In Stuttgart wird nach Hundesteuerprellern gefahndet. Die Kontrolleure ziehen von Haus zu Haus, stellen Fragen und suchen nach Indizien.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Stuttgart - Ursula Fornefeld-Schmitz ist die Vertrauenswürdigkeit in Person. Die 58-Jährige sieht aus, als würde sie bei einem Kirchengemeindefest selbst gebackenen Kuchen verkaufen. Frau Fornefeld-Schmitz trägt eine blaue Bluse, beige Hosen und weiße Gesundheitsschuhe. Unauffällig zieht sie von Haus zu Haus, drückt Klingeln und flötet in Gegensprechanlagen: "Guten Tag, ich bin im Auftrag der Stadt Stuttgart unterwegs und führe eine Hundebestandsaufnahme durch. Ihre Angaben sind freiwillig. Haben Sie einen Hund?" Jede Minute macht sie das, etwa 500-mal am Tag, fünf Monate lang. "Mir macht der Job Spaß", sagt Ursula Fornefeld-Schmitz.

Stuttgart hat 400 Millionen Euro Schulden, es muss dringend Geld in die Stadtkasse. Bei der Sanierung des Haushalts sollen Hunde helfen. Bisher zahlen deren Halter 108 Euro jährlich pro Schnauze, jeder weitere Vierbeiner kostet 216 Euro; als beißwütig eingestufte Rassen wie American Staffordshire Terrier, Bordeaux Dogge und Bullmastiff werden mit 612 Euro versteuert. Die Grünen im Gemeinderat sympathisierten mit einer Erhöhung dieser Tarife, doch der Westhighland-Terrier-Besitzer Michael Föll (CDU) hatte eine andere Idee: Statt den ehrlichen Herrchen tiefer in die Tasche zu greifen, meinte der Finanzbürgermeister, wäre es angemessener, die gemeinen Hundesteuerhinterzieher ausfindig zu machen.

Eine zweckgebundene Hundesteuer?


"Hier begrüßt Sie Dima!" Der schriftliche Hinweis am Zaun samt Fotografie eines Deutschen Schäferhundes wäre nicht nötig gewesen, denn Dima steht bereits am Gartentor und bellt Ursula Fornefeld-Schmitz warnend an. Beruhigenderweise ist Dimas Frauchen nicht weit. "Ist gut, Dima", sagt Heide Goebbels, "ist gut." Ursula Fornefeld-Schmitz rattert ihren Spruch runter: "Guten Tag, ich bin im Auftrag der Stadt Stuttgart unterwegs...Ist das Ihr Hund?" "Ja", antwortet Heide Goebbels. "Dima ist ordnungsgemäß angemeldet. Ich schwöre!"

Heide Goebbels ist eine fröhliche 70-Jährige mit grauen, kurzen Haaren und Silberschmuck am Handgelenk. Sie erzählt, dass sie fast ein Vierteljahrhundert bei Zürich gelebt habe. Dort zahlte sie zunächst jährlich 50 Franken Hundesteuer. Dann lud die Kommune alle Hundehalter zu einer Bürgerversammlung ein und schlug vor, 30 Franken mehr zu kassieren und dafür große Auslaufplätze für die Vierbeiner anzulegen, die regelmäßig gereinigt werden. Die Hundehalter stimmten zu - und allen war geholfen. "Ich würde mir wünschen, dass auch in Stuttgart die Hundesteuer zweckgebunden verwendet wird und nicht dazu missbraucht wird, um Haushaltslöcher zu stopfen", sagt Heide Goebbels.

Rund 100 Euro Kopfgeld


Die Stuttgarter Stadtväter handeln gesetzestreu: In Deutschland dürfen Steuereinnahmen nicht an eine konkrete Gegenleistung gebunden sein. Die Hundesteuer wandert in einen großen Topf, aus dem die Ganztagesbetreuung von Kleinkindern, das Flicken von Schlaglöchern oder der Bau eines neuen Tiefbahnhofs bezahlt wird. Zudem schafft die Abgabe Arbeitsplätze in der kommunalen Bürokratie: sie muss erhoben, verwaltet, eingezogen werden.

Und kontrolliert. Auf dieses Metier hat sich die Dürener Firma "Springer Kommunale Dienste GmbH" spezialisiert. Die Stadt Stuttgart zahlt dem Privatunternehmen eine Erfolgsprämie von etwa 100 Euro pro entdecktem Schwarz-Hund. 43 Mitarbeiter sind zurzeit im Einsatz, sie erhalten einen Akkordlohn: Für jeden Wohnungsbesuch gibt es einen bestimmten Betrag, der von der Firma Springer nicht genannt wird. Verraten wird lediglich, dass bis spätestens Mitte November jeder Stuttgarter Haushalt auf Hundehaltung hin überprüft sein soll. Maximal 300.000 Euro hat die Stadt für die Bestandsaufnahme vorgesehen; die Maßnahme soll sich durch die daraus resultierenden Steuermehreinnahmen mittelfristig auszahlen. Aktueller Zwischenstand: 230 neu angemeldete Hunde. Für die Springer GmbH, die das unternehmerische Risiko der Kontrollaktion trägt, ist das ein ernüchterndes Ergebnis.

Hundehalter in Stuttgart brauchen ein dickes Fell


Mit 19 Hunden pro 1000 Einwohner liegt Stuttgart im Vergleich mit anderen deutschen Metropolen auf dem letzten Platz. Spitzenreiter ist Magdeburg (48) vor Erfurt (43) und Duisburg (42). "Es kann nicht sein, dass bei uns weniger Hunde gehalten werden als woanders", meint Michael Föll und hofft, dass sich durch die Bestandsaufnahme die Steuereinnahmen von bisher 1,3 Millionen Euro jährlich deutlich steigern lassen. Was der Finanzbürgermeister offenbar nicht einkalkuliert hat, ist die Mentalitätsvariable: wer in der Let's-motz-Hauptstadt Stuttgart einen Hund hält, benötigt ein besonders dickes Fell. "Es gibt oft Theater wegen Dima", erzählt das freundliche Frauchen Heide Goebbels. "Manche schreien mich schon von weitem an: Nehmen Sie Ihren verdammten Köter an die Leine! Vermutlich haben solche Leute Angst vor meiner braven Dima."

Ursula Fornefeld-Schmitz sagt, dass sie sich noch nie vor einem Hund gefürchtet habe - "sonst könnte ich den Job nicht machen". Früher hat die Rheinländerin Kopierer vertrieben, dann wurde ihr bei Rank Xerox gekündigt. Seit acht Jahren ist sie nun für die Springer GmbH auf Achse. Als Leiterin einer aus Rentnern, Hausfrauen und Studenten zusammengesetzten Drückerkolonne fahndet sie nach Hundesteuerhinterziehern. Egal, ob in Düsseldorf, Itzehoe oder Bottrop: am Ende der Springer-GmbH-Einsätze sind in den überprüften Städten 20 bis 30 Prozent mehr Hassos, Bellos und Fiffis angemeldet. "In jedem Ort gibt es Schwarz-Hunde", sagt Fornefeld-Schmitz. "Und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten."

Folglich wird auch dort nach dem Rechten geschaut, wo jene Bürger residieren, die eigentlich nicht auf den Cent achten müssen. Die Gänsheide ist das, was man gemeinhin als "beste Stuttgarter Halbhöhenlage" bezeichnet. Die Stadt liegt einem zu Füßen, in der Nachbarschaft hat der Herr Ministerpräsident seinen Amtssitz und so mancher Firmenboss seine Privatgemächer. "Mir öffnete hier sogar schon ein Butler", erzählt Ursula Fornefeld-Schmitz. "Die Leute in diesem Viertel sind sehr höflich."

Ein Tennisball als Beweisstück


Doch das kultivierte Umfeld hat auch Nachteile. Fornefeld-Schmitz muss zu manchen Villen steile Treppen erklimmen, und wenn sie dann schnaufend klingelt, ist meistens keiner zu Hause. Im Regelfall steckt die Kontrolleurin also lediglich einen gelben Zettel mit der Aufschrift "Wichtige Information zur Hundebestandsaufnahme" in den Briefkasten und sucht beiläufig nach Indizien. Wenn nach dem Klingeln Gebell aus dem Haus ertönt oder ein zerbissener Tennisball im Vorgarten herumliegt, notiert Fornefeld-Schmitz die Beobachtung und leitet sie per Formblatt an die Stadtverwaltung weiter. "Ich kann Hunde förmlich riechen", sagt sie. Als Schnüfflerin möchte sie aber nicht bezeichnet werden: "Ich bin eine ganz normale Dienstleisterin."

Ursula Fornefeld-Schmitz plaudert gerne. Sie erzählt, dass sie in Plieningen in einer netten Pension untergekommen sei, dass ihr Chevrolet Nubira mit Erdgas betankt werde und dass sie an diesem Morgen ein heftiger Schauer erwischt habe. Doch nicht jedes Gesprächsthema ist ihr genehm. Warum gibt es keine Pferde- oder Katzensteuer? Widerspricht es nicht dem Gleichheitsgrundsatz, dass nur Hundehalter blechen müssen? "Es existiert in Deutschland auch eine Schaumweinsteuer, ohne dass sich jemand darüber beschwert", entgegnet Ursula Fornefeld-Schmitz. Punktum!

Hunde in der Großstadt - unnatürlich?


An dem Neubau in der Sandberger Straße glänzen sechs Kupferklingelknöpfe. Ursula Fornefeld-Schmitz drückt alle, plötzlich springt die Tür auf. Oben wartet ein Herr mit Professorentitel. "Guten Tag, ich bin im Auftrag der Stadt Stuttgart unterwegs ..." , sagt Fornefeld-Schmitz. Der Professor besitzt keinen Hund, aber Ansichten zum Thema, die er loswerden will. In der Großstadt hätten Hunde nichts verloren: "Das ist unnatürlich." Es sei schlimm, wie die Tiere vermenschlicht würden, und die Hundesteuer sei selbstverständlich gerechtfertigt: "Es geht darum, die Schäden zu ersetzen." In Frankreich, wo er und seine Gattin sich häufig aufhielten, gebe es glücklicherweise nicht so viele Hunde.

Auch ein Professor kann sich irren: Laut dem Städtetag liegt Frankreich mit 169 Hunden pro 1000 Einwohnern an der europäischen Spitze. Allein in Paris tummeln sich rund 200.000 "Chiens", die durchschnittlich dreimal täglich ihr Geschäft verrichten. Macht 600.000 "Crottes" am Tag. Aufs Jahr berechnet ließe sich unter dem summierten Scheißhaufen der Eiffelturm begraben. Und wie reagiert die Pariser Stadtverwaltung? Setzt Motorradstaubsauger ein, die die stinkenden Hinterlassenschaften mit moderner Technik vom Trottoir bannen. Die Lasten trägt die Allgemeinheit, denn wie in fast allen europäischen Staaten gibt es in Frankreich keine Hundesteuer.

In deutschen Ortschaften setzt man hingegen seit dem Mittelalter auf eine prohibitive Abgabe. Die Hundesteuer verfolgt nicht nur einen fiskalischen, sondern auch einen ordnungspolitischen Zweck: Sie soll die Bürger von der Haltung eines öffentlich kotenden Haustieres abhalten. Jedoch ist auch eine ungewollte Nebenwirkung denkbar. "Ich habe das starke Gefühl, dass Leute, die Steuern zahlen, dafür auch etwas zurückhaben wollen", sagt der Berliner Sozialforscher Dieter Rucht, "in diesem Fall das Saubermachen durch die Stadtverwaltung." Sprich: der Wissenschaftler Rucht glaubt, dass sich die Bürger durch die Zwangszahlung von ihrer Pflicht befreit fühlen, sich mit einer Plastiktüte hinunterzubeugen, um die Tretminen aufzusammeln.

Tatsächlich ist diese Ansicht selbst unter schwäbischen Saubermännern anzutreffen. So bruddelt ein gemeinhin reinlicher und ordnungsliebender Dackelhalter (der Name ist dem Autor bekannt): "Bei so viel Steura ko mei Hund noscheißa, wo 'r will - ond oimal en dr Woch vors Rathaus!"