Dem verunglückten Cannstatter Forscher in der Riesending-Höhle geht es nach Angaben der Bergwacht etwas besser als befürchtet. Dennoch gestaltet sich die Rettungsaktion weiterhin als extrem schwierig, berichtet Knut Krohn aus Berchtesgaden.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Berchtesgaden - Kurz schwebt der Helikopter über dem Eingang der Höhle. An einer Winde wird Material zu dem Biwak auf dem Untersberg herabgelassen. Ein kurzes Zeichen der Rettungsmannschaft, und der Hubschrauber dreht knatternd ab in Richtung Tal. Im Halbstundentakt wiederholt sich diese umständliche Prozedur. Um die Hilfe zumindest etwas zu erleichtern, haben die Männer am Dienstag damit begonnen, einen provisorischen Landeplatz für die Helikopter einzurichten. An einer einigermaßen ebenen Stelle in der Nähe der Riesending-Höhle werden die Bäume abgeschlagen. Es ist eine mühevolle Arbeit. Auf dem mit Felsen übersäten Untersberg nahe Berchtesgaden ist es im Sommer glühend heiß. Im Winter treibt der bitterkalte Wind Eis und Schnee über das fast 2000 Meter hoch gelegene Plateau.

 

Der Berg ist an dieser Stelle durchzogen von unzähligen Rinnen, Löchern und kleineren Höhlen, die das Wasser in Jahrtausenden in den Kalkstein gefressen hat – ein Dorado für Höhlenforscher. Die größte Höhle ist das Riesending. Das gigantische Gangsystem ist inzwischen auf 19,2 Kilometer erkundet, bis auf eine Tiefe von 1148 Metern. Der verunglückte Stuttgarter Forscher war einer der Männer, die die Höhle im Jahr 1995 in einem vergessenen Felstrichter entdeckt haben. Angesichts des gewaltigen Ausmaßes sollen die Männer ausgerufen haben: „Was ist das für ein Riesending!“ Dieser Name sollte bleiben. Und jede neue Expedition bringt die Speläologen in weitere unterirdische Röhren, Schluchten, Canyons und Hallen.

Der Zustand des verletzten Höhlenforschers ist stabil

Nun könnte das Riesending einem seiner Entdecker zum Verhängnis werden. Doch inzwischen ist eine der wenigen guten Nachrichten an die Erdoberfläche gedrungen. Der 52-jährige Cannstatter Höhlenforscher, der bei einer Expedition in die Tiefe am Wochenende von einem Steinschlag schwer verletzt wurde, könne inzwischen wieder einige Zeit stehen, sei kreislaufstabil und ansprechbar. Das nährt bei den Rettern die Hoffnung, dass der Mann bis Ende der Woche aus der Höhle geborgen werden kann. Laut der Bergwacht Bayern gehen die Retter von etwa drei bis fünf Tagen für die Rettungsaktion aus. Etappenweise soll der 52-Jährige zu den Biwakstationen (siehe Grafik) gebracht werden. Noch am Montag hatte Nils Bräunig, der in Berchtesgaden für die Koordination der Rettung zuständig ist, vor allzu viel Hoffnung gewarnt.

Hier ein Interview vom Dienstagabend mit Roland Ampenberger, dem Sprecher der Rettungskräfte in Berchtesgaden:

Ein Problem sei vor allem, erklärte Bräunig, genügend Männer und Frauen zu finden, die überhaupt in der Lage sind, an solch einer außergewöhnlich schwierigen Rettungsaktion teilzunehmen. „Das ist nicht nur eine körperliche, sondern auch eine psychische Grenzbelastung“, sagt Stefan Schneider von der Bergwacht Bayern. Es dauere rund 10 bis 12 Stunden, um überhaupt zu dem Schwerverletzten vorzudringen. Aus diesem Grund sind am Dienstag zwei Rettungsteams aus der Schweiz und Italien in Berchtesgaden eingetroffen. Sie lösen die erschöpften Helfer aus Deutschland und Österreich ab, die inzwischen mit ihren Kräften am Ende sind.

Ein Arzt musste aufgeben, jetzt ist ein anderer auf dem Weg

Belastend für das Team ist auch, dass die Rettung in Zeitlupe vor sich geht. Quälende Stunden vergehen, bis eine Neuigkeit aus 1000 Metern Tiefe an die Erdoberfläche dringt. Was bis jetzt bekannt ist, reicht gerade mal, um allenfalls eine kleine Ahnung davon zu bekommen, was sich da im Erdinnern abspielt. Drei Tage nach dem Unglück in der Riesending-Schachthöhle wissen die Retter nicht einmal genau, wie es dem an Kopf und Oberkörper verletzten Forscher wirklich geht.

Die folgende Grafik zeigt die Riesending-Schachthöhle im Querschnitt. Klicken Sie auf die Grafik für eine größere Ansicht.

Ein Arzt, der sich am Montag auf den Weg zu dem Höhlenforscher gemacht hatte, musste aufgeben. Er erreichte den Verletzten nicht. Da er vor seinem Abstieg eine 36-Stunden-Schicht als Arzt absolvierte, war er konditionell nicht in der Lage, den anstrengenden Abstieg zu schaffen. Außerdem soll es für ihn zu gefährlich geworden sein. Inzwischen ist nun ein österreichischer Arzt auf dem Weg.

Die Helfer müssen sich dem Rhythmus des Berges anpassen

Diese Ungewissheit zehrt an den Nerven der Retter. Doch sie sind Profis, sie wissen aus langjähriger Erfahrung, welche Schwierigkeiten eine solche Höhlenrettung birgt. Also versuchen die Helfer, die eigenen Erwartungen zurückzuschrauben, sich diesem Rhythmus des Berges anzupassen. „Der Berg lehrt uns Demut“, sagt einer der Männer der Bergwacht.

Unterdessen klingelt in der Einsatzzentrale in Berchtesgaden ständig das Telefon. Immer wieder bieten Bergretter ihre Hilfe an. Doch Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht, muss die Leute vertrösten, so auch einen Anrufer aus Berlin-Marzahn, der mit einem Team nach Bayern kommen will. Der Mann ist Bergsteiger, hat von Höhlenrettung aber offensichtlich keine Ahnung. „Die Berge sind die Berge, aber das da unten in der Höhle ist eine andere, eine unwirtliche Welt“, erklärt ihm Ampenberger.

„An diesen Ort wagen sich nur eine Handvoll Menschen“

„Die Leute machen sich keine Vorstellung, was sie da unten erwartet“, erklärt Roman Hörfurter, der Sprecher der Polizei. Es sei stockdunkel, kalt und feucht. Allein um in die Höhle zu gelangen, müsse man sich erst einmal mehrere hundert Meter abseilen. An manchen Stellen sei es so eng, dass ein Mensch nur durchpasse, wenn er sich geschickt verdrehe und zudem noch ausatme. „An diesen Ort wagen sich nur eine Handvoll Menschen“, sagt Hörfurter – das sei faszinierend, aber genau das mache auch die Hilfe so unendlich schwierig.