Statt auf Bänke sollen sich Besucher des Hospitalplatzes zum Plausch auf gebrauchte Stühle setzen. Um die bittet das Forum Hospitalviertel im Sinne einer Spende.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Drahtgeflecht ist die Stuttgarter Standardaufforderung, sich zum Verweilen niederzulassen, pulverbeschichtet, gern in silbergrau oder grün, unverrückbar verankert im Untergrund – auf dieser Bank hockst du dich hin und hältst die Beine still.

 

Drahtgeflecht ist doof. Darin waren jedenfalls diejenigen einig, die sich unter der Obhut des Forums Hospitalviertel in Arbeitskreisen um die Verschönerung ihres Wohnquartiers bemühen. Im Boden verankertes Standardgestühl widerspricht ihrer Idee von einem Platz, auf dem Leben herrscht, auf dem Menschen sich treffen, verabredet oder zufällig, um zu plaudern.

Ihre Alternative ist ein Stuhl, blau lackiert – nimm ihn dir und setz dich, wo du magst. 60 solcher Stühle sollen sich künftig auf und um den frisch umgebauten Hospitalplatz verteilen. Sofern sich ausreichend Spender finden. Das Forum sammelt am Samstag Stühle, deren bisherige Besitzer ihrer überdrüssig geworden sind. Abgesehen von der später einheitlichen Farbe, soll so gut wie keiner dem anderen gleichen. „Mehr als zwei, vielleicht drei gleiche wollen wir nicht“, sagt Achim Weiler vom Forumsvorstand. Die Vielfalt gehört zur Idee.

Das Konzept ist Folge wissenschaftlicher Arbeit

Das Konzept ist zwei Jahre lang gereift und Folge wissenschaftlicher Arbeit. Drei Studentengruppen hat Wolfgang Grillitsch, Architekturprofessor an der Hochschule für Technik, jeweils ein Semester lang über die passende Möblierung des zentralen Platzes im Viertel nachdenken lassen. Die Vorgabe war: „Es soll drauf gesessen werden, individuell aussehen, und die Stühle sollten bewegbar sein“, sagt Weiler. Am Ende gefiel die Idee am besten, alte Möbel weiterzuverwenden. Sie schien die sympathischste. „Wanderstuhl“ haben ihre Erfinder sie getauft. In den Werkstätten des Rudolph-Sophien-Stifts werden die gebrauchten Möbel geschliffen, dann von einer Firma wetterfest lackiert.

Im Rathaus schien eine derartige Neuerung zunächst bedenklich, weil die Stadt zahlen muss, wenn gleich wer mit dem Mobiliar Schaden anrichtet. „Die haftungsrechtlichen Fragen waren wirklich nicht einfach zu klären“, sagt Weiler, der als Stadtplaner für die Verwaltung Stuttgarts arbeitete. Allein schon, weil die Tragfähigkeit des allfälligen Drahtgeflechts per DIN-Norm gewährleistet ist. Um das amtliche Gewissen zu beruhigen, schließt das Forum Hospitalviertel einen Vertrag mit der Stadt, mit dem der Verein sich verpflichtet, versprengtes Gestühl regelmäßig einzusammeln und zu prüfen, ob die Möbel noch standsicher sind oder die Stuhlbeine bedrohlich wackeln.

Die Nachbarschaft überwacht das Mobiliar

Dabei hilft die Nachbarschaft. Von der Kneipe über den CVJM bis zur Anlaufstation für HIV-Infizierte – benannt „Die Brücke“ – haben Anwohner im Quartier zugesagt, sich ums blaue Mobiliar zu kümmern.

Das dürfte nötig sein, nicht nur wegen Wetterschäden. „Die Jugendlichen von der Theo sind unberechenbar“, sagt Weiler, „ich habe schon ein flaues Gefühl im Magen.“ Die Anwohner des Hospitalviertels sind vielfältig geplagt von den Auswüchsen des Nachtlebens auf der benachbarten Partymeile. Ursprünglich sollte das Experiment am 23. Juli beginnen, dem Tag, an dem der neue Hospitalplatz mit einem Straßenfest eingeweiht wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach verzögert sich aber die Fertigstellung um einige Wochen. Danach „herrscht das Prinzip Hoffnung“, sagt Weiler. „Erfahrungsgemäß gilt: Wenn etwas schön ist, macht es auch keiner kaputt.“ Falls doch, soll mit einer zweiten Sammelaktion Ersatz beschafft werden.