An der Verschönerung des Hospitalviertels arbeiten Baufirmen genauso wie ein Häkelfreund.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Was hier geschieht, verbildlicht eine Häkelarbeit. Den Fuß eines Baumes samt seiner unteren Äste umspannt Wolle in allen fröhlichen Farben des Malkastens, als wollte, wer auch immer am Werk war, den frierenden Rumpf der Pflanze mit einem Mäntelchen vor Frost schützen. Unter dem Baum parkt ein Kleintransporter im Matsch. Er ist Sinnbild der Vergangenheit und gleichzeitig des Wandels. „Hier kommt noch ein Hochbeet hin“, sagt Achim Weiler.

 

Das Hospitalviertel wird vom Hinterhof des Stadtzentrums zu seinem Vorgarten. Das ist, was formal geschieht. Die Stadt lässt das Viertel aufhübschen, mit Pflasterstein auf breiten Gehwegen statt einem rissigen Asphalt-Flickenteppich, rot befüllten Baumscheiben statt wucherndem Gestrüpp, das zu wenig mehr diente, als die Hinterlassenschaften des Partyvolkes zu schlucken. Eine Fußgängerzone vor der Hospitalkirche soll das zentrale Schmuckstück des Quartiers werden. Noch ist alles Baustelle oder Plan, aber entlang der Büchsenstraße lässt sich der spätere Zustand schon ahnen: Sie gleicht einem Boulevard.

Liebevolles Bemühen um Perfektion

Bemerkenswerter als der Umbau und seine Materialien, Amtsdeutsch die Stadtsanierung, ist, was in den Köpfen geschieht. Weiler leitet im Quartiersverein Forum Hospitalviertel die Arbeitsgruppe Bau. In ihr sitzen gewöhnliche Menschen, die im Viertel leben, neben Abgesandten von Betrieben und anderen Organisationen.

Es mag erbsenzählerisch wirken, was in diesen und anderen Gruppen des Forums – gemäß Sitzungsprotokoll – Herr Aydin mit Frau Kamberg diskutiert. Ist der Stahl der Baumscheiben schön oder hässlich, stehen die neuen Laternen richtig, und wer ist verantwortlich dafür, dass beim Brunnen ein neuer Mülleimer steht? Das lässt sich aber auch anders sehen, als liebevolles Bemühen um Perfektion im eigenen Quartier.

Ein Zeichen davon sind Mulden in den neuen Gehwegen, in die geriffelte Platten eingelassen sind. Mit ihnen endet ein scheinbar endloser Streit zwischen zwei Behindertenverbänden. Rollstuhlfahrer wollen die Straße überqueren, ohne Gehwegkanten überwinden zu müssen. Blinde orientieren sich mit ihrem Stock eben an Bordsteinkanten. Im Hospitalviertel senkt sich der Bordstein auf Straßenniveau, dass der Gehweg dennoch nicht abreißt, signalisieren die Riffel an diesen Stellen. „Eigentlich wollten wird, dass das Viertel zum Vorbild für Behindertenfreundlichkeit wird“, sagt Gabi Stein, die Teilzeit-Geschäftsführerin des Forums, „das ist nicht ganz gelungen“. Aber immerhin.

Die Stadtplaner lassen sich in ihre Arbeit hineinreden

Auch die Gehwegriffel sind Folge der Diskussionsrunden, im Amtsdeutsch Bürgerbeteiligung, die das Forum organisiert. Was bedeutet: Die Profis der Stadtplanung und des Städtebaus lassen sich von Herrn Aydin und Frau Kamberg in ihre Arbeit hineinreden. Das klingt nervig, aber zum einen „ist es oft so, dass die städtischen Pläne und die bürgerlichen Interessen sehr nah beisammen sind“, sagt Weiler. Zum anderen hat der Rat der Amateure die Profis gelegentlich vor Patzern bewahrt. Der größte wäre gewesen, dass zum Kirchentag 2015 der Platz vor dem viel gelobten Hospitalhof eine Baustelle gewesen wäre. Nach dem Hinweis des Forums wurden die Zeitpläne geändert. Sogar jetzt noch, während der Bauzeit, kann, wer auch immer sich berufen fühlt, beim Amt oder bei den Baufirmen Verbesserungsvorschläge anmahnen.

Dass Gehwege geriffelt, Laternen versetzt, Bauabläufe verbessert werden, ist trotzdem nicht die Seele dessen, was hier geschieht. Die ist, dass jeder – von der Motorpresse über das Müttergenesungswerk bis zum Mieter nebenan – nicht nur zur Kenntnis nimmt, dass die Stadt mal wieder irgendwas umbaut, sondern sich an der Veränderung freut. Das hat Folgen. Zeitgleich mit dem Hospitalhof ist ein neues Wohnhaus gegenüber fertig geworden. Im Erdgeschoss bieten neue Gastronomen einen Happen zu essen oder einen Kaffee mit Blick auf die künftigen Fußgängerzone an. Einen Steinwurf die Straße hinauf hat die Evangelische Gesellschaft einen lang ersehnten Kindergarten eröffnet. Das tote Behördenviertel beginnt zu leben.

Selbstredend endet das Mitspracherecht der Bürger, wenn der Kämmerer die Stadtkasse schließt. Dem ist der Wunsch zum Opfer gefallen, die Fußgängerzone bis zum Haus der Wirtschaft zu verlängern. An politischen Widerständen scheiterte der Plan, den Parkplatz beim Haus der Wirtschaft zu bebauen. Sinnvoll wäre beides allemal, genau deshalb, meint Weiler, „ist da das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“.