Ein Waldgebiet im Süden von Stuttgart-Weilimdorf ist bei Mountainbikern beliebt. Von der Burg Dischingen zum Lindenbachtal haben sich Radler eine Downhill-Strecke gebaut. Das gefällt nicht jedem – zumal zum Bau einer Schanze historische Grenzsteine verwendet wurden.

Weilimdorf - Es schwingt durchaus Bewunderung mit, wenn Siegfried Erb von den Downhill-Fahrern erzählt, die auf ihren Mountainbikes in den Wäldern rund um Weilimdorf unterwegs sind. Er sagt, er sei einst selbst ein Draufgänger gewesen und habe Respekt davor, wie sie sich von der Dischinger Burg hinab zum Lindenbachtal stürzen: „Vielleicht wäre ich da früher auch dabei gewesen.“ Dass für den Bau einer Schanze aber zwei historische Grenzsteine verwendet wurden, passt dem Vermessungsingenieur hingegen gar nicht.

 

Die Strecke bergab (downhill) wurde von den Bikern mühsam präpariert. „Die haben geschafft wie die Brunnenputzer, das ist nicht von heute auf morgen gegangen“, sagt der Zuffenhäuser Heimatforscher Winfried Schweikart angesichts der teils mannshohen Schanzen, die die Biker errichtet haben. Erb und Schweikart waren vor einigen Jahren an einem Projekt der Landesdenkmalpflege beteiligt: Sie haben mit einigen Mitstreitern Kleindenkmale im Stuttgarter Norden erfasst und samt Fotos und Standort dokumentiert, darunter auch 322 historische Grenzsteine auf Weilimdorfer Gemarkung.

Zwei davon wurden nun als Unterbau für eine Sprungschanze zweckentfremdet. Während ein Stein bereits bei der Erfassung im April 2010 umgestürzt war, sei der andere wohl vor dem Abtransport ausgegraben worden. „Das sind Kleindenkmale, und unsere Intention ist, sie zu retten“, sagt Erb, der auch die aktuelle Ausstellung des Weilimdorfer Heimatkreises über die Relikte vergangener Zeiten zusammengestellt hat.

Informiert wurden die beiden Hobby-Historiker von Friedrich Bühler. Ihm und seinem Bruder gehört ein Stück Wald, über das die Strecke führt. Er sagt, dass die Mountainbiker den Boden samt Pilzen und seltenen Pflanzen beschädigen. Friedrich Bühler hat bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Schanzen auf ihrem Grundstück haben die Brüder aber auch aus einem anderen Grund zurückgebaut, nachdem sie vom Forstamt auf die Downhill-Strecke hingewiesen wurden. „Bei Duldung besteht ein Haftungsrisiko unsererseits“, sagt er.

Die Stadt will ein Mountainbike-Konzept erstellen

„Der Waldbesitzer ist für die Verkehrssicherheit auf seinem Grundstück verantwortlich“, erklärt Hagen Dilling, der stellvertretende Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamts. Deswegen informiere die Stadt die Waldbesitzer und entferne auf den Grundstücken, die der Stadt oder dem Land gehören, Schanzen und andere Ausbauten, wenn sie davon Kenntnis habe. „Wir wollen aber einen konstruktiven Umgang in den Vordergrund stellen“, sagt Dilling. Stuttgart sei aufgrund der Topografie prädestiniert für Mountainbiker. „Wir müssen sehen, dass wir da eine Lenkungsfunktion hinbekommen.“ Das gehe aber nicht allein über ordnungsrechtliche Maßnahmen, sagt Dilling. Deswegen sei geplant, ein Mountainbike-Konzept zu erstellen, und dabei auch die Zielgruppe einzubinden. Allerdings seien das Format und der Zeitrahmen momentan noch unklar. „Konsens ist, dass man legale Möglichkeiten schaffen muss.“

Im Oktober 2015 wurde in Degerloch die legale Downhill-Piste „Woodpecker-Trail“ in Betrieb genommen – zunächst für eine zweijährige Probephase. „Überlegungen, weitere Downhill-Strecken einzurichten, gibt es derzeit nicht“, teilt die städtische Pressestelle mit. Gleichwohl werde derzeit untersucht, ob weitere Strecken für Mountainbiker ausgewiesen werden können. Der Woodpecker-Trail habe schon eine gewisse Sogwirkung auf die Szene entwickelt, sagt Jannick Henzler, Ansprechpartner für die Degerlocher Piste bei der AG Downhill. „Ich wünsche mir, dass die Biker die offizielle Strecke nutzen.“ Allerdings könnten damit die Aktivitäten der Szene nicht komplett kanalisiert werden, meint Henzler, die Anreise sei für Fahrer aus dem Stuttgarter Norden recht weit. Hinzu kommt, dass Downhill-Bikes nicht dafür ausgelegt sind, längere Strecken zurückzulegen.

Die Heimatforscher plädieren für mehr Sensibilität

Bereits im März 2012 hat sich der Weilimdorfer Bezirksbeirat für einen sogenannten „Nature Trail“ ausgesprochen, der im Gegensatz zu einer Downhill-Strecke nicht bergab, sondern quer durch den Wald führen und auch für Kinder und ungeübte Radler geeignet sein sollte. Mehr legale Strecken wären auch im Sinne von Siegfried Erb und Winfried Schweikart. Sie wollen den Mountainbikern ihren Spaß nicht nehmen, sondern sie für einen sorgsameren Umgang mit der Natur und den Kleindenkmalen sensibilisieren. Sie erhoffen sich aber auch Hilfe von den Bikern bei der Bergung der beiden zweckentfremdeten Grenzsteine.

Was mit den Kulturdenkmalen passieren wird, ist indes noch unklar. „Unser primäres Interesse ist, dass sie an ihrem Platz bleiben“, erklärt Ulrike Plate vom Landesamt für Denkmalpflege. Allerdings dürfe man sie aus rechtlichen Gründen nicht einfach wieder am ursprünglichen Standort einsetzen, sondern brauche dafür einen staatlich beauftragten Vermessungsingenieur. Das könne zwischen 273 und 500 Euro kosten – die irgendjemand bezahlen müsste.