Bakterien, die gegen gängige Antibiotika resistent sind, nehmen zu. Das ist vor allem in Kliniken ein Problem. Der Tübinger Krankenhaushygieniker Jan Liese erklärt warum.

Stuttgart - Nehmen Erkrankungen durch Krankenhauskeime zu? Der Berufsverband der Chirurgen hat vor kurzem davor gewarnt. Auch der Verband der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene schlug daraufhin Alarm: ihren Angaben zufolge liegt die Todesrate nach Krankenhauskeimen sogar doppelt so hoch, wie es die Chirurgen angaben. Jan Liese, Beauftragter für Krankenhaushygiene am Uniklinikum Tübingen, ordnet ein.
Herr Liese, was macht Krankenhauskeime eigentlich so gefährlich?
Patienten in Krankenhäusern werden immer älter und kränker, und damit empfänglicher für Viren und Bakterien. Es gibt viele Erreger, mit denen gesunde Menschen gut klar kommen. Aber Patienten nach einer Chemotherapie oder einer großen OP sind verstärkt gefährdet, Infektionen zu bekommen. Die Erreger sind in den letzten Jahren aber auch deutlich resistenter und damit schlechter behandelbar geworden.
Welche Rolle spielt dabei der Einsatz von Antibiotika?
Vermehrter Gebrauch von Antibiotika übt einen Selektionsdruck auf die Erreger aus, das ist bewiesen. In Krankenhäusern, wo am meisten Antibiotika verabreicht werden, ist der Druck auf die Erreger am höchsten, sie werden resistent, überleben die bakterienfeindliche Umgebung und können sich dann verbreiten. Der Antibiotikaverbrauch ist aber auch außerhalb des Krankenhauses ein wesentlicher Aspekt: in der Tiermast ist der Verbrauch sogar noch höher als im humanen Sektor. Das wirkt sich indirekt auf den Menschen aus.
Wie viele verschiedene Krankenhauskeime gibt es denn eigentlich?
Es gibt keine exakte Definition, was ein Krankenhauskeim ist. Theoretisch können Infektionskrankheiten mit Erregern sowohl im Krankenhaus als auch außerhalb auftreten. Es gibt keine Infektion, die nur in Kliniken auftritt. Grob geschätzt gibt es aber etwa ein Dutzend Keime, die im Zusammenhang mit Krankenhausinfektionen immer wieder in Erscheinung treten.
Und nehmen diese Keime tatsächlich zu? Experten scheinen sich uneins zu sein.
Es ist schwierig, solche Zahlen zu erheben. Da nicht alle Infektionen erfasst werden, basieren diese oft auf kleineren Erhebungen, die dann hochgerechnet werden.
Warum kann man das nicht exakt messen?
Ein Grund ist schlicht die große Zahl der Krankenhausbehandlungen in unserem Land. Jeder Patient müsste täglich nach standardisierten Kriterien auf das Vorliegen einer Krankenhausinfektion überprüft werden. Wenn man von kleinen Stichproben hochrechnet, kommen immer Fehler hinein. Gerade bei den gern zitierten Todesfällen durch Krankenhausinfektionen ist es schwierig zu definieren, ob es sich um eine Todesfolge aufgrund eines im Krankenhaus erworbenen Keims handelt oder um eine andere Begleiterscheinung. Je nach Art der Berechnung können die Zahlen deutlich voneinander abweichen.
Die Zahlen sind nun aber in der Öffentlichkeit, und das schürt Ängste.
Die Patienten müssen gut darüber informiert sein, was ihnen im Krankenhaus widerfahren kann. Aber man sollte Panik vermeiden und bedenken, dass alle Berufsgruppen im Krankenhaus zusammen mit der Krankenhaushygiene sehr viele Bemühungen anstellen, um Infektionen zu verhindern. Leider sieht die Öffentlichkeit oft nur, was alles nicht funktioniert. In den vergangenen Jahren ist viel passiert an den Krankenhäusern, um Strukturen zu schaffen, die gute Krankenhaushygiene begünstigen sollen. Infektionen passieren, das stimmt. Das darf man auch nicht unter den Teppich kehren. Aber es gibt nicht immer Schuldige, wenn so eine Infektion auftritt, auch wenn wir gerne danach suchen. Wichtiger wäre, einen nationalen Ansatz zu finden, wie wir die Situation verbessern können, ohne mit dem Finger auf jemanden zu zeigen.
Es scheint aber schon Kliniken zu geben, die es besser im Griff haben als andere.
Wir haben es in der Krankenhaushygiene immer mit Prozessen zu tun. Es sind Menschen involviert und es ist sehr schwer, einzelnen Maßnahmen einen Wert zuzuordnen. Händehygiene, Hygienemanagement, Personaldichte, Sterilisation und Desinfektion, Raumlufttechnik – das alles leistet einen Beitrag. Die verschiedenen Häuser haben aber auch sehr unterschiedliches Patientengut. Eine Uniklinik als Maximalversorger ist nicht vergleichbar mit einem ambulanten OP-Zentrum, welches nur spezielle Eingriffe durchführt. Das schlägt sich in Raten bestimmter Infektionen nieder. So entsteht manchmal der Eindruck, dass eine Klinik besser ist als die andere. Bei der Hygieneprophylaxe gibt es aber sicher von Klinik zu Klinik Unterschiede.
Sind denn diese Hygienevorschriften nicht für alle verbindlich?
Es gibt gesetzliche Rahmenbedingungen, an die sich alle halten müssen. So verlangt es das Infektionsschutzgesetz. Seit einiger Zeit wird es ergänzt durch die Medizin-Hygieneverordnung als Verordnung der einzelnen Bundesländer. Da sind die Rahmenbedingungen gut benannt. Wie sie aber ausgeführt werden, bleibt den Krankenhäusern überlassen. Es ist schwer, die Arbeitsabläufe komplett zu vereinheitlichen, da die strukturellen Voraussetzungen der Häuser so unterschiedlich sind.
Der Laie kann aber auch nicht einordnen, wo es hygienisch zugeht und wo nicht.
Das stimmt. Aber mittlerweile sind die Krankenhäuser verpflichtet, einen Hygieneplan zu erarbeiten. Dort muss dargestellt sein, wie im Krankenhaus mit Hygiene umgegangen wird. Es ist natürlich schwer zu kontrollieren, wie der Plan eingehalten wird. Aber einen Hygienestandard hat jedes Krankenhaus. Die Gesundheitsämter und Regierungspräsidien sind externe Kontrollinstanzen, die überwachen und überprüfen.
Wie sieht denn ein wirksamer Infektionsschutz aus?
In der Hygiene spielen viele Dinge eine Rolle. Dazu zählen auch viele weiche Faktoren wie die Personalausstattung. Auf Intensivstationen ist der Personalschlüssel 1:1 bis 1:2, was eine positive Auswirkung auf die Vermeidung von Infektionen hat, weil so weniger Kontakte stattfinden. Wenn das Personal dabei auch mehr Zeit hat, passieren unter Druck weniger Fehler, die zu einer Infektion führen können. Auch die Infrastruktur einer Klinik spielt eine Rolle: muss der Patient durch einen Bereich, in dem sich viele andere Patienten aufhalten? Und Personalschulung und deren Umsetzung ist sehr wichtig.
Ein 100prozentiger Schutz vor Krankenhauskeimen ist aber nicht möglich?
Nein. Das wird nie möglich sein. Auch wenn man alles richtig macht, wird die Infektionsrate in vielen Bereichen nie auf null kommen. Schätzungsweise zwei Drittel der in Krankenhäusern erworbenen Infektionen sind nicht vermeidbar. Wir müssen alles tun, um das eine Drittel zu vermeiden.
Für die Hypochonder unter uns: können sich auch Besucher im Krankenhaus anstecken?
Prinzipiell ja, genauso wie ich mich im Bus anstecken kann. Deshalb sollten auch Besucher im Krankenhaus auf eine Händedesinfektion achten.
Wie findet man eine hygienische Klinik?
Schauen Sie auf der Homepage der Klinik, ob dort etwas über das Hygienemanagement steht. Viele große Kliniken haben inzwischen auch Krankenhaushygieniker. Das sind Zeichen dafür, dass Hygiene eine große Rolle an einer Klinik spielt. Ich würde außerdem nach dem Infektionsrisiko der Klinik fragen. Das Infektionsrisiko wird ein Qualitätsmerkmal und ein Werbefaktor für Krankenhäuser werden, um Patienten zu gewinnen. Auf Dauer werden sich Krankenhäuser nicht leisten können, über ihre Infektionsraten nicht Bescheid zu wissen. Auf lange Sicht werden solche Zahlen erhoben und transparent gemacht werden. Dann können die Patienten Vergleiche anstellen. Heute ist das leider noch nicht der Fall.

Jan Liese (40 Jahre) stammt aus Hildesheim bei Hannover. In Freiburg hat er Medizin studiert und dort auch seine Facharztausbildung zum Mikrobiologen gemacht. Drei Jahre verbrachte er anschließend in New York für einen Forschungsaufenthalt, wo er zum Thema Mikrobiologie und Infektionskrankheiten arbeitete. Seit 2011 ist er am Institut für medizinische Mikrobiologie am Uniklinikum Tübingen beschäftigt. Seit einem Jahr hat er dort zudem den Posten als Krankenhaushygieniker inne.