Die IG Metall sorgt sich, dass die Krise der Automobilindustrie auch zu Lasten der Beschäftigten geht. Bezirksleiter Roman Zitzelsberger wendet sich gegen eine öffentliche „Hysterie“. Von Politik und Herstellern verlangt er auf dem Gipfel am Mittwoch mehr Klarheit.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Praktisch jeden Tag wächst die Verwirrung, was zur Beseitigung der Abgaskrise zu tun ist. Vom Diesel-Gipfel am Mittwoch fordert die Gewerkschaft einen „verbindlichen Zeitplan“.

 
Herr Zitzelsberger, welche Facette der desaströsen Lage der Automobilindustrie raubt Ihnen derzeit am ehesten den Schlaf: die Rückruf-Aktionen, der Kartellverdacht, die möglichen Fahrverbote oder das drohende Aus der Diesel-Technologie?
Mich besorgt, dass der Überblick verloren geht und dass man sich nicht auf das Wesentliche konzentriert. Es muss schnellstmöglich gelingen, eine Lösung für die Nachrüstung der Euro-5-Flotte auf die Reihe zu kriegen. Ferner muss man die EU-Behörde prüfen lassen, was an den Kartellvorwürfen dran ist. Dann müssen wir uns zügig auf die Zukunft des Automobils und der Mobilität konzentrieren. Momentan dominiert ein Sammelsurium von Spekulationen, Vorwürfen und berechtigten Kritiken – alles wird in einen Topf geworfen. Dies schafft große Verwirrung und Verunsicherung unter Kunden und Beschäftigten.
Halten Sie es für denkbar, dass die Hersteller trotz aller Compliance, also Regeltreue, seit Jahren gegen das Kartellrecht verstoßen, oder kann herauskommen, dass im Grunde nur harmlose Dinge abgesprochen wurden?
Wir kennen die Berichte über ein angeblich unzulässiges Zusammenwirken der Hersteller nur aus den Medien. Was an den Vorwürfen dran ist, prüft jetzt die EU-Kartellbehörde, und wir müssen das Ergebnis abwarten. Üblicherweise brauchen solche Prüfprozesse Jahre. Klar ist: Wenn sich herausstellt, dass man sich technologisch abgestimmt hat, um weniger umweltfreundliche Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, wäre das eine Riesensauerei. Gleichwohl warne ich vor Vorverurteilungen: Dass in der Autobranche bei bestimmten Standards und Normen zusammengearbeitet wird, ist auch ein Markenzeichen dieser Industrie und hat manche technologische Innovation befördert. Nur müssen dabei die Grenzen gewahrt bleiben.
Werden Autoindustrie und Diesel-Technologie kampagnenartig schlecht geredet, wie VW-Chef Müller beklagt. Hat sie dies nicht selbst zu verantworten?
Bei der Aufklärung offensichtlicher Betrügereien im Softwareeinsatz oder überschrittener Grenzwerte hätte man mehr Gas geben können. Auch beim Thema Emissionen wäre es besser gewesen, nicht den Vorschriften hinterher zu rennen, sondern ihnen vorauszueilen. Aber was jetzt daraus entsteht, ist eine Hysterie, die sich insbesondere auf den Euro 5 konzentriert – technologische Fortschritte in der jüngsten Generation werden verkannt. Eine vollkommen irrige Annahme ist aus meiner Sicht, man müsse den Diesel nur verbieten, dann würden wir morgen alle emissionsfrei fahren. Der Transformationsprozess dauert sicher zwei Jahrzehnte. Da helfen ein Diesel-Bashing und Verbote nichts.
Die Politik hat lange eine große Nähe zur Autoindustrie, damit auch geringes Aufklärungsinteresse an den Tag gelegt – die Bundesumweltministerin spricht von „Kumpanei“. Ist das ein Grund für die Misere?
Die Erkenntnis, dass objektiv oder gar vorsätzlich manches falsch gelaufen ist, müsste zu einem wechselseitigen Lernprozess von Politik und Industrie führen. Dieser war viel zu langsam. Das Handeln hinkt dem öffentlichen Hype hinterher. Ein Beispiel: Das Urteil des Verwaltungsgerichts in Stuttgart macht im Wesentlichen deutlich, dass es die Politik nicht geschafft hat, rechtzeitig für Klarheit zu sorgen. Man hätte von vorneherein auf Bundes- wie auf Landesebene deutlich machen müssen, dass die Fahrzeuge schnellstmöglich nachgerüstet werden müssen, bevor man über Einfahrverbote redet. Wenn die Politik da eine klare Kante gezeigt hätte, hätte es dieses Urteil gar nicht gebraucht.