Die Menschen im Südwesten schwärmen neuerdings von einem Hobby, das auf eine jahrtausendealte Tradition zurückgeht: die Imkerei. Immer mehr Bienenvölker werden heute auch in der Stadt gehalten.

Stuttgart - Die Menschen im Südwesten schwärmen neuerdings von einem Hobby, das auf eine jahrtausendealte Tradition zurückgeht: die Imkerei. Als die Landesanstalt für Bienenkunde an der Uni Hohenheim im Frühjahr eine Infoveranstaltung zum Thema Imkerei anbot, kamen „ohne große Werbung“ 600 Leute, erzählt der Anstaltsleiter Peter Rosenkranz. Die Veranstaltung musste zusätzlich per Video in einen Nachbarhörsaal übertragen werden. Das Interesse sei „irrsinnig“, vor allem auch bei jungen Leuten und bei Frauen. Das sei vor Jahren „undenkbar“ gewesen, bestätigt auch Ekkehard Hülsmann, der Präsident des Landesverbands der Badischen Imker. Die Mitgliederzahlen seien rasant gestiegen, auf mehr als 8000 inzwischen, und ebenso die Nachfrage nach Anfängerkursen.

 

2008 gab es das bisher größte Bienensterben

Zwar gibt es auch beim württembergischen Landesverband diesen Boom (mehr als 10 000 Mitglieder), doch in Baden ist der Trend eine unmittelbare Reaktion auf das bislang größte Bienensterben in Deutschland im Jahr 2008. Damals waren am Oberrhein mehr als 115 000 Bienenvölker durch ein Pestizid eines falsch behandelten Mais-Saatguts vergiftet worden. „Dass damals keine Biene mehr flog, kein Vogel mehr sang, hat den Menschen Angst gemacht“, erzählt Hülsmann, immer noch emotional bewegt. Schließlich ist die Biene nach Rind und Schwein die wichtigste Nutztierart, ihre Bestäubungsleistung wird in Deutschland auf jährlich 2,5 Milliarden Euro veranschlagt. Die Zahl der Bienenvölker (160 000 im Südwesten) aber steigt nur leicht, denn die „Jungimker“ betreiben das Honigmachen als Hobby und halten sich in der Regel zwei bis vier Völker.

Damit liegt auch Baden-Württembergs bekanntester Imker im Trend: Ministerpräsident Winfried Kretschmann beherbergt seit vergangenem Jahr vier Bienenvölker in der Villa Reitzenstein am Stuttgarter Regierungssitz. Nachgezogen hat in diesem Jahr der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn mit zwei Völkern auf dem Rathausdach. Die Landeshauptstadt hat sich nun, nach Berlin, Hamburg, Frankfurt und München der Initiative „Deutschland summt“ angeschlossen, deren Schirmherrin Daniela Schadt ist, die Lebensfährtin des Bundespräsidenten. „Urban Imkering“ liegt im Trend, in Stuttgart stehen Bienenstöcke inzwischen schon auf zahlreichen Hotel- und Firmendächern, in Reihenhausgärten und auch am Flughafen.

In manchen Städten gibt es mehr Nahrungs als auf dem Land

Es klingt paradox: in manchen Städten mit den Parks, Gärten und auch Balkonen finden die Bienen mehr Nahrung als auf dem Land, etwa in Oberschwaben, wo die Maisäcker vorherrschen. Und trotz Feinstaubbelastung, Verkehrs- oder Industrieabgasen ist auch der Stadthonig ein hochwertiges Naturprodukt, sagt der Leiter der Landesanstalt, wo bereits mehrere Tausend Proben Honig auf Rückstände untersucht wurden. Rosenkranz sieht in dem Trend zum „Urban Imkering“ eine Chance für die Bienen. Sonnige Dächer allerdings seien als Standorte weniger geeignet: „Halbschatten ist ideal“, sagt er. Und bevor Bienenkörbe aufgestellt werden, sollte – am besten anhand eines Luftbildes – geprüft werden, ob die Honigsammlerinnen im Umkreis von zwei bis drei Kilometern auch genügend Nahrung im Häusermeer finden. Auch sollte man sich mit den Nachbarn verständigen. Zwar sei die Imkerei privilegiert, sofern „ortsüblich“, das gelte für ein Stadtgebiet nicht zwingend.

Für bedrohlich hält Rosenkranz inzwischen den Flächenschwund. „Wir verlieren laufend Flächen für die Bestäubung“, sagt er. Blühwiesen weichen einer intensivierten Landwirtschaft, in den letzten 20 Jahren seien in Deutschland zwei Millionen Obstbäume verschwunden. Wie wieder Wege zu mehr Blütenvielfalt in Landschaft und Garten und damit ein vielfältigeres Nahrungsangebot für Bienen geschaffen werden können, wird am Donnerstag auf der Tagung „Arten- und blütenreiche Landschaften für Honigbiene & Co.“ im landwirtschaftlichen Bildungszentrum in Emmendingen diskutiert. Es geht um Bienenweiden im Weinbau, Biotopvernetzung und Blühmischungen für Balkon, Kleingärten und in der freien Landschaft. Für das Stuttgarter Umweltamt ist dies bereits selbstverständlich: Seit Jahren ist dort im Frühjahr ein kostenloses Sommerblumensamenpäckchen erhältlich, als „Tankstelle“ für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge.