Das Tadsch Mahal ist ein Höhepunkt auf einer Reise durch die nordindische Provinz Rajasthan. Einer von vielen: Die Prachtbauten faszinieren genauso, wie das Elend auf der Straße schockiert.

Agra - Es ist noch viel großartiger, als man es sich je vorgestellt hat. Dabei ist das Tadsch Mahal eigentlich ein Bauwerk, das man kennt. Das berühmteste Mausoleum der Welt, unendlich oft fotografiert. Ein Denkmal der ewigen Liebe, gebaut von einem indischen Herrscher, dessen Lieblingsfrau bei der Geburt des 14. Kindes gestorben ist. Shah Jahan hat innerhalb von elf Jahren mit Hilfe von über 10 000 Handwerkern, 1000 Elefanten und den besten Baumeistern seiner Zeit in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Monument der Superlative geschaffen. Juweliere aus Venedig, Goldschmiede aus Frankreich und Steinmetze aus der Türkei waren daran beteiligt. Ironie der Geschichte: Shah Jahan konnte das Tadsch nach der Fertigstellung nur noch aus der Ferne betrachten. Sein ältester Sohn hat ihn, den Plünderer der Staatskasse, entmündigt und eingesperrt.

 

Wenigstens hatte eine Tochter nach seinem Tod ein Einsehen - und den Vater neben seiner geliebten Frau im Mausoleum begraben. Die Grabplatte von Shah Jahan ist das einzige Element, das die vollendete Symmetrie der Anlage stört. Eigentlich wollte sich der Mogulherrscher noch ein Gegenstück aus schwarzem Stein als eigenes Mausoleum auf der anderen Seite des Flusses bauen lassen. Jetzt flimmert das legendenumwobene Tadsch hier im morgendlichen Dunst. Gekrönt von einer weißen Perle, umgeben von vier Minaretten, die leicht schräg gebaut sind, damit sie im Fall eines Erdbebens nach außen und nicht auf die Kuppel fallen. Das alles wissen wir, weil Birte Schulte, die Unermüdliche, es der Reisegruppe im Bus und beim Anstehen vor der Sicherheitskontrolle erklärt hat. Sie ist mehr als eine Reiseleiterin. Birte Schulte ist eine Liebhaberin.

„Was für ein Scheißland“

Nach 25 Jahren als Reiseführerin ist sie immer noch besessen von Indien, dem Land, in dem sie aufgewachsen ist und das sie in all seinen Widersprüchen schätzt und verteidigt. Sie betreut hier eine Gruppe von Deutschen und Schweizern, die sich die Glanzlichter Nordindiens ansehen möchten. Ehrfürchtig und gebannt stehen die Teilnehmer am Tor, der symbolischen Pforte zum Paradies, und bewundern das zum Himmel strebende Liebeswerk. Das frühe Aufstehen hat sich wieder einmal gelohnt. Die ersten Besucher des Touristenmagnets können den Zauber der Anlage einigermaßen unbehelligt von den Besuchermassen genießen. „Was für ein Scheißland“, brummelt Rolf beim Einsteigen in den Bus. Der Spaziergang vom prächtigen Fort in Amber hinunter zum Parkplatz war ein Spießrutenlauf. Dort oben die kunstvollen Mosaike in den Gemächern der Rajputen, eine Art Versailler Spiegelsaal auf indisch.

Das Fort in den Bergen ist ein großartiges Ensemble aus Innenhöfen und Gärten, eine märchenhafte architektonische Schatzkiste. Der Weg nach unten führt vorbei an Reihe von verkrüppelten Bettlern, die Almosen fordern, einer nach dem andern. Unten vor dem Bus stehen Trauben von zerlumpten Kindern, die einem Armreifen und Sonnenschirme entgegenstrecken. Rolfs Frau hat ihnen manches abgekauft. Wo anfangen, wo aufhören? Die meisten flüchten erschrocken in den Bus, fühlen sich bedrängt. Die Erfindung der Plastiktüte war für Indien keine gute Idee. Überall liegen sie herum. Die dürren Kühe auf der Straße grasen buchstäblich im Müll. Birte Schulte hat für vieles eine Erklärung: „Das Kastenwesen ist offiziell abgeschafft, die Kaste der Müllmänner existiert nicht mehr.

Und die öffentliche Abfuhr funktioniert nicht. Die Hindus haben ein anderes Reinheitskonzept als wir: Innen im Haus wird peinlich genau auf Sauberkeit geachtet. Was draußen vor der Tür passiert, ist nicht so wichtig.“ Ständig sieht man aus dem Bus heraus Männer, die an die Straße pinkeln oder den Fluss als Toilette nutzen - Körpersäfte gelten als unrein. „Der Inder von heute ist nicht nur das bettelnde Kind oder der barfüßige Greis. Auch der Bollywoodstar und der Software-Ingenieur gehören dazu“, sagt Birte Schulte. Die Gruppe fährt durch Gurgaon, eine Stadt am Rand von Delhi. Vor 15 Jahren war hier noch Ackerland, jetzt reihen sich Hochhäuser an Einkaufszentren, BMW und Mercedes betreiben Autohäuser. Eine knappe Million Menschen lebt in dieser Keimzelle des neuen Mittelstands. „Ist das das neue Indien? Oder sind die Wohnsilos in Gurgaon die Ruinen von morgen?“, liest Birte Schulte aus der „Times of India“ vor, größte Zeitung Indiens. Der Palast der Winde in Jaipur ist wieder einmal ein gebautes Schmuckstück. Eine apricotfarbene Fassade aus ornamental gestalteten Fenstern, hinter denen die Prinzessinnen das Treiben auf der Straße betrachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Die Straßen von Jaipur heute gleichen einem akustischen Inferno. Alles hupt, nichts geht vorwärts.

In Delhi warten die Menschen an den Zubringerschnellstraßen

Der Verkehr ist überhaupt ein Wahnsinn. Highway, also Autobahn, ist in Nordindien ein relativer Begriff. Es kann sein, dass der Verkehr zum Erliegen kommt, weil gerade eine Ochsenherde auf der Fahrbahn unterwegs ist. Die Lastwagenfahrer hupen sich den Handballen wund, die Hirten stellen sich taub. In Delhi warten die Menschen an den Zubringerschnellstraßen direkt neben der Fahrbahn auf den Bus. Haltestellen gibt es für die Pendler nicht. Indien ist anstrengend. Für die Augen, für die Ohren, für die Seele. Die Nächte sind kurz. Fast jeden Tag ist frühes Aufstehen angesagt, das Einschlafen fällt schwer. Zu viele Eindrücke, zu viele Widersprüche. Hier die Pracht der Tempel und Paläste, dort das Elend am Straßenrand. Gut, dass jetzt eine Atempause im Nationalpark Ranthambore angesagt ist. In dem knapp 400 Quadratkilometer großen Dschungelgelände sollen 45 Tiger leben. Zwölf davon in dem Gebiet, das für Touristen zugänglich ist.

Hier war das Jagdrevier des Maharadschas von Rajasthan. Die Reisegruppe wird frühmorgens in umgebauten offenen Lastern abgeholt. Es ist saukalt, der Fahrtwind pfeift. An der Straße sitzen Frauen im Staub und hauen Steine für einen neuen Belag. Wozu Maschinen, wenn menschliche Arbeitskräfte so billig sind. Die Pisten im Park sind holprig, man wird bis auf die Knochen durchgeschüttelt. Wer schon einmal in Afrika auf Safari war, ist enttäuscht. Gut, es gibt Axis- und Sambarhirsche zu sehen, und da hinten im Fluss dümpelt ein Krokodil. Ein großer Vogel hockt sich auf das Metallgeländer des Lasters und schnappt sich Kekskrümel. Aber kein Tiger weit und breit. Das ist eigentlich der Normalfall. Die Raubkatzen im Dschungel legen keinen Wert auf Besuch. Birte Schulte hat schon jahrelang keinen Tiger mehr bei einer Tour durch Ranthambore gesehen.

Die Schweizerinnen nehmen es wie immer mit Humor: „Den habet die andere uns scho weggeluaget.“ Eine fremde Touristin mit langen Rastalocken, nicht aus der Gruppe, fängt an, dem Fahrer eine Szene zu machen. Das sei doch alles ein Nepp, sie wolle ihr Geld zurück. Am Nachmittag steht eine erneute Pirschfahrt an. Eigentlich wäre es doch auch nett, sich nach der Mittagspause an den Hotelpool zu legen. Noch einmal diese Rütteltour - für ein paar Antilopen und Hirsche? Die Schweizerinnen stehen schon startklar am Laster. Ausruhen könne man wieder daheim. Das Licht ist anders am Nachmittag. Und eigentlich ist die Dschungellandschaft an sich schon sehr schön. Baumriesen und Felsen, die von der Sonne angestrahlt werden.

Dann wird der Fahrer auf einmal hektisch. Er habe den Warnruf eines Hirschs gehört, sagt er. Ganz in der Nähe muss er sein, der Tiger. Ja, ja, wer’ s glaubt . . . Heute morgen hatte der Fahrer angeblich auch schon Tigerspuren entdeckt. Sagt er. Noch eine Weile Geruckel über Wurzeln und Schlaglöcher - und dann liegt er da. Einfach so. Räkelt sich auf einem Felsen und dreht den überraschten Beobachtern den Rücken zu. Bis die Fotoapparate anfangen zu klicken, ist es ganz still. Eine ganze Stunde steht die Gruppe da und kann das Glück kaum fassen. Jetzt dreht sich das Raubtier sogar herum, zeigt sich in seiner ganzen Schönheit, träge und gelangweilt. Die Schweizerin Sue Paredi hat das Prachtstück herangezoomt und drückt ab - ein tolles Foto. Das Auge des Tigers. Indien hat alle Register gezogen.

So wird das Wetter für die Weltreise

Infos zu Rajasthan

Veranstalter
Die beschriebene Reise entspricht dem ersten Teil der 14-tägigen Rundreise „Nordindien Glanzlichter“ von Studiosus. Mit Flug und HP kostet die Reise ab 2290 Euro. Die nächste Reise findet im Februar statt, der Veranstalter bietet auch andere Indien-Reisen an, www.studiosus.com . Studienreisen nach Nordindien haben auch Gebeco, www.gebeco.com , und Ikarus Tours im Programm, www.ikarus.com .

Reisezeit/Einreise
Der deutsche Winter ist die beste Reisezeit für Nordindien. Dann steigen die Temperaturen tagsüber selten über 25 Grad, und auch die Luftfeuchtigkeit ist erträglich. Ab April wird es heiß, ab Juni setzt der Monsun ein. Ein Visum kann beim indischen Konsulat beantragt werden, www.indianembassy.de . Es kostet 50 Euro. Bei einer Pauschalreise kümmert sich meistens der Reiseveranstalter um das Visum. Der Reisepass muss mindestens noch sechs Monate gültig sein.

Gesundheit
Die Standardimpfungen gemäß Impfkalender des Robert-Koch-Instituts, www.rki.de , wie Tetanus, Polio und Diphtherie sollten vorhanden sein. Eine Tollwutimpfung ist in der Regel bei einer organisierten Reise nicht notwendig. Gegen Durchfall beugt die goldene Regel vor: Man sollte nur Gekochtes oder Geschältes essen. Also auch keinen Salat vom Hotelbüfett.

Reisegepäck
Wegen der vielen Hotelwechsel bei einer Rundreise empfiehlt es sich, Wäsche, Socken, T-Shirts etc. je weils in eigene Beutel zu packen. Das erleichtert das schnelle Ein- und Auspacken. In den Koffer gehört auch noch ein altes Paar Socken, das beim Tempel- oder Moschee-Besuch übergezogen werden kann. Schuhe sind nicht erlaubt.

Unbedingt auch an einen Schal und warme Pullover oder eine Fleecejacke den ken. In den Morgenstunden ist es ziemlich kalt.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall sollten Frauen immer ein großes Tuch in der Handtasche haben. Das schützt nicht nur vor Sonnenbrand, sondern auch vor Zugluft in den klimatisierten Bussen oder Restaurants. Ein Tuch ist ebenso bei einem Tempel- oder Moschee-Besuch notwendig, um die Schultern und Arme zu bedecken. Ein ärmelloses Oberteil gilt als unangemessene Bekleidung.

Auf keinen Fall sollte man einen Kinobesuch versäu men, zum Beispiel im Raj Mandir in Jaipur. Jeder Rik schafahrer kennt die Adresse. Die indischen Bollywoodfilme sind ein Erlebnis: krude Handlung mit unmotivierten Tanzeinlagen, verballhornte Mythen - und jede Menge Kitsch. Dazu ein Publikum, das mitgeht und bei den Kussszenen klatscht.