Das Klima ändert sich, die Gefahr von Starkregen nimmt im Raum Stuttgart zu. Deshalb will die Stadtverwaltung jetzt Schwachstellen im Entwässerungssystem beseitigen. Das ist mit Millionenaufwand verbunden.

Stuttgart - Im Zeichen des Klimawandels und der Gefahr vermehrter Starkregen in Stuttgart rüstet die Landeshauptstadt beim Hochwasserschutz nach. Seit neuestem ist klar, dass das Kanalnetz auf 46,4 der insgesamt 1785 Kilometer Länge nicht fit genug ist, um die künftig zu erwartenden Wassermengen aufzunehmen. Das Netz in diesen Abschnitten sei hydraulisch nicht ausreichend leistungsfähig, hat das städtische Tiefbauamt jetzt den Stadträten berichtet. Die betreffenden Kanalrohre müssen saniert werden. In weiten Teilen werde das öffentliche Entwässerungssystem in Stuttgart den unterstellten Anforderungen aber gerecht, urteilte das Tiefbauamt indessen allgemein.

 

Der Sanierungsbedarf soll in den kommenden Jahren abgearbeitet werden. Dazu will die Verwaltung ganz genau kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen definieren. Ein Anfang ist schon gemacht – mit zwei Bauabschnitten in Giebel und in Neuwirtshaus sowie im Bereich Korntaler und Freihofstraße in Stammheim. Weitere Abschnitte sollen folgen im Stuttgarter Norden, in Botnang, Zuffenhausen, Vaihingen, Degerloch und Bad Cannstatt. Im Wirtschaftsplan des Eigenbetriebs Stadtentwässerung Stuttgart sind für solche Maßnahmen pro Jahr 2,3 bis 2,8 Millionen Euro vorgesehen.

20 kritische Orte

Die städtischen Experten haben nicht nur unter topografischen Aspekten mögliche Überflutungsgebiete auf dem Stadtplan markiert; sie haben seit dem Frühjahr 2016 auch näher untersucht, an welchen Stellen etwaige Überflutungen besondere Gefahren und potenzielle Schäden bewirken könnten. Herausgekommen ist eine Liste mit 20 kritischen Geländesenken, wo sich das Wasser von Starkregen sammeln könnte.

Dazu zählen bekannte Brennpunkte wie die B-14-Unterführung am Charlottenplatz, wo die Feuerwehr im August 1972 mit einem Schlauchboot Autofahrer aus einem Regenwassersee retten musste, oder Straßensenken wie am Österreichischen Platz. Der Marktplatz gilt als besonders gefährdet. Die Computerrechner der Stadtverwaltung, von denen lebenswichtige Dienstleistungen der Stadt abhängen, werden nicht zuletzt auch deswegen in eines der höheren Stockwerke des Ersatzbaus für die Rathausgarage verlagert. Gegen Wassereinbruch habe man sie aber auch am gegenwärtigen Platz im Keller des Rathauses zu schützen versucht, sagt Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD). Sogar in höher gelegenen Stadtbezirken mit vermeintlich weniger Gefahren wie in Vaihingen gibt es kritische Bereiche.

An den insgesamt 20 neuralgischen Stellen im Stadtgebiet will die Verwaltung im Fall von unheilvollen Starkregen besonders schnell eingreifen. Dafür sind unter anderem Meldeketten organisiert, die bei aufkommenden Hochwassergefahren vom Deutschen Wetterdienst ausgelöst und über das Tiefbauamt und die Integrierte Leitstelle fortgesetzt werden. Die städtische Branddirektion soll dann die Operationen leiten.

Verantwortliche sind doppelt vorgewarnt

Die Verantwortlichen sind doppelt vorgewarnt, weil man 1972 nicht nur Autofahrer retten musste. In vollgelaufenen Kellern kämpften damals auch viele Stuttgarter mit den Wassermassen. Sechs Bewohner ertranken. Einen ähnlichen Alarm- und Einsatzplan gibt es nicht nur für Fälle von Starkregen, sondern auch bei Neckarhochwasser.

Dem Hochwasserschutz in Stuttgart dienen auch 53 Stauanlagen, in denen nach schweren Regenfällen das Wasser zurückgehalten werden soll. 45 davon, darunter das Hochwasserrückhaltebecken Schwälblesklinge zwischen Sonnenberg und dem Nesenbachtal bei Kaltental, sind inzwischen auf ihre Tauglichkeit und auf die nötigen Sicherheitsstandards überprüft. Die restlichen acht kommen – mit einem Aufwand von jeweils rund 50 000 Euro – auch noch dran. Falls Sanierungen notwendig sind, ist das noch viel teurer. Allein in der Schwälblesklinge war ein Aufwand von rund 400 000 Euro notwendig.

Die 750 000 Euro, die für Maßnahmen der Dringlichkeitsstufe 1 reserviert wurden, sind damit schon zu über 50 Prozent verbraucht. Der Aufwand für den Naturschutz war unterschätzt worden. Wie sich zeigte, sind Stauanlagen auch Biotope, bei denen der Artenschutz zu berücksichtigen ist.

Flut von Braunsbach auch in Stuttgart möglich

Experten halten einen konsequenten Hochwasserschutz in Stuttgart für dringend angeraten, nachdem sintflutartige Regenfälle im Jahr 2016 im hohenlohischen Braunsbach verheerende Schäden angerichtet hatten. Die Topografie in Stuttgart sei ähnlich und die 100 Liter Wasser je Quadratmeter, die binnen weniger Stunden in Braunsbach niedergegangen waren, hätte auch Stuttgart nicht verkraften können, warnte der Meteorologe Uwe Schickedanz. Tendenziell würden Wetterextreme zunehmen. Auch in Stuttgart steige damit die Gefahr von Starkregen. Wolfgang Schanz, Leiter des städtischen Tiefbauamts, sagte damals auch, man müsse nach Braunsbach die Szenarien für Stuttgart neu denken und die Stadt wassertechnisch ertüchtigen.

Dass in Hofen im Sommer 2016 Schäden von insgesamt mehr als einer Million Euro an elf Privathäusern und dem Domizil der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft entstanden, lag allerdings an einem Hochwasser, das für die Versicherer der Liegenschaften gar keines war – weil die Ursache ein Defekt in der Steuerungsanlage für die örtliche Neckarschleuse war. Der bewirkte, dass die Tore sich nicht öffneten und der Neckarabfluss sozusagen verstopft war. Daher trat der Neckar über die Ufer. Der Defekt ist mittlerweile beseitigt.

Diese Standorte in Stuttgart gelten als Hochwasser als gefährdet

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