Von Degerloch aus führt die Stadt-Expedition durch das idyllische Ramsbachtal zum Campus der Universität Hohenheim. Dort hüten Wissenschaftler die Samen bedrohter Pflanzenarten.

Stuttgart - Gleich hinter den letzten Häusern, nur wenige Meter nach dem Schild, das auf einen Tante-Emma-Laden hinweist, beginnt das Idyll. Wälder, Felder, Gärten und ein verschlungen rinnendes Flüsschen prägen das Ramsbachtal zwischen Degerloch und Birkach. Auf Löwenzahnwiesen hat sich in der Nacht der Tau gesammelt, ein Bussard schreit, der Verkehr auf der fernen Bundesstraße und der Autobahn dringt nur als Hintergrundrauschen ans Ohr. Eine Joggerin in pinken Neontönen bildet einen scharfen Kontrast inmitten eines Meers aus verschiedenen Grüntönen. Auf meiner 80-Zeilen-Tour durch Stuttgart habe ich immer wieder Stadtrandperlen wie das Ramsbachtal durchquert: den Rohrer Weg, das untere Feuerbacher Tal, die Weinbergpfade zwischen Unter- und Obertürkheim.

 

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Rechterhand drängen sich drei gewaltige graue Blöcke in den Blick. Sie wirken, obwohl von Menschen gemacht, wie eigentümliche Lebewesen, die über jenen Wald hinausgewachsen sind, der sie umgibt. Die Wohntürme des Asemwalds heißen im Volksmund Hannibal, aber an diesem Morgen kommen sie mir nicht wie ein kriegerischer Feldherr vor, der ein Reich erobern will. Hannibals Herrschaft über den Asemwald wäre ohnehin vergänglich, manche der Bäume im Ramsbachtal werden wohl länger stehen als die drei Blöcke.

Ich verlasse den Ramsbach und spaziere durch Birkach, an den Nahtstellen zwischen dem alten Dorf und den in die Jahre gekommenen Neubaugebieten entlang: Fachwerkhäuser hier, Wohnquader dort – und während ich noch darüber nachdenke, ob sich Alteingesessene und Zugezogene gleichermaßen als Birkacher fühlen, liegen schon die Hohenheimer Studentenwohnheime vor mir. Auf dem Campus halten der Copyshop und das Café Denkbar gerade Semesterferienschlaf.

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Natürlich döst nicht die ganze Universität. In der Mensa werden Hausarbeiten und Beziehungsprobleme besprochen, und ein paar Gebäude weiter befindet sich in einem Altbau ein rätselhaftes Reich: Ein Apothekerschrank nimmt eine ganze Wand ein, er besteht aus unzähligen Holzschubladen, die alle von Hand beschriftet wurden. Vor dem Schrank steht ein groß gewachsener Mann, der dessen Geheimnisse kennt: Robert Gliniars ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hohenheimer Gärten. „In dem Schrank befinden sich die Samen von zwei- bis dreitausend Pflanzenarten“, erzählt er. Jedes Jahr werden die Samen der Pflanzen in den Hohenheimer Gärten gesammelt. Anschließend werden sie in Papiertüten aufbewahrt, in die Holzschubladen einsortiert und im Schrank archiviert.

Dabei geht es um nicht weniger als den Erhalt des Genpools der Pflanzenwelt. Etliche der Samen gehören zu Pflanzen, die auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten stehen. Gliniars erzählt von der Küchenschelle, einem Hahnenfußgewächs, dessen Lebensraum auf der Schwäbischen Alb immer kleiner werde. Sollte die Pflanze in der Natur aussterben, könnte sie dank der Stuttgarter Samen nachgezüchtet werden. Im Rahmen seiner Promotion hat Gliniars mehrere Jahre in Uganda und Kenia an tropischen Pflanzen geforscht. Heute befindet sich sein Forschungsreich jedoch nicht mehr im Regenwald, er liegt auf dem Campus in Hohenheim.