Die IG Metall Baden-Württemberg will der mobilen Arbeit tarifpolitisch den Weg bahnen. Praktische Erfahrungen sammelt sie in zwei Vorzeigebetrieben: bei Bosch und Daimler. Nach den Erkenntnissen der Betriebsratschefs sind hohe Hürden zu überwinden.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die große Beschäftigtenbefragung, die der IG Metall den notwendigen Antrieb gibt, ist schon zwei Jahre alt . Doch nimmt sich die Gewerkschaft große Ziele stets nach und nach vor, um sich nicht zu verzetteln. Der Wunsch vieler Beschäftigten nach mehr Souveränität bei der Arbeitszeit, auch um Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, rückt nun also ganz nach oben auf der Agenda.

 

Flexible Arbeitszeitmodelle gelten als Topthema der nächsten Jahre. Dies zeigt sich auch am Leitantrag und 36 Einzelanträgen zu einer neuen Arbeitszeitpolitik für den Frankfurter Gewerkschaftstag im Oktober. Speziell die mobile Arbeit – womit nicht nur das „Home Office“ gemeint ist – wird als Chance auf motivierende Arbeitsbedingungen gesehen. Jeder zweite Beschäftigte außerhalb von Produktionsbereichen hatte in der damaligen Umfrage Interesse daran gezeigt, teilweise von zu Hause aus zu arbeiten. Während mobile Arbeit jedoch in einigen Nachbarländern zunimmt, gehe ihr Anteil in Deutschland nach allen aktuellen Umfragen zurück, stellt der IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger kritisch fest. „Offensichtlich ist die Akzeptanz auf der Arbeitgeberseite nicht sehr ausgeprägt.“ Dort sorge man sich um einen „Norm- und Kontrollverlust“, was ihm unverständlich sei.

IG Metall will nicht „aus der Hüfte“ schießen

Mobile Arbeit müsse klar geregelt werden, um einer schleichenden Ausweitung von Arbeitszeit und unbezahlter Leistung entgegenzuwirken. Tarifpolitisch werde die IG Metall aber nicht „aus der Hüfte schießen“, sagt Zitzelsberger. Vielmehr will sie eineinhalb bis zwei Jahre lang über die Rahmenbedingungen nachdenken, bevor sie in Verhandlungen mit dem Arbeitgeberverband einsteigt. Bis dahin sollen die Erfahrungen ausgewertet sein, die in zwei Vorzeigeunternehmen gemacht werden.

Prinzipiell Positives kann der Gesamtbetriebsratschef bei Bosch, Alfred Löckle, berichten. Dort gibt es seit 2014 eine Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit. Sie hat einen langen Vorlauf: Schon 2003 wurde bei Bosch eine erste Vereinbarung getroffen, die den Beschäftigten die Gelegenheit bot, mehrere Stunden auf einem Lebensarbeitszeitkonto zu verbuchen. 2011 entstand daraus ein Modell mit sogenannter Wahlarbeitszeit. Seit dem Vorjahr hat sich die mobile Arbeit etabliert – „auf beiden Seiten wurde Vertrauen gewonnen, dass die Leute damit umgehen können“.

Der Vorgesetzte muss sich dem Dialog stellen

Im Grundsatz entscheidet der Mitarbeiter, wann und wo er arbeitet – die geleistete Zeit wird von ihm dokumentiert. Der Vorgesetzte kann den Antrag auf mobile Arbeit ablehnen, muss dies aber begründen. Dann kann sich der Betriebsrat damit auseinandersetzen. Nicht jeder Vorgesetzte komme damit zurecht, dass seine Mitarbeiter nicht immer greifbar seien, sagt Löckle. Umgekehrt hätten viele Kollegen erkannt, dass der gewohnte Arbeitsplatz optimal sei, um auf Unterlagen zuzugreifen oder mit Kollegen zu beraten. Um auch in Schichtbetrieben eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – intern „VFB“ genannt – zu ermöglichen, gäbe es mit Pilotversuchen an einigen Standorten „gute Ansätze“.

Eine Betriebsvereinbarung, „die weit ins nächste Jahrzehnt hineinreicht“, soll bei Daimler entwickelt werden. Infolge der IG-Metall-Umfrage vor zwei Jahren hatte der Betriebsrat eine eigene Erhebung in den produktionsnahen Bereichen und der Verwaltung des Konzerns mit wissenschaftlicher Hilfe gestartet. Den Rücklauf von fast 41 Prozent bezeichnet der Betriebsratschef in der Daimler-Zentrale, Jörg Spies, als „gigantisch hoch“. Allein in der Zentrale hätten sich 7700 Beschäftigte beteiligt. Die Ergebnisse sollen von Oktober an bundesweit mit den Belegschaften diskutiert werden, bevor es in die Verhandlungen mit dem Management geht. Die Führung zeige ebenfalls großes Interesse.

Auch bei Daimler gibt es einen Vorläufer – eine „einfach gehaltene“ Vereinbarung aus dem Jahr 2009. Seither gilt für mobile Arbeit der Grundsatz der doppelten Freiwilligkeit: Nur wenn Mitarbeiter und Vorgesetzte sie anstreben, ist sie möglich. Das bedeutet: „Die Führungskraft entscheidet, wer das kriegt.“ Das „Präsenzdenken“ sei im Konzern noch „stark ausgeprägt“. Gemeint sind etwa die zahllosen Besprechungen, an denen ein Entwickler teilnehmen muss – mit dem Lieferantenmanagement, Zulieferern oder der Produktion.

Gefragt sei nicht nur mehr Zeit für Kinder, sondern eine „clevere Verteilung von Arbeitszeit, um individuelle Freiräume zu gewinnen“, sagt Spies. Zu regeln wäre zum Beispiel, wie Arbeitszeiten erfasst werden, die außerhalb des Gleitzeitrahmens am späten Abend geleistet werden – das ist heute formal noch nicht erlaubt.