In Hohenstadt haben Gemeinde und Bauern der Bahn Gelände für den ICE-Tunnelbau überlassen. Auf die Entschädigung warten sie noch – was manchen Bauern hart ankommt.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Hohenstadt. - Je nachdem, aus welcher Richtung sich ein Besucher dem kleinen Albdorf Hohenstadt in diesen Tagen nähert, präsentiert sich die Landschaft in einem friedlichen, jedoch stark dahinschmelzenden Schneeweiß oder aber in einem aufgewühlten Graubraun. Zur Stimmung im Ort passt das matschfarbene zerfurchte Bild, das die Mega-Baustelle der Schnellbahntrasse StuttgartUlm abgibt, in jedem Fall wesentlich besser.

 

Seit fast einem Jahr treibt die Bahn zwischen dem gut 700 Einwohner zählenden Flecken und der A 8 den 4847 Meter langen Steinbühltunnel in die Schwäbische Alb. Rund einen Kilometer sind die Mineure in Richtung Filstal bereits vorangekommen und werden demnächst unter bebautem Terrain buddeln. Dennoch warten etliche Hohenstädter, die für das Großprojekt einen Teil ihres Grund und Bodens zur Verfügung stellen mussten, noch immer auf die ihnen zustehenden Entschädigung. Dass diese zu leisten sind, ist unbestritten. Nur wann und in welcher Höhe, das steht in keinem der Bauerlaubnisverträge.

Eventuelle Schäden sind nicht abgesichert

Dabei sind viele der Betroffenen zwingend auf die Zahlungen angewiesen. Bernd Weißinger, der zusammen mit seiner Frau Sabine eine Menge Geld in ein Pferdegestüt bei Hohenstadt gesteckt hat, befürchtet, dass sein Hof Schaden nimmt, weil der Boden nachgeben könnte. Direkt unter seinem Anwesen wird für den Tunnel gebohrt. Eine unterschriebene Schadensabsicherung gibt es bis jetzt aber noch nicht einmal für sein Wohnhaus.

Auch der Campingplatzbetreiber Axel Röhm hatte im vergangenen Sommer etliche leere Stellplätze zu beklagen. Der Dreck auf den Straßen, der tägliche Lärm und die nächtlichen Sprengungen ließen viele Gäste einen weiten Bogen um den Waldpark machen. Und die Gemeinde als solche wartet ebenfalls noch auf die angekündigten Entschädigungszahlungen. Der Bürgermeister Günter Riebort ist entsprechend sauer: „Ich finde es einfach unverschämt, dass sich die Bahn mit der Abwicklung derart viel Zeit lässt“, schimpft er.

Schließlich gehe es nicht um viele Millionen Euro oder, wie der Projektsprecher Wolfgang Dietrich es gesagt habe, darum, dass sich in Hohenstadt jemand eine goldene Nase verdienen wolle. „Vielmehr sollten die Leute endlich einen Ausgleich dafür bekommen, dass ihnen Grundstücke weggenommen wurden“, sagt Riebort. Ihm habe bis jetzt auch niemand erklären können, warum sich das Unternehmen diesen zusätzlichen Ärger im Zuge der ganzen Stuttgart-21-Debatte nicht erspare.

Landwirte fürchten um ihre Existenz

Aufschluss und zumindest eine Annäherung soll nun am nächsten Donnerstag ein Gespräch mit den Verantwortlichen bringen. Dabei geht es aber nur um die Belange der Kommune. Hundertprozentig zufrieden ist Riebort deshalb nicht: „Für uns als Gemeinde ist das zwar ein Ärgernis. Bei unseren Landwirten geht es wegen der fehlenden Gelder allerdings an die Existenz.“ Daniel Buck etwa, der als Vollerwerbslandwirt nicht nur knapp 1000 Schweine und zwei Dutzend Rinder versorgen, sondern auch noch eine Biogasanlage befüllen muss, hat wegen der Tunnelbaustelle mit einem Schlag rund 18 Hektar seiner Ackerfläche verloren. Er kauft seit Monaten Futtermittel und Energiepflanzen zu und lebt aktuell von seinen Ersparnissen.

Mittlerweile bestätigen zwei Gutachten, dass seine Existenz gefährdet ist – eines davon hat die Bahn selbst in Auftrag gegeben. Daniel Buck versteht deshalb die Welt nicht mehr: „Da fragt man sich als einfacher Bürger schon, weshalb nicht einmal die Grundsätze der eigenen Expertise anerkannt werden.“ Aus Sicht des 38-Jährigen gehe es der Bahn darum, die Betroffenen psychisch oder materiell zu zermürben. „Am Ende soll man dann einem Kompromiss zustimmen und mit weniger Geld zufrieden sein“, vermutet er. Dabei stelle niemand, den er kenne, überzogene Forderungen, ergänzt Buck. Dennoch sei eine Einigung wohl noch in weiter Ferne.

„Niemand ist mehr erreichbar“

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Dieter Weiblen, der in dieser Sache seit geraumer Zeit gleich mehrere Mandanten aus Hohenstadt vertritt, teilt diese Befürchtung: „Bis zuletzt hat die Bahn alles abgeblockt, obwohl im Zuge der Planfeststellung kurzfristige und umfassende Entschädigungen zugesagt worden waren.“ Dies habe dazu beigetragen, dass in Hohenstadt, wo insgesamt rund 50 Flächen von der Baumaßnahme betroffen seien, niemand Klage gegen das Verfahren erhoben habe. „Als dann allerdings die Verträge unterzeichnet waren, war von den zuständigen Leuten niemand mehr erreichbar“, so Weiblen.

Dass in diesen Bauerlaubnisverträgen zwar die Überlassung geregelt, aber weder der Zahlungszeitpunkt noch die Entschädigungshöhe festgelegt sind, entspricht nach den Worten des Juristen zwar den rechtlichen Standards. Allerdings einige man sich in solchen Fällen üblicherweise außerhalb eines Verfahrens auf entsprechende Regelungen. Weiblen sieht die Streithansel daher auch nicht unter den Älblern: „Das sind alles vernünftige Leute, die nicht mehr verlangen, als ihnen zusteht.“

Nach Einschätzung des Anwalts summieren sich die Forderungen in Hohenstadt insgesamt auf einen Betrag im sechsstelligen Euro-Bereich. „Jeder vernünftig denkende Mensch würde versuchen, die Sache gütlich zu regeln. Und jeder Privatmann, der so handelt, würde Probleme bekommen“, betont er. Weiblens vage Hoffnung ruht nun auf einem ersten Erörterungstermin im Fall Buck. Mitte März soll das Entschädigungsfestsetzungsverfahren unter Moderation des Stuttgarter Regierungspräsidiums (RP) anlaufen.

Gerichtsverfahren würde Zahlung hinauszögern

Die RP-Sprecherin Nadine Hilber weist allerdings daraufhin, dass es zwar möglich, aber wenig sinnvoll sei, wenn die Aufsichtsbehörde eine Entscheidung treffe. „Wir sind auf das Mitwirken der Beteiligten angewiesen und können eventuell einen neutralen Gutachter einschalten. Machen wir Druck, landet die Angelegenheit vor Gericht und dann dauert es noch länger, bis die Betroffenen eine Entschädigung bekommen“, erklärt sie.

Eine Sprecherin des bahneigenen Kommunikationsbüros widerspricht nicht, zumindest was den letzten Punkt angeht: „Das dauert eben einige Zeit, zumal wir sorgsam mit öffentlichen Geldern umgehen müssen“, betont sie. Den Einwand, dass bei einem 3,3 Milliarden Euro teuren Projekt wie der ICE-Trasse einige hunderttausend Euro Entschädigung für Grundstücksinanspruchnahmen nicht allzu sehr ins Gewicht fallen dürften, möchte die Sprecherin indes nicht kommentieren.