hoch. Es ist ländlich. Die ehemalige Zucker-Hacienda San José samt Herrenhaus und Wirtschaftsgebäuden ist der Kern von Yachay. Hier stehen die ersten Labore, die modernen Dozenten-Häuser, die Bibliothek, der piekfein renovierte Verwaltungstrakt, in dem Larson arbeitet. In der Nähe ist das erste Studentenwohnheim fertig, über dem Rohbau des Audimax ragen Kräne in den Himmel.

Das Meiste gibt es bisher nur auf Papier

Aber die 280 Hektar für die Hochschule sind nur ein kleiner Teil der „Wissensstadt Yachay“, die vorerst weitgehend nur auf dem Papier steht. Denn was die Forscher an der Uni austüfteln, soll sich mit den Arbeiten privater und staatlicher Forschungs- und Entwicklungslabore verflechten.

„Ich finde den Fokus auf Forschung und Anwendung gut“, sagt Jorge Vega, 18, der im ersten Semester Mathematik studiert. Wie alle seine Kommilitonen in Yachay hat er die Schule mit Spitzennoten abgeschlossen. Wie alle Anfänger macht er vier Semester Grundstudium, unter anderem auch, um die Uni-Sprache Englisch richtig zu lernen. Erst dann verzweigen sich die Karrieren an fünf naturwissenschaftliche Fakultäten: Mathematik, Biologie, Chemie, Physik und Geologie; hinzu kommt ein betriebswirtschaftlich ausgerichteter Fachbereich. Was Yachay Tech von anderen Unis unterscheidet? „Dass hier die Ausbildung nicht Berufsausbildung ist, sondern auf den Wandel der Produktionsmatrix zugeschnitten ist“, antwortet Jorge.

„Die Formulierung von der Produktionsmatrix ist natürlich schon ziemlich hoch angebunden“, räumt Andreas Griewank ein. „Für mich ist das primäre Ziel, erstmal eine gute Universität zu etablieren.“ Griewank war Direktor des Instituts für Mathematik der Humboldt-Universität in Berlin. Die nächsten sechs bis zehn Jahre will er Yachay widmen, als Dekan für Informationswissenschaften, also Mathematik und Informatik. Matrix hin, Matrix her, die möglichst vielseitige Anwendbarkeit der Forschung sei immer erwünscht, sagt er, und deshalb sei in Yachay „eine enge Kooperation der Mathematik mit der Biologie, der Physik, der Chemie angedacht“.

„Die Ausstattung ist hier genauso gut wie in den USA oder in der EU“, sagt der spanische Biologe Santiago Ballaz zufrieden. Wenn die Labore fertig sind, will er einige Projekte, die er in Spanien nicht beenden konnte, in Yachay „auf demselben Niveau“ weiterführen.

Streit über Verschwendung und Ineffizienz

Der Zauber, der jedem Anfang innewohnt, wird allerdings vom ersten Krach gestört. Der spanische Gründungsrektor Federico Albericio überwarf sich mit den anderen drei Mitgliedern des Leitungsrates, sprach von Geldverschwendung und Ineffizienz und trat mit Pauken und Trompeten zurück. Sein Interims-Nachfolger José Andrade, einer der drei, warf ihm Inkompetenz vor und drohte ihn zu verklagen – ein mit harten Bandagen ausgetragener Skandal, der noch nicht ausgestanden ist.

Wer auch immer welche Schuld hat – der Streit zerrt die problematischen Aspekte Yachays ans Tageslicht. Die drei Professoren des Leitungsrates arbeiteten fest an einer Uni in Kalifornien. Dennoch bezogen sie von Yachay, wie die dort arbeitenden Professoren, ein Salär von mehr als 16 000 Dollar im Monat, und wenn sie mal einfliegen, dürfen sie einen Tagessatz von 300 Dollar kassieren. In Kalifornien sollten sie Geld und Talente auftreiben, aber das taten sie nicht, warf ihnen Albericio vor. Zumal Köpfe wie Larson und Griewank von einem Londoner Headhunter aufgetan wurden, der für 1,7 Millionen Dollar verpflichtet worden war und als Erfolgsprämie ein Jahresgehalt jedes Vermittelten kassiert.

2040 soll Yachay 10 000 Studenten haben, zurzeit studieren dort 615 Studenten, betreut von 185 Uni-Mitarbeitern – paradiesische Zustände. Mit einer Milliarde Dollar könnten die alten Hochschulen auch besser sein, wettern Correas Gegner, die Yachay als elitäre Farce verdammen.

Correa und seine Regierung präsentieren Yachay als Ort, an dem Wissen von Weltniveau ein öffentliches, der Allgemeinheit dienendes Gut sei. Aber in einem Land, in dem der Durchschnittslohn bei 370 Dollar liegt und ein Hochschullehrer 1400 Dollar verdient, klingt das Argument, Spitzenleute kriege man eben nur für Spitzengehälter, stets reichlich zwiespältig.

Investitionen in die Zukunft

Erdöl
Instabil, chaotisch und bettelarm – Ecuador entsprach ganz und gar dem Klischee von der Bananenrepublik, bevor der visionäre, durchaus autoritäre Raffael Correa 2007 als Staatschef antrat. In den letzten Jahren stellte Erdöl in Ecuador knapp die Hälfte der Exporte, gefolgt von Bananen und Garnelen.

Bildung
Seitdem ist das Land kräftig vorangekommen. Mit dem Geld aus dem Öl entstanden Kliniken und Sozialwohnungen. Der Bildungsetat verdreifachte sich, neben dem traditionellen Hochschulwesen wurden außer Yachay noch drei weitere, nicht naturwissenschaftliche Spitzen-Unis ins Leben gerufen.