Ein Techniker von Bosch entwickelte 1983 das erste E-Bike. Doch er war einfach zu früh dran. Die Ausstellung zur Geschichtes des Fahrrads zeigt Überraschendes und Menschliches.

Gerlingen - Ist das jetzt ein Museum oder ein Fahrradladen? Diese Frage im Alten Gerlinger Schulhaus zu stellen, ist zurzeit berechtigt – 25 Fahrräder sind dort aufgereiht. Die Antwort ist nach einem kurzen Rundblick gefunden: Das Stadtmuseum ist noch immer ein Museum – dort wird am kommenden Sonntag eine Ausstellung zum Thema Fahrrad eröffnet. Dementsprechend sind fast alle ausgestellten Räder älteren Baujahrs – bis hin zu Hochrädern, wie sie vor 200 Jahren üblich waren. Klar, dass viele Bezüge zu Gerlingen hergestellt werden – über Menschen und über Räder.

 

Die fast ideale Kombination ist in der Person von August Clauss zu finden. Der Botnanger heiratete 1938 nach Gerlingen; 1949 eröffnete er in einem ehemaligen Stall in der Ditzinger Straße seine Fahrradwerkstatt. Daraus sollte bald ein Dorado für Radsportler werden: der Schlosser und begeisterte Radsportler reparierte nämlich nicht nur „normale“ Räder, er fertigte mit großer Begeisterung auch Rennmaschinen. Karl Link, Jürgen Colombo, Piet Glemser – berühmte Männer mit strammen Waden gingen bei ihm ein und aus.

Straßenfahrräder made in Gerlingen

In Gerlingen wurden auch Räder für Jedermann gefertigt: Die Firma Staiger aus Stuttgart, ein Abkömmling des Opel-Händlers, eröffnete 1982 im Industriegebiet eine Produktion für Straßenfahrräder – aber nur für wenige Jahre. 1988 wurde das Werk bereits wieder geschlossen, die Traditionsmarke Staiger ging in Winora auf. Die Produktion wurde nach Schweinfurt verlagert.

Erfindergeist steckt auch in einem Produkt, das ein Gerlinger Einwohner konstruierte: ein Fahrrad mit Batterie – das erste E-Bike überhaupt. Bernhard Sprenger war Elektrotechniker in der Entwicklungsabteilung bei Bosch. Er wohnt noch heute in der Siedlung, mehr als 20 Jahre lang musste er hinauf auf die Schillerhöhe. „Einen Bus gab es Anfang der achtziger Jahre noch nicht“, erzählt er, „meine Frau brauchte immer wieder das Auto, da habe ich eben das Rad genommen.“ Doch es seien schweißtreibende 150 Höhenmeter zu bewältigen – und da habe er sich überlegt, wie er sich das Strampeln erleichtern könnte. Seine Grundidee: ein normales Rad und eine Lichtmaschine aus einem ausgebeinten VW Käfer nehmen und mit Strom aus einer kleinen Autobatterie speisen.

Sprenger tüftelte und baute, setzte die Lichtmaschine als Motor ein. „Eine Stromladung hat gerade für einen Weg hinauf gereicht“, erzählt der 75-Jährige, „jede Nacht musste ich das Ladegerät anschließen.“ Eine Batterie habe ein Jahr gehalten, „dann musste ich wieder eine neue kaufen“. In zahlreichen Arbeitsstunden hat Sprenger sein erstes Stromrad verfeinert. Nach einem Sturz im Nebel bekam es Licht und Nebellampe – seine Firma hatte sich da schon lange im Bereich Radlicht engagiert – und auch ein Autoradio fand Platz an der Querstange. „Das war kein Jux“, sagt Sprenger heute, „sondern eine aus der Not geborene Idee für den Eigenbedarf.“

Der Vorschlag kam zu früh

Dabei sollte es bleiben: Das betriebliche Vorschlagswesen lehnte im Herbst 1983 seine Produktidee ab – mit dem Verweis auf Erfindungsmeldungen von Fahrradfabriken und dem Hinweis auf preiswerte Mofas. Zudem werde „der größte Teil der Fahrräder unter sportlichen Gesichtspunkten gekauft“. Die Firma hielt es für „zwecklos, die von ihnen vorgeschlagene Idee weiter zu verfolgen“. Erst vom Jahr 2009 an, also 26 Jahre später, engagierte sich Bosch für E-Bikes – und heute nennt man sich Marktführer im Premiumbereich dieses Produkts.

Die Entwicklung im Radsport, die Sicherheit beim Radfahren mit Licht und Beschilderung, bedeutende Radtouren von Gerlingen aus – die Ausstellung beleuchtet zahlreiche Aspekte des Themas. Und sie erzählt menschliche Geschichten.

Wie die von Rüdiger Nunhardt und seiner 2004 verstorbenen Ehefrau. Der Gerlinger meldete sich auf einen Aufruf in dieser Zeitung hin im Museum – und er stellte ein spezielles Doppel-Klapprad zur Verfügung. Das hatte er zusammen mit einem örtlichen Radhändler aus serienmäßigen Teilen gebaut. Seine Frau, die an MS litt, konnte nicht mehr radeln – nachdem das Ehepaar jahrelang ein Tandem gefahren hatte. Auf dem danach angeschafften Doppel-Klapprad mit Doppelrädern hinten konnte sie bequem sitzen. So ausgerüstet, fuhr das Ehepaar auf dem Jakobsweg nach Santiago di Compostela in Spanien. „Das zeigt“, sagt die Ausstellungskuratorin und Museumsleiterin Catharina Raible, „wie man trotz Krankheit noch aktiv sein und Träume verwirklichen kann. Das ist eine voll beeindruckende Geschichte.“

Termin
Die Ausstellung „Licht und Schatten – 200 Jahre Kulturgeschichte des Fahrrads“ wird am 8. Oktober um 11.15 Uhr im Stadtmuseum eröffnet.

Programm
Fritz Ludmann hält einen Kurzvortrag zur Historie des Fahrrads. Radballer des Radsportvereins zeigen ihre Kunst, und Menschen in historischen Kostümen demonstrieren das Radfahren früher.

Musik
Zur Vernissage spielt die Band Rocker vom Hocker der Jugendmusikschule.

Öffnungszeiten
Das Stadtmuseum, Weilimdorfer Straße 9-11, hat geöffnet dienstags von 15 bis 18.30 Uhr sowie am Sonntag von 10 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr. Sonderöffnungszeiten, wie zum Beispiel für Gruppen, gibt es nach Rücksprache. Kontakt über Telefon 0 71 56/20 53 66 oder per E-Mail: stadtmuseum@gerlingen.de kwa