Der Kurgeschäftsführer von Bad Wurzach hat seine Biografie augenscheinlich kräftig frisiert. Nun ist er verschwunden. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg ermittelt unter anderem wegen Titelbetrugs.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Bad Wurzach - Er ist weg, spurlos verschwunden, seit ihn der Gemeinderat von Bad Wurzach Ende August abgesetzt hat. In den Monaten zuvor hat der 59-jährige Michael N. in der 14 000-Einwohner-Stadt in Oberschwaben noch ordentlich gefuhrwerkt und ein paar Karrieren geknickt: Von seinem umgebauten Büro im Moorsanatorium aus entließ er den im selben Gebäude tätigen Hotelchef. Auch die Marketingbeauftragte musste gehen. Dafür setzte sich der Geschäftsführer gleich zwei Sekretärinnen ins eigene Vorzimmer. Sie schirmten ihn gut ab gegen lästige Fragesteller.

 

Sogar Eckart Jacobi, der Chefarzt der städtischen Kurklinik, drang nicht zum allgewaltigen Manager durch, den der Gemeinderat zum 1. September 2015 zum Leiter des städtischen Kur-Eigenbetriebs gewählt hatte. „Es gab nie ein Fachgespräch“, berichtet Jacobi. Wichtige Entscheidungen habe ein Interims-Unternehmensberater getroffen, der vor der Einsetzung des Michael N. noch in der Stadt beschäftigt war. Immer öfter redeten Jacobi und Ärztekollegen über den seltsamen Neuen, und sie kamen zu einem vernichtenden Urteil: „Er hatte von Betriebswirtschaft und von Klinikführung keine Ahnung.“

Der Bewerber Michael N. hatte sich gut verkauft

Das war auch für Eckart Jacobi zunächst nicht leicht zu verdauen, denn er war als Mitglied einer städtischen Bewerbungskommission an der Einstellung des aus dem Raum Köln stammenden Geschäftsführers beteiligt gewesen. 88 Bewerbungen hatte die Stadt auf eine Ausschreibung für den Posten erhalten, zehn Kandidaten hat sie zum Gespräch eingeladen. Ausgerechnet N. wurde ausgewählt. Die Bewerbungsunterlagen seien „nicht schlecht gemacht“ gewesen, erinnert sich Jacobi, N. habe sich „glänzend verkauft“. Er schränkt ein: „Ich war gegen ihn, er gab mir zu viel an.“ 120 000 Euro Jahresgehalt plus Dienstwagen forderte der forsche Neuling.

Chefarzt Eckart Jacobi hat den Betrüger enttarnt. Foto: privat

Im Lebenslauf fanden die Verdienste kaum ein Ende: Studium der Psychologie in Bonn und der Betriebswirtschaft in Köln; Mitgliedschaft in der ständigen Expertenkommission des Bundesgesundheitsministeriums, Promotion im Fach Wirtschaft im französischen Montpellier. Immerhin zwei Angaben in der Bewerbung waren nachweislich nicht gelogen: N. ist zuvor bereits Geschäftsführer der Eifelhöhen-Klinik im nordrhein-westfälischen Marmagen sowie eines medizinischen Versorgungszentrums in Duisburg gewesen. Gut möglich, sagt Jacobi, dass der Mann auf diese Posten auf ähnliche Weise wie in Bad Wurzach gekommen sei: beim Vorstellungsgespräch Bella Figura machen und die Promotionsurkunde erst später in die Verwaltungen nachreichen in dem Kalkül, sie werde dann nur noch abgeheftet.

Die Promotionsurkunde ist ein liniertes Din A 4-Blatt

Hätte der Wurzacher Chefarzt gleich sehen können, wie diese angebliche Promotionsurkunde aussieht, es wäre kaum zu einer Anstellung gekommen. Es handelt sich um ein gelochtes, liniertes A4-Blatt, in das offensichtlich mit Schreibmaschine eine französischsprachige Beurkundung geschrieben wurde. Über verwaschenen Stempeln steht zum Beispiel: „Die Jury hat erklärt, dass Herr N. bestanden hat, und ihm die Note ,sehr gut‘ verliehen.“

Pech nur für N., dass der Chefarzt Jacobi eine Übersichtsfassung der Bewerbung bei sich archiviert hatte und sich mit Doktorarbeiten nur zu gut auskennt. Schließlich ist der Arzt auch Universitätsprofessor und bis heute Mitglied der Fakultät Ulm. „Ich habe in meinem Leben mehr als 40 Doktoranden betreut.“

Der Rest waren E-Mails und Telefonate, die sich an die Universitäten von Montpellier, Köln und Bonn sowie das Bundesgesundheitsministerium richteten. Die einheitliche Antwort überall: Ein Michael N. ist nicht bekannt. Und eine ständige, ministeriell geführte Gesundheitsexperten-Kommission in Berlin gibt es auch nicht.

Der scheidende Chefarzt hat Strafanzeige gestellt

Mit Datum vom 6. Juli hat Jacobi Strafanzeige wegen Titelbetrugs gegen N. bei der Staatsanwaltschaft Ravensburg gestellt. Der Bürgermeister Roland Bürkle (CDU) wurde informiert. Die Sache ist von einiger Peinlichkeit. „Das ist in 30 Jahren mein erster Fall“, sagt Bürkle. Im Gemeinderat sei mittlerweile entschieden worden, dass bei künftigen Stellenbesetzungen Bewerber „von Anfang an die Originale“ aus Lebenslaufdaten vorzulegen hätten.

Bis zum nächsten Jahr führt ein Übergangsgeschäftsführer den Bad Wurzacher Kurbetrieb, dann wird die Stelle neu ausgeschrieben. Eckart Jacobi ist dann nicht mehr dabei: Mit 72 Jahren nimmt er zum Jahresende Abschied vom medizinischen Chefposten am Moorsanatorium.

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg ermittelt sowohl wegen Titelbetrugs als auch wegen Betrugs zum Nachteil der Stadt Bad Wurzach. Allein: Sprechen konnte man mit dem Verdächtigen bisher nicht. Seit seinem überstürzten Auszug aus einer Ferienwohnung, die er in seiner Managerzeit bewohnt hat, fehlt von N. jede Spur. „Wir haben Hinweise auf seinen Aufenthaltsort bekommen, aber noch keine Rückmeldung“, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Eine Fahndung wird immer wahrscheinlicher. Der Chefarzt Jacobi hat noch ein bisschen im Internet recherchiert und Michael N. als Schüler einer Kölner Gemeinschaftshauptschule identifiziert. Er ist überzeugt: „Der Mann hat nur Hauptschulabschluss.“