Human Abfall zeigen im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin, warum sie als Punk-Sensation des Jahres 2014 bundesweit Aufsehen erregt haben. Ihr Gig gerät zum hysterisch-dadaistischen Lärmgewitter.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Sthttgart - Kein Zweifel: Den angeekelten Blick ins Publikum beherrscht Sänger Flávio Bacon perfekt. Minutenlang steht er bewegungslos auf der Bühne und lässt die etwa 150 Zuhörer im Stuttgarter Kulturclub Merlin teilhaben an seinem Leid. Wut und Weltschmerz mischen sich in seiner starren Miene, während die Band mit einem dumpf in den Magen schlagenden Bass und einer grell verzerrten Gitarre den Klangbeton anrührt, der gleich aufs Auditorium niederprasseln wird.

 

Human Abfall“ nennt sich die vierköpfige Formation, die im vergangenen Jahr mit ihrer wütend-wahnhaften Wucht für bundesweites Aufsehen gesorgt hat. Seit das Fachblatt Musikexpress das edel mit Buchdruck ausgestattete und in Leinen gebundene Debütalbum „Tanztee von unten“ als eine der besten Punkplatten des Jahres geadelt hat, gilt das einst vor allem als Hip-Hop-Hochburg gefeierte Stuttgart auch als Jungbrunnen der Punk-Szene.

Der neue Sound aus dem Süden wird wahlweise als „klaustrophobisch“ oder „psychedelisch“ beschrieben, beim Versuch, das Stuttgarter Post-Punk-Quartett irgendwie musikalisch einzuordnen, fallen Begriffe wie Dada und Hysterie.

„Was Friedrich Dürrenmatt für die Literatur ist, sind Human Abfall für die Musik“, wirbt das Label Sounds of Subterrania, bei dem der düstere Erstling erschienen ist. Die Band jedenfalls ist längst überregional unterwegs. Subversiver und vor Bitterkeit triefender Krach als Gegenentwurf zu einer Stadt, die mit der Erfindung der Kehrwoche die Sauberkeit zum Maß aller lebenswerten Dinge erhoben hat.

Partyhymnen? Nö

Punkige Partyhymnen jedenfalls sind beim Auftritt im Merlin nicht zu hören, von melodiösen Tonfolgen und sanfter Eingängigkeit kann bei den vier Stuttgartern keine Rede sein. Die Musik von Human Abfall ist anstrengend, lärmig, fordernd, kein kurz mal nebenbei genießbares Hintergrund-Gedudel. Untauglich fürs Radio – und absolut nicht tanzbar.

Kein Wunder, dass sich Frontmann Flávio Bacon auch nicht als Sänger versteht. Der Kopf der 2011 gegründeten Band, nach dem Studium von Medientheorie und Sozialarbeit längst mit einem ordentlichen Job in der örtlichen Industrie ausgestattet, sieht sich in der Rolle des „Agitators“. Auf der Bühne präsentiert sich Bacon als ein ins Mikrofon brüllender Feldwebel. „Ich liebe keine Nation! Ich liebe meine Frau und meine Kinder!“, schreit er ins Publikum.

„Ich brauche keinen neuen Staubsauger“

Dutzendfach werden Textzeilen wie „Verlassen Sie mein Büro“ oder „Ich brauche keinen neuen Staubsauger“ wiederholt. Erst durch die Botschaften funktioniert auch die musikalische Idee der Band, die sich beim Auftritt im Stuttgarter Westen an den Instrumenten munter abwechselt.

Ringo Stelzel und JFR Moon, der seinen bürgerlichen Namen nicht verraten will, spielen mal Gitarre und mal Bass, Pavel Schwarz alias Bronco sitzt nicht nur am Schlagzeug, sondern bedient auch diverse Effektgeräte. Aus dieser Mischung entstehen die Soundwände, die die Wucht der Songs unterstreichen sollen.

Psychohygiene fünf minus

Bei Stücken wie „14 Tage Urlaub“ oder „Psychohygiene fünf minus“ seziert die Band die Absurdität moderner Lebenswelten. Neben den zehn Songs des im vergangenen Mai erschienenen Debütalbums haben Human Abfall beim Pop-Freaks-Festival auch drei neue Titel im Repertoire.

Der Name Human Abfall ist Programm – auch wenn Frontmann Bacon mit seinen hellbraunen Lederschuhen, der blauen Edeljeans und einem Pullunder in gedeckten Farben über dem blau-rot karierten Herrenhemd nicht unbedingt den Eindruck macht, als würde er sich auf der Bühne die verletzte Seele aus dem Leib schreien. Der Eindruck täuscht. Und zwar gewaltig.

Den Nerv des Publikums allerdings trifft die Band, auch wenn Pogo-Getümmel ausbleiben. Für Drei-Akkorde-Punkmusik der klassischen Prägung ist der Sound von Human Abfall zu komplex, zu anspruchsvoll, vielleicht auch ein wenig zu intellektuell.

Der Hauch musikalischer Avantgarde spiegelt sich auch in der Zuhörerschaft: Das Publikum im Kulturclub Merlin besteht eher aus Lehramtsstudenten, Drehbuchautoren und Bauzeichnern denn aus Freaks mit nietenbesetzten Lederjacken. Verstöße gegen das Rauchverbot sind nicht zu vermelden, dass ein Pärchen beim Auftritt eine Glasflasche an der Bühnenkante zerschlägt, wird von den umstehenden Besuchern mit verstörten Blicken registriert.

Das Gewitter dauert eine Stunde

Allzu lang dauert das Konzert im Merlin übrigens nicht: Nach knapp einer Stunde ist das Gewitter vorbei, der Auftritt von Human Abfall auf der Bühne ist so kurz, knackig und kraftvoll wie die Stücke der Stuttgarter Band.

Voraussichtlich noch in diesem Jahr soll das zweite Album auf den Markt kommen. Die beim Pop-Freaks-Festival als Vorgruppe auftretende Band Die Wirklichkeit erhält für ihr ebenfalls Warm-Up-Programm berechtigten Applaus, der Veranstaltungssaal im Merlin ist schon bei den Songs der aus Solingen stammenden Indie-Band („Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner kriegt’s mit“) gut gefüllt.