1952 hatte James Bond seinen ersten Auftritt als Romanheld. So charmant wie später im Kino war der britische Agent da noch nicht. Das macht das Lesen aber erst interessant.

Stuttgart - James Bond ist müde, als wir ihn kennen lernen, als die Welt ihn erstmals kennen gelernt hat. Bond hat stundenlang im Casino gezockt, und nun ist auch er erschöpft. Zu Beginn von „Casino Royale“, dem 1952 erschienenen Auftakt von Ian Flemings Romanreihe, ist 007 noch alles andere als der mokant überlegene Tausendsassa der späteren Verfilmungen.

 

Der britische Topagent ist in „Casino Royale“, das im Rahmen einer Neuausgabe der Fleming-Bonds bei Cross Cult erstmals ungekürzt auf Deutsch erschienen ist, kein Playboy mit Weltrettungsauftrag. Er ist ein Handelsreisender in Sachen Weltmachtgerangel, eine Mischung aus Beamtengeist, Killerkompetenz und Maskengesicht. Als er erfährt, dass er mit einer Frau zusammenarbeiten soll, ist er enerviert und mault ganz klassisch macho-tumb, sein Auftrag sei doch kein Picknickausflug.

Der Topagent als Snob und Streber

Bond ist auch in seinem Debütroman ein Snob, wenn es um Autos geht. Er fährt einen 41/2-Liter-Bentley Jahrgang 1933. Aber das hat hier noch nichts Spielerisches, eher etwas Verkniffenes. Bond ist ein Streber, der sich einreden will, er sei ein Schöngeist der virilen Lebensfreuden.

So seltsam uneinnehmend die Hauptfigur ist, so verblüffend schlicht ist der Roman gebaut. Bond soll einen Fünfte-Kolonne-Mann Moskaus in Schwierigkeiten bringen, indem er ihn am Spieltisch ruiniert. „Casino Royale“ fehlt nicht nur die Beweglichkeit, die Exotik, die Dynamik, die man mit einem Bond-Film in Verbindung bringt. Der Roman hat fast schon etwas Verstocktes.

Bond-Kur gegen Frustrationen

Das aber muss man rückblickend wohl als Verdienst werten, als Beweis von Flemings Näschen für die Lesererwartungen. Er hat eben keinen abgehobenen Superhelden geschaffen, sondern einen Staatsangestellten mit erweiterten Kompetenzen und Überlebenstechniken.

Vielleicht war das die bestmögliche Fantasiegestalt für eine Leserschaft, die im Zweiten Weltkrieg gerade die reale Mixtur aus Heldenpathos, Schmutzmethoden und Bürokratie selbst mitbekommen hatte. Auch Fleming hatte ja mit Hilfe von Bond noch ein paar Frustrationen abzuarbeiten.

Flemings Weltkrieg im Büro

Ian Fleming (1908-1964), Sohn aus gutem Hause mit beinahe verkrachter Laufbahn, war dank seiner Fähigkeit, seine Gegenüber zu beeindrucken, immer wieder auf Posten gerutscht, für die ihm eigentlich die Qualifikationen fehlten. So war der eher zufällig als Journalist Tätige auch im Zweiten Weltkrieg überraschend als Quereinsteiger persönlicher Assistent des Chefs des britischen Marinegeheimdienstes geworden. Er war mittendrin im Krieg und doch weit entfernt von der Front.

Der Sekretär und Koordinator saß im Zentrum eines Netzes der oft riskanten Informationsbeschaffung und wurde doch von vielen Karriereoffizieren vermutlich als Fremdkörper, um nicht zu sagen, als Hochstapler betrachtet. Von einem beengten Büro aus hat Fleming Operationen taffer kleiner Spezialeinheiten geplant, die hinter den deutschen Frontlinien operierten. Er war Teil der Schattensoldatenszene und doch auch ihr Gegenteil, ein Bürokrat mit festen Mittagsessenszeiten.

Interessant weit weg von Connery und Moore

Als der chronisch Bindungsscheue in Friedenszeiten dann auch noch im Hafen der Ehe gelandet war, wollte er doch noch mal an die Front – im eignen Kopf jedenfalls. Er hat sich James Bond erfunden. In „Casino Royale“ bringt dieser Champion der „freien Welt“, wie man damals vorbehaltlos sagte, doch auch ein Erbteil Unfreiheit mit sich, das Bewusstsein, dienendes Rädchen im System zu sein. So sitzt er denn im Spielcasino und zockt mit Geld aus geheimen Staatskassen.

Wer sich „Skyfall“, Sam Mendes‘ cleveren Beitrag zum Bond-Kosmos, ansieht, sollte ruhig auch einmal einen Blick in „Casino Royale“ werfen. Auf ganz andere Weise ist Flemings Bond mindestens so weit von Sean Connery, Roger Moore und Pierce Brosnan entfernt wie der 007 von Daniel Craig.

Ian Fleming: Casino Royale. Roman. Aus dem Englischen von Anika Klüver und Stephanie Pannen. Cross Cult, Ludwigsburg, 2012. 240 Seiten, 11,80 Euro. Auch als E-Book, 5,99 Euro.