Wir haben uns mit Flavio Bacon, dem Sänger der Stuttgarter Band Human Abfall getroffen. Er hat uns was von Dadaismus erzählt, von viel Geld für wenig Arbeit – und vom zweiten Album.

Stuttgart - Und plötzlich waren sie da: Human Abfall, die uns musikalisch den Spiegel unserer Gesellschaft entgegenhalten. Beim Music Award Region Stuttgart (MARS) genügte dies auf Anhieb für den Nachwuchsaward und 5.000 Euro Preisgeld. Wer und was steckt hinter der Noise- und Postpunkband?

 

Es ist acht Uhr morgens, als wir Flavio Bacon in einem Café im Stuttgarter Osten treffen. Er bestellt sich einen Eistee und ein Croissant, seine Kleidung ist grau und schlicht. „Ich komme gerade von der Arbeit“, sagt er. „Nachtschicht“. Das Frühstück ist also Bacons Abendessen. Er arbeitet nicht an der Bar, sondern in einer Gießerei. Nachts zumindest. Am Tag und auf der Bühne ist Bacon jedoch Punkmusiker und Sänger unter anderem bei Human Abfall.

Nicht ungewöhnlich ist ein solches Doppelleben bei Musikern. Manchmal, gerade zu Beginn, sogar für das „Überleben“ notwendig. Doch Bacons Ziel ist, mit wenig Arbeit viel Geld zu verdienen. Ein Satz, der uns nicht nur beim Frühstück entgegenknallt. Bacon hat es so auch schon bei der MARS-Preisverleihung der Zuschauermenge mitgeteilt.

Was zu beweisen ist

Was plump klingt und doch das Ziel, gar der heimliche Wunsch von so vielen ist, setzt Bacon in einem ausgeklügelten Plan durch. Der 35-jährige Stuttgarter, der in Aschaffenburg und Kanada aufwuchs, hat Hochschulabschlüsse in Medienmanagement und Sozialer Arbeit und hat sich lange mit Theorien von Kant und Bordieu beschäftigt. Dabei studierte er die Komplexität der Gesellschaft und des Menschen. Sich daraus das Einfachste und das Gewinnbringendste zugleich zu ziehen, mag logisch klingen – leicht ist es nicht.

„Ich möchte beweisen, dass man auch mit einem hohen Anspruch an Text und Musik – ohne sich den gängigen Hörgewohnheiten anzubiedern – so viel Erfolg haben kann, wie Bands die nur gefällig und volksnah sind“, sagt Bacon.

Bacon bei der Bärenjagd

Durch seine Kindheit und spätere Teile seine Jugend in Kanada sehe er einiges zielstrebiger und stelle den persönlich geprägten Individualismus hinten an. „Gerade meine erste Bärenjagd mit elf hat mir prägend gezeigt wie schnell man richtige Entscheidungen treffen muss, um Ziele zu erreichen“, sagt er.

Sich deswegen einen Beruf in der Industrie zu suchen, um dadurch mehr Geld und Freizeit zu haben, klingt plausibel. Dass er die Zeit für Musik nutzt, weniger. Denn Bacon ist nicht von Haus aus Musiker. „Ich war lange mit der Musik unzufrieden“, sagt er, „für mich gab es lange nichts Neues und nichts Griffiges.“

Also suchte sich Bacon 2011 Musiker für eine Band. Mit Bronko Schwarz, Fabian Drung und Ringo Stelzel fand er nicht nur talentierte Unterstützer, sondern baute sich um sich herum eine Szene auf. Alle spielen in anderen Projekten oder haben gar ihr einiges. Fabian Drung ist beispielsweise als JFR Moon unterwegs, Bronko Schwarz spielt bei Levin Goes Lightly.

Musikalisch hört man da Gemeinsamkeiten, textlich weniger. Bacon beschäftigt sich für Human Abfall beispielsweise mit Europa, der Finanzkrise oder der Unzufriedenheit der Gesellschaft. Man könnte es auch mit „dem Abfall des Menschen“ betiteln, sagt er, oder schlicht: Human Abfall. „Ich versuche es textlich so umzusetzen, wie manche im Fitnessstudio. Es wird so lange wiederholt, bis eine Automatik entsteht“, sagt er.

Dies lässt sich vor allem an dem Song „Überkatze“ aus dem Debüt „Tanztee von Unten“, das letztes Jahr erschien, demonstrieren:

„Katzen, mit ihren kleinen Tatzen, schlendern an die Bluttöpfe der Bourgeoisie – da vermuten wir sie nie, Nein!“, ruft Bacon immer wieder im Song, während die schnell gespielten Töne von Gitarre, Bass und Schlagzeug laut schmettern und sich je nach Takt minimal verändern, bis sie sich wieder gleich anhören. „Es geht um Dadaismus“, sagt Bacon, „im Wesentlichen geht es um ein Aufbegehren gegen die Texte von Seiten der Künstler selbst. Die Künstler lehnten die Gesellschaft und deren Normen und deren Wertesystem, das sich auch in der Popmusik widerspiegelt, ab. Die traditionellen beziehungsweise etablierten Textformen wurden deshalb satirisch und übertrieben verwendet.“

Neues Album in Arbeit

Die Stücke auf „Tanztee von Unten“ klingen meist roh, unberührt und doch so einfach, dass sie wiederum im Ohr hängen bleiben. Eine Formel der Wiederholung, die Bacon klug einsetzte. Doch das zweite Album, das Human Abfall mit dem MARS-Preisgeld gerade bei Ralv Milberg produzieren, soll ein wenig anders werden. „Dieses Mal wird es noch experimenteller“, sagt Bacon, „Ich will Trap-, HipHop- und Elektrobeats einbauen!“

Ob das funktioniert, bleibt offen. Bisher ging fast jeder Plan, jede Formel von Bacon auf. Was zurückbleibt, sind die Reste seines Croissants und der letzte Schluck Eistee.

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