Gregor Traber hört auf den Rat von Marlon Odom, gegen den er früher selbst gelaufen ist. Nun reist der Hürdensprinter vom VfB Stuttgart mit großen Ambitionen zu den Olympischen Spielen nach Rio.

Stuttgart - Der bitterste Moment seiner Laufbahn liegt vier Jahre zurück. Damals gab es vier deutsche Hürdensprinter mit erfüllter Olympia-Norm für die Spiele in London. Und das direkte Duell bei der deutschen Meisterschaft. Wattenscheid, Lohrheidestadion: Gregor Traber liegt in Führung, als es zu einer Berührung mit dem Konkurrenten auf der Nebenbahn kommt. Er stürzt, verpasst den Titel und am Ende auch Olympia – weil er im Vergleich zum Trio der Nominierten eine Hundertstel Sekunde zu langsam war. Der Frust türmte sich damals vor dem 110-Meter-Hürdensprinter auf wie ein unüberwindbares Hindernis, und trotzdem gab es auch eine positive Seite. Im Olympia-Trainingslager auf Mallorca hatte Traber zuvor das Zimmer mit Marlon Odom geteilt. Die Verbindung hält bis heute – nur dass der ehemalige Konkurrent längst der Trainer von Traber ist. Beide haben nun gemeinsam geschafft, was 2012 keinem von ihnen gelungen ist: den Sprung zu den Olympischen Spielen.

 

Vier Jahre sind eine lange Zeit im Spitzensport, auch wenn es nur um Bruchteile von Sekunden geht. Um 15 Hundertstel hat Gregor Traber seit 2012 seine Bestzeit verbessert, von 13,47 auf 13,32 Sekunden. Das hört sich nach wenig an, macht aber viel aus: den Unterschied zwischen deutscher und internationaler Klasse. Doch es steckt noch mehr dahinter – weil aus Traber (23) in dieser Zeit ein anderer Athlet geworden ist. Auch dank seines Trainers.

Die US-Schule kommt zum Tragen

Marlon Odom (33) hat einen US-amerikanischen Vater und eine deutsche Mutter, ab seinem fünften Lebensjahr wuchs er in Texas auf, wo der Vater, ein Soldat, stationiert war. Schnell zeigte sich sein sportliches Talent, ab der elften Klasse spezialisierte er sich auf Leichtathletik. Er gehörte am College zu den besten US-Hürdensprintern, hatte gute Trainer, studierte Sportwissenschaft. Die Basis war gelegt, in Theorie und Praxis (Bestzeit 13,45 Sekunden). Doch Odom nahm noch mehr mit, als er nach Deutschland zog: Die Mentalität eines US-Topathleten – die er nun seinen Schützlingen vermittelt. Allen voran Gregor Traber.

Wer ein Training des BWL-Studenten im Stadion Festwiese beobachtet, merkt sofort: Traber ist enorm selbstkritisch, benötigt viel Zuspruch. Gleichzeitig ist er dankbar für jeden Verbesserungsvorschlag. Odom gibt ihm genau, was er braucht. Und kann Traber, wenn nötig, selbst zeigen, was er sehen will. Doch der Coach erklärt seinem Schützling noch mehr: Wie wichtig es ist, nicht zu verkrampfen und nichts zu erzwingen, sondern den Moment zu genießen. Er gibt ihm Selbstvertrauen. Und immer neue Lösungen an die Hand. „Man muss kein Weltklasse-Athlet gewesen zu sein, um ein guter Trainer zu werden. Aber es hilft“, sagt Traber. „Ich habe durch Marlon Odom zu mehr Lockerheit und Selbstkontrolle gefunden. Ich bin ein viel besserer und konstanterer Läufer geworden.“ Entsprechend groß sind die Ambitionen für Rio.

Seine Saisonbestmarke steht bei 13,37 Sekunden, aufgestellt Ende Juni in Madrid. Diese Zeit wird wohl nicht reichen, um in Rio in den Endlauf kommen. Das weiß auch Traber. Er weiß allerdings auch, dass er mehr drauf hat – erstmals unter 13,30 Sekunden zu laufen, zum Beispiel. „Das kann ich hinbekommen“, sagt der Athlet. Und der Trainer fügt hinzu: „Auf jeden Fall.“

Das perfekte Rennen gibt es nicht

Der Optimismus ist groß, obwohl zuletzt bei der EM nichts ging. Traber trat in eine Hürde, scheiterte im Halbfinale. Trotzdem ist der Optimismus nicht unbegründet. Im Training läuft es bestens, erstmals seit langem ist Traber verletzungsfrei, nachdem er im Juli 2015 zuerst Probleme mit dem Hüftbeuger bekam, sich dann einen Muskelbündelriss im Oberschenkel zuzog und erst im Februar 2016 wieder beginnen konnte, über Hürden zu laufen – Olympia war damals in weiter Ferne. Nun ist Rio ganz nah. Auch, weil niemand im Team Traber über Grenzen spricht. Erst recht nicht der Trainer.

Odom hält den Hürdensprint für die schwierigste Leichtathletik-Disziplin. Weil es enorm viele Möglichkeiten gibt, Fehler zu machen. Jede der zehn Hürden ist eine neue Aufgabe, Start und Zieleinlauf sind wichtig. Dazu kommt die Gefahr, von Gegnern angerempelt zu werden. Die Technik ist sehr komplex, der Athlet hat nur einen Versuch. Was bedeutet: Jeder Lauf ist eine Herausforderung. Andererseits gibt es so gut wie nie ein perfektes Rennen. „Folglich wäre es fatal, sich eine Grenze zu setzen“, sagt Marlon Odom, „ich bin aufgewachsen im Wissen, dass es keine Grenzen gibt. Dass man sie erleben und immer wieder neu austesten muss. Als Trainer wäre es deshalb fatal, zu sagen, mein Athlet kann diese oder jene Zeit schaffen. Er hätte diese Grenze immer im Hinterkopf, könnte niemals noch schneller laufen.“ Tempo ohne Limit – unter diesem Motto steht auch die Strecke, die Traber und Odom gemeinsam gehen.

Seit Januar 2014, als Odom eine Trainerstelle beim Deutschen Leichtathletik-Verband und am Olympiastützpunkt Stuttgart erhielt, sind die zwei ein Team. Zuvor war die Vorstellung, von einem früheren Konkurrenten gecoacht zu werden, für Traber seltsam. Doch nach dem ersten Gespräch mit Odom war dieses Gefühl weg. Er spürte: Da ist einer, der weiß, von was er spricht. Und auch der Trainer war sofort angetan. „Gregor ist immer bereit, hart zu arbeiten. Ich muss ihn nie zu etwas zwingen“, sagt Odom, „er hat, obwohl er noch jung ist, bereits das Potenzial, um in ein großes Finale zu kommen.“ Vielleicht läuft es ja schon in Rio rund. Der bittere Moment im Jahr 2012? Er wäre dann vergessen. Endgültig.