Eine Hochschulpräsidentin ohne Studienabschluss, geht das? Die faktische Eignung sollte bei Personalentscheidungen wichtiger sein als das Formale, nicht nur in diesem Fall, kommentiert Andreas Müller.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgar - Wie, bitte schön, passt das zusammen? Kommunen in Baden-Württemberg bekommen keinen Cent vom Land, wenn sie einen höchst geeigneten Kandidaten als Integrationsbeauftragten einstellen, der aber keinen Studienabschluss vorweisen kann. Der grüne Sozialminister Manfred Lucha stellt sich da stur. Seine Parteifreundin Theresia Bauer hingegen will einer privaten Hochschule in Karlsruhe weiterhin sechsstellige Zuschüsse pro Jahr zahlen. Für sie spielt es keine Rolle, dass diese gerade eine grüne Ex-Ministerin aus Mainz als Präsidentin bestellt hat, die ihr Studium nie zu Ende brachte – und das auch noch entgegen den hochschuleigenen Regeln.

 

Die beiden Fälle kann man bei allen Unterschieden durchaus vergleichen, wobei der Studienabschluss bei einer Hochschulchefin relevanter erscheint als bei einem Integrationsbeauftragten. Beide werfen die Frage auf, ob das Verhältnis zwischen der formalen und der faktischen Qualifikation immer richtig austariert ist. Am Ende sollten keine starren Kriterien den Ausschlag geben, sondern die tatsächliche Eignung. Die über Jahre oder Jahrzehnte erbrachte Lebensleistung sagt darüber weitaus mehr aus als ein einst erworbenes Diplom. Die beste Note ist wenig wert, wenn der Diplomierte hinterher im praktischen Berufsleben enttäuscht; es soll sogar „Minderleister“ mit Doktortitel geben.

Erfolg ohne Diplom: Fischer und Schulz

In der Politik gibt es bunte Werdegänge schon lange; nicht oft, aber immer wieder, und früher wohl mehr als heute. Zu Recht stieß es auf breites Unverständnis, als neulich gefragt wurde, ob jemand ohne Abitur wie Martin Schulz SPD-Kanzlerkandidat werden könne. Als Präsident des EU-Parlaments hatte er sich – trotz oder gerade wegen seiner krummen Vita – hohe Reputation erworben. Joschka Fischer wären als Studenten-Rebell ohne Uni-Abschluss, aber mit Taxischein aus formalen Gründen viele Türen verschlossen geblieben. Wenn er heute an führenden US-Universitäten Vorträge hält, hängen die Studenten an seinen Lippen. Aus der Heerschar der Juristen, die inzwischen die Parlamente bevölkern, ragen nur wenige derart heraus.

Etwas mehr Durchlässigkeit wäre auch abseits des Politikbetriebs angebracht. Warum soll eine Hochschule nicht selbst entscheiden können, wen sie als Präsidentin für geeignet hält, und eine Kommune, wen als Integrationsbeauftragten? So unvermeidlich gewisse Standards bei der Personalauswahl sind: sie sollten nicht dazu führen, dass Talente ausgesiebt werden. Das kann man sich in einer Welt, die so in Bewegung ist wie die heutige, weniger leisten denn je. Vielleicht denkt auch Sozialminister Lucha darüber noch einmal nach.