Klassische Kriege werden meist mit Waffengewalt ausgetragen. Doch immer mehr Konflikte und Auseinandersetzungen werden absichtlich verschleiert. Das Zeitalter der sogenannten hybriden Kriegsführung hat begonnen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner merkt’s? Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist auf den zweiten Blick Teil der sicherheitspolitischen Realität. Schon seit einiger Zeit sind die klassischen Kriege zwischen zwei Staaten nicht mehr die Norm. Die Grenze zwischen Krieg und Frieden verwischt immer stärker, und sie wird aus strategischen Gründen absichtlich vernebelt. Nach der Krim-Krise wurde diese Tatsache zum ersten Mal in aller Schärfe offenbar. Bis die Staaten des Westens tatsächlich begriffen, dass Moskau die zur Ukraine gehörende Halbinsel tatsächlich dem eigenen Herrschaftsbereich wieder einverleiben will, war die Krim schon annektiert. Im Donbass erfolgte unmittelbar danach die zweite Anwendung dieser Taktiken. Darüber, welche Rolle russische Soldaten dort spielten, wurde wochenlang gerätselt und gestritten. Der Westen behauptete: eine große – Moskau sagte: keine. Die Art der „Eroberungen“ war nebulös.

 

Heute wird nicht mehr bezweifelt, dass Russlands Präsident Wladimir Putin seinerzeit erstmals konsequent Prinzipien der so genannten hybriden Kriegsführung angewandt hat. Diese ist seither zu einer der primären Herausforderungen westlicher Sicherheitspolitik avanciert.

Was bedeutet hybride Kriegsführung eigentlich?

Der Begriff beschreibt eine „flexible Mischform der offen und verdeckt zur Anwendung gebrachten, regulären und irregulären, symmetrischen und asymmetrischen, militärischen und nicht-militärischen Konfliktmittel mit dem Zweck, die Schwelle zwischen den insbesondere völkerrechtlich so angelegten binären Zuständen Krieg und Frieden zu verwischen“. So hat es der Politikwissenschaftler Florian Schaurer vom Zentrum Informationsarbeit der Bundeswehr definiert. Dabei werden nicht in erster Linie militärische Mittel – also Armeen und Waffen – eingesetzt, um die eigenen politischen Ziele zu erreichen. Ein zentrales Element ist „die Verschleierung eigener Absichten, Fähigkeiten und Handlungen“ mit Hilfe von Propaganda und Desinformation. „Hybride Kriegsführung operiert auf höchst kreative Weise größtenteils unterhalb juristisch bestimmbarer Intensitätsschwellen“, erklärte Schaurer. Das macht die Abwehr so schwierig, denn es „nimmt dem Verteidiger die Eindeutigkeit eines Reaktionsgrundes“.

Kann man überhaupt von Krieg sprechen?

Wer sich von dem Heeresreformer Carl von Clausewitz leiten lässt, der Krieg schon im 19. Jahrhundert als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln definiert hat, wird die Frage bejahen. Tatsächlich waren hybride Taktiken und Kriegslisten schon immer Bestandteil der Kriegsführung, wie Claudia Major und Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik erläutern. Neu ist aber die konsequente Orchestrierung der Aktionen und die Tatsache, dass Streitkräfte in den hybriden Auseinandersetzungen unserer Tage „nicht primär Mittel der Gewaltanwendung sind, sondern als Drohkulisse dienen“. Irreguläre Maßnahmen – etwa Propagandaoffensiven zur Aufwiegelung von Minderheiten oder das Abstreiten verdeckter Militäroperationen – „sollen den Konflikt in Bereiche tragen, in denen die (militärischen) Fähigkeiten des Gegners weniger entscheidend sind“. Deshalb müssen Nato und EU nach Auffassung von Claudia Major und Christian Mölling eine Lehre aus der Ukraine-Krise ziehen: „Dass der Beginn einer Eskalation derzeit wohl nicht in der Invasion einer Panzerdivision aus dem Osten bestehen würde, sondern darin, dass Staaten von innen destabilisiert werden, etwa indem man Minderheiten aufwiegelt.“

Welche Belege gibt es jenseits der Ukraine-Krise?

Die baltischen Staaten befürchten seit Langem, dass Russland ihre russischsprachigen Minderheiten in Estland, Lettland und Litauen ins Visier nimmt und Unzufriedenheit schürt. Die Bundesrepublik hat bei dem mit Hilfe russischer Propaganda-TV-Sendungen in deutscher Sprache hochgespielten Beispiel der vermeintlich vergewaltigten Lisa aus Marzahn eine Ahnung davon bekommen, was das heißen kann. Trotz erwiesener Unwahrheit des Vorwurfs, gingen tausende Russlanddeutsche in verschiedenen deutschen Städten und vor dem Kanzleramt auf die Straße, weil die Behörden einer der Ihren angeblich jeden Beistand verweigerten. Die einzusetzenden Mittel seien auf das „Protestpotenzial der jeweiligen Bevölkerung abzustimmen“, hat der russische Generalstabschef Valery Gerasimov einmal erläutert. Ihre Wirkung sei in Bezug auf das Ausmaß der Verluste und der Zerstörung, der katastrophalen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen „durchaus vergleichbar mit den Folgen eines richtigen Krieges.“

Vertreter der Koalition wie etwa Gernot Erler, der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, sehen in der jüngsten Propagandaoffensive um die vermeintliche Vergewaltigung zwar keine hybride Kriegshandlung gegen Deutschland. Aber ein strategisches Interesse Russlands, Europa zu spalten und Unruhe zu erzeugen, erkennt Erler ebenso wie der CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter. Kiesewetter ist überzeugt, dass Russland auch die Flüchtlingskrise nutzt, um Europa zu destabilisieren.

Wie bedrohlich ist feindliche Propaganda für die Demokratie?

Vor einem Jahr hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel erschüttert gezeigt über die „Verunsicherbarkeit unserer Gesellschaften“. Lange Zeit galten westliche Demokratien mit ihrem Fundament aus Meinungs- und Pressefreiheit als resistent gegen Propagandalügen, die unangefochten durch anderslautende Interpretationen von einem staatlichen Medienapparat verbreitet werden. Doch momentan sieht es so aus, als ob sich diese Stärke westlicher Demokratien in Verwundbarkeit verwandelt hätte. Tatsächlich wurde zum Beispiel in Deutschland besonders aggressiv darüber gestritten, wer nun die Schuld an der Eskalation in der Ukraine trage. Nach dem Terroranschlag auf „Charlie Hebdo“ kursierten im Internet Verschwörungstheorien, dass nicht die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), sondern die Amerikaner dahinterstecken. Das sind nur Beispiele.

Im Internet finden die absurdesten Thesen einen weiten Echoraum. Neben den Gerüchteverbreitern im Netz haben die klassischen Medien, die Nachrichten vor der Veröffentlichung auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen, ihre Torwächterrolle verloren. Tatsächlich können Propagandisten soziale Medien als Brandbeschleuniger der Desinformation nutzen.