Der Hungertod des Rasmane K. im Bruchsaler Gefängnis hat ein Nachspiel vor Gericht: Eine Medizinerin muss sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Aber warum wird das Verfahren gegen den Anstaltsleiter eingestellt?

Stuttgart - Mehr als 30 Zeugen hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe vernommen, etliche medizinische Gutachten eingeholt und die Krankenakten ausgewertet – nun legte die Behörde das Ergebnis ihrer Ermittlungen zum Hungertod des Rasmane K. in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal vor. Das Verfahren gegen den Leiter der Haftanstalt wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung wird eingestellt. Gegen die ebenfalls beschuldigte Anstaltsärztin erhebt die Staatsanwaltschaft jedoch Anklage beim Landgericht. Beide sind seit Bekanntwerden der Vorwürfe vom Dienst suspendiert.

 

Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden, handelt es sich doch um einen einmaligen Fall. Noch niemals war ein Gefangener in einer baden-württembergischen Haftanstalt verhungert. Bedienstete fanden den aus Burkina Faso stammenden Rasmane K. am 9. August vergangenen Jahres tot in seiner Einzelzelle. Der Mann war gefährlich, allerdings auch krank an der Seele, wie ein nach seinem Tod erstelltes, von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten ergab.

Die Zelle war zunehmend „geruchsbelastet“

Demnach litt der 33-Jährige unter einer „krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit“. Der Sachverständige geht davon aus, dass der Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abzuwenden gewesen wäre, hätte Rasmane K. eine Behandlung mit Psychopharmaka erfahren – gegebenenfalls in Verbindung mit einer künstlichen Ernährung.

Nach den Informationen, die über das Justizministerium an die Öffentlichkeit gelangten, lebte Rasmane K. in dem Wahn, er solle vergiftet werden. Deswegen verweigerte er von Februar 2014 an die Anstaltskost. Stattdessen kaufte er im Gefängnisladen Müsli, das er in Leitungswasser einweichte. Bereits im Dezember 2013 war in einem Bericht der JVA Bruchsal von dem „Verdacht eines wahnhaften Geschehens“ die Rede gewesen. Rasmane K. verbrachte seine Tage zusehends „im Bett liegend“. Kurz vor seinem Tod wurde seine Zelle als „zunehmend geruchsbelastet“ geschildert, Kontakt erfolgte nur noch über Klappe in der Zellentür. Nach dem Tod des Gefangenen wurde bekannt, dass er zeitweise ohne die obligatorische Zustimmung des Justizministeriums in Einzelhaft genommen worden war. In der Folge wurde problematisiert, ob das Ministerium mit Rainer Stickelberger (SPD) an der Spitze seiner Aufsichtspflicht nachkomme.

Für die Staatsanwaltschaft war letztlich von Bedeutung, ob der Gefängnisleiter und die Ärztin den Tod von Rasmane K. vorhersehen konnten. Im Fall der Ärztin bejaht die Behörde den Tatverdacht einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassung. Als Anstaltsärztin sei sie anders als der Anstaltsleiter unmittelbar für die gesundheitliche Überwachung und Versorgung des Gefangenen verantwortlich gewesen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, „dass sie trotz Kenntnis der psychischen Auffälligkeiten fahrlässig nicht erkannte, dass der Gefangene einer medizinischen – auch zwangsweisen – Versorgung bedurfte“.

SPD-Fraktion spricht SPD-Minister frei

Der Leiter der Haftanstalt, der in der Justiz als robuster Geselle beschrieben wird, habe die Todesgefahr für Rasmane K. nicht erkennen können. Vielmehr habe er darauf vertrauen dürfen, dass die Anstaltsärztin die Situation im Griff habe. Dass der Mann auf seinen Posten zurückkehrt, kann allerdings ausgeschlossen werden.

Justizminister Stickelberger machte nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft geltend, sein Ressort könne seine „übergeordnete“ Aufsichtsfunktion nur wirksam ausüben, wenn das Personal vor Ort aus dem täglichem Umgang mit den Gefangenen den individuellen Gesundheitszustand fachkundig beurteile und und vollständig an die Anstaltsleitung weitergebe.

Der SPD-Rechtspolitiker Sascha Binder kommentierte: „Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Die Todesgefahr war für den suspendierten Anstaltsleiter und somit auch für das Justizministerium nicht erkennbar.“ Im Dezember hatte Stickelberger im Landtag einen Entlassungsantrag der CDU überstanden.

Der CDU-Fraktionschef Guido Wolf sprach zuletzt von einem „Schandfleck für die Justizpolitik in Baden-Württemberg. Der CDU-Abgeordnete Bernhard Lasotta sagte, Stickelberger stehe nach wie vor in der Pflicht, „die Versäumnisse rund um den Hungertod und die Verantwortlichkeiten des Ministeriums und der Anstaltsleitung vollständig aufzuklären.“