Nebenbei kellnern, Zeitungen austragen oder Regale auffüllen: Noch nie gab es so viele Zweitjobs. Seit 2003 hat sich die Zahl der Beschäftigten mit Nebenjob mehr als verdoppelt.

Stuttgart - Immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland verdienen sich mit einem Zweitjob ein steuerfreies Zubrot zu ihrem Hauptberuf. Ende 2012 besserten 2,66 Millionen Beschäftigte ihr Einkommen mit einem Minijob auf. Das waren rund 59 300 oder 2,3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Damit geht jeder Elfte aller bundesweit gut 29 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einem Zweitjob nach. An der Spitze der Bundesländer liegt Baden-Württemberg. Im Südwesten hatte 2012 jeder neunte ordentlich Beschäftigte einen Zweitjob, wie der Landesverband des Deutschen Gewerkschaftsbunds am Montag in Stuttgart mitteilte.

 

Laut den Ende Juni veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) setzt sich ein langjähriger Trend fort: Seit 2003 hat sich die Zahl der Beschäftigten mit Nebenjob mehr als verdoppelt. Unterdessen ist die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten im gleichen Zeitraum konstant geblieben und 2012 sogar leicht zurückgegangen. Sie machten dennoch mit gut 4,8 Millionen den Großteil der insgesamt rund 7,5 Millionen Minijobs aus.

SPD, Grüne und Linkspartei fordern in ihren Programmen zur Bundestagswahl eine Reform, um Missbrauch zu bekämpfen und Minijobber sozial besser abzusichern. So soll nach Plänen der Grünen nur ein Sockelbetrag von 100 Euro für Minijobber abgabenfrei bleiben. Dies ist jedoch heikel, wie die neuen Zahlen zeigen: Der Minijob ist für immer mehr regulär Beschäftigte ein willkommenes Zubrot. Das gilt auch für Männer: Während Minijobs als ausschließliche Beschäftigung eine Domäne der Frauen sind (65 Prozent), sind von den Minijobbern im Nebenjob 57 Prozent Frauen und 43 Prozent Männer. Die Opposition verbindet daher ihre Reformvorstellungen mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, damit die Beschäftigung im Hauptberuf für ein gesichertes Auskommen reicht.

Verdienst aus einem Job reicht nicht

Die Arbeitsmarkt-Expertin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, wertete die jüngsten Zahlen am Montag in der Chemnitzer „Freien Presse“ als Hinweis, dass für immer mehr Beschäftigte der Verdienst aus einem Job nicht ausreiche. Der überwiegende Teil der Zweitjobber mache dies „aus purer finanzieller Not und nicht freiwillig“. Experten weisen allerdings darauf hin, dass nicht jeder Nebenjob Ausdruck finanzieller Schwierigkeiten sei. Wolfgang Nagel vom Dresdner Ifo-Institut führte die Zunahme der Zweitjobs auf die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zurück. Sie sei aber „nicht als Indiz für eine größere materielle Not der Beschäftigten“ zu werten.

Bei den Gewerkschaftern stehen Minijobs in der Kritik, weil oft nur geringe Stundenlöhne gezahlt werden und sie zur Verfestigung des Niedriglohnsektors beitrügen. So haben unter anderem rund 600 000 Hartz-IV-Aufstocker einen Minijob. BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt hatte im Frühjahr kritisiert, dass viele davon über lange Zeit in einem Minijob gefangen seien. Wirtschaftspolitiker der Union und die FDP dagegen sehen Minijobs als Einstieg in Beschäftigung und als Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg.

Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums betonte unterdessen gegenüber der „Freien Presse“, dass es keine Erhebung dazu gebe, aus welchen Motiven sozialversicherungsbeschäftigte Beschäftigte einen Zweitjob annehmen. Neben finanziellen Engpässen seien auch andere Gründe vorstellbar, etwa eine „gestiegene Konsumlust“. Nachdem auch die Nachrichtenseite „Spiegel Online“ dieses Zitat verbreitete hatte, entwickelte sich am Montag ein Proteststurm beim Kurznachrichtendienst Twitter (#konsumlust). Zahlreiche Nutzer kritisierten die Aussage der BA-Sprecherin. Sie verhöhne die Menschen, die in schwierigen Situationen gezwungen seien, mehrere Jobs auszuüben.