Das Buch "autoreverse" von Kai Thomas Geiger ist nun auch als Hörversion zu haben. Wir haben mit dem Autor und dem Sprecher Johannes Wördemann gesprochen - über die Entstehung des Hörbuchs, über Brotdosenwerfer und den Soundtrack der Jugend.

Stuttgart - Vor einigen Monaten hat Kai Thomas Geiger seinen ersten Roman veröffentlicht. "autoreverse" nennt er sich und handelt vom Erwachsenwerden in den Achtziger Jahren, von fünf Freunden in Stuttgart-Möhringen, von AC/DC und Queen, knatternden Mopeds und Lederjacken. Vor allem aber handelt die Coming-of-Age-Geschichte von Freundschaft und Loyalität. "Das ist mir erst später, als ich den Roman geschrieben hatte, richtig klar geworden", sagt Kai Thomas Geiger, der eigentlich als Texter und Gestalter Werbung für große Kunden entwirft.

 

Wer lesen eher blöd findet, für den ist in der vergangenen Woche etwas auf den Markt gekommen. "autoreverse" das Hörbuch! 510 minuten auf zwei MP3-CDs, gesprochen vom SWR-Sprecher Johannes Wördemann. Wie sich die beiden gefunden haben? "Wir haben uns bei einem Casting kennengelernt, bei dem ich Personen für einen Werbeclip gesucht habe", sagt Kai Thomas Geiger, "es war audioliebe auf den ersten Blick!" Da Johannes Wördemann nicht nur als Sprecher für den SWR, sondern auch als Rezitator für Lesungen und Kunstprojekte auftritt, war die Zusammenarbeit schnell klar. 

Wir haben mit den beiden gesprochen. Über die Arbeit an einem Hörbuch, über Brotdosenwerfer und -beworfene und über den Soundtrack der Jugend.

Wie ist es zum Hörbuch gekommen?

Kai Thomas Geiger: Ich selbst hatte das gar ncht geplant. Arne Junker vom Hörbuchverlag 123Classic ist auf mich zugekommen, wir haben uns länger unterhalten und daraus ist eine liebevolle Verhandlung über ein viertel bis halbes Jahr entstanden

Was gab es zu verhandeln?

Kai Thomas Geiger: Der Hörbuchverlag wollte am Anfang, dass ich das Buch selbst lese oder jemand mit schwäbischem Einschlag. Da habe ich mich mit Händen und Füßen geweigert und gesagt 'bitte mach kein Schwabenbuch draus'! Aber auch der Verlag war dann begeistert, als sie Johannes das erste Mal bei einer Lesung von mir gehört hatten. 

Ach, eine Lesung hattet ihr vor der Produktion schon zusammen?

Johannes Wördemann: Ja, das war im Plattenladen Ratzer. Das war sozusagen unsere Premiere, bei der wir mal gekuckt haben, ob wir das hinkriegen.

Und?

Johannes Wördemann: Wir haben das sehr gut hingekriegt. (lacht)

Kai Thomas Geiger: Total, ich hatte echt eine Gänsehaut, als er das gelesen hat. Das war audioliebe auf den ersten Blick. Aber auch unsere Abschlusslesung war toll. Da saßen Mutter Wördemann und Vater Geiger zufällig nebeneinander im Publikum und haben gestrahlt.

Johannes Wördemann: Stimmt, das hab ich total vergessen! Das war sehr süß. 

Ist es komisch dein Buch von einer fremden Stimme vorgelesen zu bekommen?

Kai Thomas Geiger: Ich finde jetzt wird das Buch 3D.  Er nimmt die Geschichte und formt sie wie eine Knetmasse. Ich könnte mir keinen anderen, keinen besseren dafür vorstellen. Manchmal höre ich es und muss selber lachen. 

Wirkt es für dich gar nicht mehr, als wäre es dein Buch?

Kai Thomas Geiger: Ich finde es ist so, als hätte jemand meinen Song genommen und eine saugute Coverversion davon gemacht. In einer anderen Musiksparte fast. Wie "Every Breath you take" in einer Jazzversion. Johannes betont Textstellen, wo ich als Regisseur gesagt hätte: lies mal drüber, das ist nur lakonisch gemeint. Und andere Stellen, die ich auf Effekt geschrieben habe, da hätte ich einen Betonungs-Trommelwirbel verlangt - und da liest er einfach so drüber. Dadurch wirkt das ganze Ding für mich völlig anders. Das ist tatsächlich seine eigene Interpretation, das freut mich mit am meisten. 

Johannes Wördemann: Und genau das ist die Aufgabe des Sprechers. Du musst den Text zu deinem machen, sonst bleibt er tot. Du musst das, was zwischen den trockenen, staubigen Papierseiten ist, zum Leben erwecken. Die Stimme muss sich vom Papier erheben, wie man pathetisch sagen könnte. Da kann man natürlich auch viel Mist machen. Das Problem vieler Hörbücher ist, dass viel zu viel gemacht wird. Die Kunst ist das berühmte 'Less is more'. Der Hörer muss an der Hand genommen werden, man gibt ihm eine Interpretation mit und trotzdem ist es meine Aufgabe den Horizont so weit wie möglich zu machen. So kann der Hörer selbst entscheiden, was er mitnehmen will.

Seite 2: "Die inneren Bilder sind wichtig."

Das heißt aber, du warst gar nicht bei der Produktion im Studio dabei, Thomas?

Kai Thomas Geiger: Nein, kein einziges Mal. Bei meinem eigentlichen Job sitze ich ja immer irgendwo dazwischen und mache Regie oder auch Funkregie. Ich fands aber total gut bei meinem Buchprojekt mal loszulassen und die Leute machen zu lassen. Nur ab und zu hat mich Johannes ein paar Sachen gefragt. 

Was zum Beispiel?

Johannes Wördemann: Ich wusste zum Beispiel nicht wie man Treets ausspricht. Bei so einem Projekt gibt es natürlich keine Datenbanken, durch die du etwas  verifizieren kannst. Aber das war auch schön, da ich dadurch wirklich recherchieren musste. Ich habe dann angefangen alte Werbevideos für Treets zu suchen, in denen der Name ausgesprochen wird. 

Dadurch hast du auch einen Eindruck von der Zeit bekommen.

Johannes Wördemann: Genau, es ist wichtig, die inneren Bilder zu haben, wenn man spricht. Was ich mir in der Zeit für Bilder von Motorrädern und ähnlichem angeschaut habe! Teilweise hab ich mir noch die Sounds dazu angehört.  

Wie hast du dich auf das Sprechen vorbereitet?

Johannes Wördemann: Das war ganz lustig. Natürlich ist eigentlich Vorbereitung das Maß der Dinge. Deshalb hab ich mich auch da im Vorfeld vorbereitet vorbereitet vorbereitet. Als wir dann auf Seite 50 des PDF-Scripts waren, haben wir gemerkt, dass ein Junge im Buch ganz anders heißt. 

Kai Thomas Geiger: Ja stimmt, kurz vor Druck sagte der Verlag, dass zwei Namen zu nah beieinander liegen. Dann hab ich einen Namen komplett geändert. 

Johannes Wördemann: Als wir das bemerkt hatten, hab ich angefangen direkt aus dem Roman zu lesen, ohne Betonungszeichen, ohne alles. Und das war ein totales Geschenk! Ich wurde dadurch noch freier und diese Anarchie, die natürlich grade dieser Text auch hat, wurde dadurch noch deutlicher.

Und irgendwann warst du richtig drin in der Geschichte - das sind ja am Ende immerhin rund 500 Minuten...

Kai Thomas Geiger: Irgendjemand hat neulich gesagt: 'Saugut für die Strecke von Stuttgart nach Bukarest'.

Johannes Wördemann: Ich bin irgendwann echt in den Flow reingekommen. Ich saß jeden Tag im Studio. Es war Winter, draußen war es kalt. Ich kam immer mit der Mütze tief ins Gesicht gezogen und Jogginghose bei Arne an - der hat mich irgendwann ausgelacht. So eine Studiozeit kriegt automatisch irgendwann etwas meditatives. Aber ich war in dieser Zeit richtig drin in dieser Teenagerwelt, saß im Stuttgarter 44er-Bus...

Kai Thomas Geiger: 72er! Sonst kommst du an den Westbahnhof. (lacht)

Johannes Wördemann: Entschuldige. (lacht). Ich hab mich einfach treiben lassen mit der Geschichte.  

Hast du Parallelen ausmachen können zwischen deiner Jugend und der von Kai Thomas Geiger, bzw. den Jugendlichen im Buch?

Johannes Wördemann: Für mich war das schon nochmal ein Ausflug in die frühen Achtziger. Ich bin Jahrgang 82, deshalb begegnete mir da auf Fotos und natürlich im Text eine Welt, die meine Kindheit war und seine Jugend. Also das ist auch schön gewesen.

Seite 3: Ich war ein kleines Moppelchen"

Und was die Personen angeht?

Johannes Wördemann: Das gar nicht! Ich muss gestehen, bis ich 15 oder 16 war, war ich ein kleines Moppelchen mit einer kreisrunden roten Brille. Ich war nicht so cool. Die Jungs, die Thomas da beschreibt, die hab ich immer ein bisschen beneidet. 

Das Hörbuch war also eine Art Traumabewältigung für dich.

Johannes Wördemann: Ja absolut! Aber klar, manche Geschichten, die im Buch beschrieben sind, kenne ich auch. Zum Beispiel die mit dem Mädchen oder die Mixtapes. Ich hab einen großen Bruder, der so alt ist wie Thomas, den hab ich immer genervt, wenn ich Mixtapes gemacht hab. Der meinte immer: 'Als Aufmacher brauchste nen Knaller!' Gerade um diese Dramaturgie geht es ja auch in autoreverse seitenweise. Oder wie die sich morgens treffen nach einer völlig durchzechten Nacht. Das sind natürlich Geschichten, die ich kenne. Zumindest mit dem Gefühl kann ich viel anfangen. Aber AC/DC hab ich zum Besipiel nie gehört!

Kai Thomas Geiger: Dann wird's Zeit!

Johannes Wördemann: Doch auch wenn ich mit der Musik nichts anfangen konnte: So ein Soundtrack für diese Phase, das ist schon etwas, das ich total kenne. Etwas, was mich auch heute manchmal, wenn ich die Musik wieder höre, schon fast melancholisch macht. Das klingt auch bei Thomas immer wieder durch. Sowohl diese Energie, die ihm Hells Bells geben kann, als auch der Schmerz einer Ballade.

Was war dein Soundtrack?

Johannes Wördemann: Das klingt immer ein bisschen blöd und elitär, aber das schwankt wirklich zwischen Elektrokram und Jacques Brel, also den französischen Chansonniers. Da bin ich total drauf abgefahren. 

Kai Thomas Geiger: Und hattest du da immer noch eine rote Brille auf? (lacht)

Johannes Wördemann: Nein, da hab ich mir dann Kontaktlinsen gekauft und mich in enge Sakkos von meinem Urgroßvater gezwängt. Dazu hatte ich alte Hosen von meinem Vater an und irgendwelche komischen Hemden. (lacht)

Kai Thomas Geiger: Was warst du da in der Zeit?

Johannes Wördemann: Also heute würde man sagen...

Kai Thomas Geiger: ...strange?

Johannes Wördemann: Ja strange! Immer schon strange! (lacht) Und ich konnte nicht über den Schulhof gehen ohne mit Brotdosen beworfen und als Schwuchtel beschimpft zu werden. 

Gut, dass ihr euch nicht als Jugendliche getroffen habt.

Kai Thomas Geiger: Ja, das ist spannend! Ich gehörte ja eigentlich zu den Brotdosen-Werfern! Tatsächlich haben mir schon alte Klassenkameraden auf Klassentreffen gestanden, dass sie vor uns früher total Angst hatten. Weil wir Risse in den Jeans hatten und Lederjacken trugen. Da muss ich immer lachen. Wir waren doch so harmlos! Da war wirklich kein Anflug von Gewalt. Aber durch diesen Look, die langen Haare, die Lederjacken mit den Bandnamen - das hat den Leuten wohl Furcht eingeflöst. So war das gar nicht gedacht. Gedacht war Rebellion gegen Eltern und Gesellschaft, aber nicht gegen Mitschüler. (Zu Johannes Wördemann) Und du hattest dann La Bohème auf der Jeans stehen? 

Johannes Wördemann: Auf der Cordhose! (lacht)

Hast du das Gefühl, da hat sich generell ein bisschen was geändert wie die nachfolgenden oder die aktuelle Generation ihre Jugend verbringt?

Kai Thomas Geiger: Ich glaube das Vordergründige hat sich komplett geändert. Da klinge ich auch wirklich wie so ein alter Mann, der am Fenster lehnt und sagt, aber früher waren wir draußen und sind auf Bäume geklettert - das machen die heute nur noch mit der Wii im Wohnzimmer! Aber wenn du tiefer gehst, worums dann wirklich geht im Buch, um Loyalität und die Frage, wo man hingehört, dann hat sich nicht viel geändert. Heute ist es vielleicht wichtig, ob ich das IPhone 4,5 oder 6 habe, das war bei uns die Frage: hab ich ne Yamaha, Honda oder - ganz doof - ne Kreidler. Da hat sich nur das Spielzeug geändert. Der Herzschmerz in dem Alter ist der gleiche, aber auch dieses Dazugehören und die Angst nicht dazuzugehören. Wir haben halt mit einem Apfelkorn Berentzen experimentiert und die Kids heute glaub ich gleich mal mit einem Wodka Cranberry aus dem Lidl. Vielleicht hat sich heute nur das Alter verschoben. Bei uns hieß es: 'Lieber Doktor Sommer, ich bin 15 und weiß nicht was ich machen soll.' Und heute heißt es: 'Mein Name ist Melanie, ich bin 11 und ich glaube ich bin schwanger.'

Johannes Wördemann: Oder: 'Ich werde auf Facebook mit Nacktbildern von mir gemobbt!'

Kai Thomas Geiger: Ja genau (lacht). 

Hast du das Hörbuch schon komplett durchgehört?

Kai Thomas Geiger: Nein, ich bin bei Kapitel drei. Ich mags auch nicht nebenbei hören. Ich bin ehrlich gesagt gar kein Hörbuchmensch, ich besitze gar keines. Aber das war tatsächlich ein geiles Gefühl meine CD-Hülle aufzuklappen. Die letzte CD habe ich ungefähr im Jahr 1989 gemacht mit einer Band. Und jetzt ist es plötzlich ein gelesenes Buch, das ist echt spannend. Ich hab mich über die CD mindestens so gefreut wie über den Release des Buchs. 

Ein bisschen hast du aber doch mitgewirkt: Es gibt zwischendurch immer wieder Directors Comments und am Ende ein Gespräch zwischen euch beiden.

Kai Thomas Geiger: Der Arne hat sich gefragt, welchen Mehrwehrt ein Hörbuch zu einem gedruckten Buch bieten kann. Wir dachten, wir machen es wie bei einem Film. Vor allem, weil ich oft gefragt wurde, was in dem Buch autobiografisch ist und was nicht.

Und was kommt als nächstes? autoreverse, der Film?

Kai Thomas Geiger: Nein, auf keinen Fall (lacht). Tatsächlich haben das viele schon gefragt, da ich ein bisschen Filmbackground habe. Aber ich glaube ein Film ist der Stoff gar nicht.

Warum?

Kai Thomas Geiger: Naja, wer will sich einen schwäbischen Film über Rockgeschichte ankucken! Das ist alles immer ein bisschen piefig. Was lustig ist, ist aber, dass es grade zwei Stuttgarter Theater auf dem Tisch haben. Theaterhaus und Lokstoff. Ein Stück mit 15-Jährigen - das würde mich total glücklich machen. 

Johannes Wördemann: Knaller! Wollen die dich auch als Regisseuer?

Kai Thomas Geiger: Nein, das nicht. Ich würds natürlich sofort machen! (lacht) Ich denke, dass sie das Buch als Grundlage für ein Stück nehmen. Toll, oder? Da spielen dann 15-Jährige plötzlich uns als 15-Jährige Jugendliche - und das aber für Erwachsene. Eine tolle Idee! Du darfst dann wieder mitspielen, Johannes! (Lacht)

J: Ja, als cooler 15-Jähriger. Endlich!

Im Moment schreibst du schon an deinem zweiten Buch, das aber ganz anders werden soll.

Kai Thomas Geiger: Auf jeden Fall. Ich hatte auch viele Anfragen einen Stuttgart-Roman zu schreiben. Da habe ich gesagt, ich schreibe euch gerne zwei Mal das Wort Ländle rein aber es wird...

Johannes Wördemann: ... kein Mundartstückle. 

Kai Thomas Geiger: Höchstens schreibe ich einen schwäbischen Hunde-Krimi - in Mundart! Nein, das wird wie ein zweites Album von einer Band. Es wird ein bisschen ernster, düsterer, experimenteller. 

Und was hast du jetzt vor, Johannes?

Johannes Wördemann: Ich warte, dass er fertig wir. (lacht) Nein, ich bin seit einem Monat in Baden-Baden beim SWR. Vom Sprechen allein lässt es sich sehr schwer leben. Obwohl ich mich natürlich freuen würde noch mehr Hörbücher zu sprechen. Es macht mir wirklich Spaß und es ist auch ein Privileg so lange an einem derart langen Text arbeiten zu können. 

Kai Thomas Geiger: Also Johannes und ich machen auf jeden Fall beruflich noch ein paar Sachen zusammen, da hab ich auch Bock drauf. Der Johannes ist echt zu meinem Lieblingssprecher avanciert. Das war bestimmt nicht die letzte Zusammenarbeit. 

Das Hörbuch erscheint als CD und Download im 123 Classic Verlag (ISBN 978-3-944849-01-0) und ist im Buchhandel und auf Downloadplattformen wie iTunes und audible erhältlich. Uuuuuuund: bei uns! Wir verlosen 3 mal das Hörbuch "autoreverse". 

Um zu gewinnen schickt ihr uns eine Mail mit eurem Namen und eurer Adresse per E-Mail mit der Betreffzeile „autoreverse“ an stadtkind@stadtkind-stuttgart.de. Einsendeschluss ist Freitag, 10. Oktober 2014, um 18 Uhr. Alle Emails nehmen an der Verlosung teil. Die Gewinner werden per Mail benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.