Seine Schlussetappe führt StZ-Kolumnist Erik Raidt von Plieningen zurück ins Möhringer Pressehaus. Erkenntnis nach drei Wochen: Eine Umrundung von Stuttgart ist wie das wahre Leben – ein ständiges Auf und Ab.

Stuttgart - Dass Stuttgart eine Großstadt ist, sagt und schreibt sich leicht, ohne darüber nachzudenken. Wie groß diese Stadt jedoch wirklich ist, spüre ich nach meiner dreiwöchigen Tour im Uhrzeigersinn rund um Stuttgart in den Waden. Keine Ahnung, wie viele Kilometer ich in dieser Zeit genau gelaufen bin, mit all den Abzweigungen, den Seitenstraßen, Gassen, Wald- und auch manchen Irrwegen mögen es am Ende rund 150 Kilometer gewesen sein. Aber die Zahl ist nicht so wichtig, viel interessanter waren für mich meine Stuttgarter Leerstellen – für mich bis dahin völlig unbekannte Viertel wie Zazenhausen, Teile von Stammheim oder Münster. Diese Leerstellen verwandelten sich für mich in Lehrstellen: Es lohnt sich, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, auf denen man selbst jeden Tag die Stadt durchquert und dabei vieles übersieht.

 

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Meine Schlussetappe führt von Plieningen aus zurück ins Möhringer Pressehaus, wo die Reise begann. Zwischen Fachwerkhäusern und Bauerngärten huscht eine schwarze Katze an mir vorbei. Ich pfeife auf das schlechte Omen, gehe einige Meter auf altem Kopfsteinpflaster. Ja, Stuttgart ist eine Großstadt, aber eine Großstadt, deren wuseliger Kern von Vororten umringt ist, in denen heute noch die Dorfstrukturen sichtbar sind. Rohr, Mühlhausen, Obertürkheim, Wangen und heute Plieningen – die Liste ließe sich fortsetzen. Wer dem Wimmelbild der Innenstadt entkommen will, den Baustellen und dem Lärm, der muss sich nur in eine Stadtbahn setzen und findet eine Viertelstunde später ein ländliches Stuttgart wieder.

Ich habe nicht gezählt, wie oft ich das Schild mit dem Seeadler im grünen Dreieck zuletzt gesehen habe, aber es war viel öfter, als gedacht. Das Schild weist Naturschutzgebiete aus, Stuttgart ist umringt von grünen Schönheiten, auch heute sehe ich das Seeadler-Schild, während ich durch das Körschtal laufe. Keine Staus, wie nebenan auf der A 8 – die Pferdeäpfel auf dem Weg sind die einzigen Verkehrshindernisse. Zu Fuß durch Stuttgart, das war auch eine kostenlose Nachhilfe in Sachen Topografie – Flachetappen gab es nur unmittelbar im Neckartal und auf der Filderebene, überall sonst muss man darauf gefasst sein, dass Stuttgart eine Stadt ist für küchenpsychologische Einsichten ins Leben: Es geht ständig Auf und Ab.

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In meinem Rücken das blaue Band der Schwäbischen Alb, linker Hand tauchen für einige Minuten die geschwungenen Dächer der Messehallen auf den Fildern auf. Ferienflieger starten am Flughafen, ein älteres Paar grüßt freundlich im Vorübergehen. Wem ich alles in den vergangenen drei Wochen begegnet bin: schwäbischen Start-up-Tüftlern, einem türkischen Familienvater, Menschen, die in Hochhäusern wohnen und andere, die in Eisenbahnwaggons leben, einer Pfarrerin, einer Schuhmacherin, etlichen Obdachlosen, Bescheidenen und Großkopferten.

Jules Verne lässt seinen Romanhelden Phileas Fogg „In 80 Tagen um die Welt“, Indianerüberfälle überstehen und eine Prinzessin aus Lebensgefahr befreien. Während ich durch den Zettachwald meinem Ziel entgegenlaufe, muss ich mir eingestehen, dass ich keine derart spektakulären Erfolge vorweisen kann. Dann stehe ich vor dem Pressehaus in Möhringen, das Ziel ist erreicht. Stuttgart ist genau so, wie ich mir die Stadt immer vorgestellt habe. Aber auch ganz anders.