Mit einer Royal Enfield, einem indischen Motorrad, durch Südindien zu fahren, ist ein Abenteuer. Man lernt Land, Leute und den unberechenbaren Straßenverkehr genau kennen.

Varkala - Im Januar ist die beste Zeit, dem deutschen Winter zu entfliehen, um im Süden Indiens Motorrad zu fahren. Dort ist dann ebenfalls Winter, mit für Mitteleuropäer angenehmen Temperaturen zwischen 18 und 32 Grad. Doch Inder frieren schnell, und so trifft man vor allem in den Hügeln der Western Ghats auf Menschen mit dicken Daunenjacken und Wollmützen. Eine Royal Enfield zu fahren, jenes klassische indische Motorrad, ist ein besonderes Erlebnis. Es ist dieses unbeschreibliche Geräusch, wenn am Morgen die Maschine anspringt, die Erde bebt und der Motor vibriert. Eine Mischung aus Lanz Bulldog und Harley. Manchmal hat sie untertourig auch etwas von Omas alter Nähmaschine. Immer gutmütig, mal abgesehen vom gelegentlichen Rückschlag des Kickstarters beim Antreten. Durch den schweren Motorblock liegt die „Enni“ satt auf der Straße und verzeiht auch mal ein Bremsen in der Kurve, ohne auszubrechen. Die Geländegängigkeit ist bei den indischen Straßenverhältnissen angebracht, denn es gibt jede Menge Straßen, die Feldwegen gleichen.

 

Trotz umsichtiger Fahrweise lässt es sich nie ganz vermeiden, dass man etwas zu schnell durch ein Loch donnert - jedes japanische Motorrad hätte längst einen Achs- oder Rahmenbruch. Eine besonders sinnvolle Zusatzausstattung sind die dicken Sturzbügel. Nicht wegen der Gefahr, dass man das Motorrad umwirft, sondern als Abstandshalter im dichten Stadtverkehr. Bei der Ankunft in Varkala leuchtet das Meer zwischen den Palmen hinter einem sonnendurchfluteten einsamen Sandstrand. Vor dem Hotel stehen bereits die Enfields. Abdul Khan und sein Sohn Rouf leiten und begleiten die Touren in Indien. Die Familie kommt aus Kaschmir, so wie viele der Budenbetreiber in Varkala. Hier findet man Händler aus Nordindien, Kaschmir, Ladakh, Tibet.

Acht Motorräder, sechs Teilnehmer

Rouf ist mit seinen 21 Jahren bereits sehr erfahren mit der Leitung einer Motorrad-Gruppe. Ehrgeizig hat er am Goethe-Institut einen Deutschkurs absolviert und parliert recht flott. Mit seiner umsichtigen Fahrweise ist es ein Leichtes, hinter ihm im Verkehr zurechtzukommen. Zum Abbiegen wird ausnahmsweise geblinkt, zusätzlich der entsprechende Arm gehoben. Nach und nach treffen die restlichen Teilnehmer der Gruppe ein. Zwei Schweizer, die bereits eine Tour von Goa nach Varkala gefahren sind und nun noch zwei weitere Wochen anhängen, vier Schwaben und ein Norddlicht aus Bremen. Insgesamt umfasst die Gruppe acht Motorräder, sechs Teilnehmer, eine Teilnehmerin, Rouf, der Guide, der Fahrer des Begleitfahrzeugs für das Gepäck und, ganz wichtig, Masud, der Mechaniker. Als Frau fällt man in Indien besonders auf, wenn die Haare rot sind. Wenn diese Frau auch noch auf einem Motorrad daherkommt, ist die Sensation perfekt.

Winkende Menschen am Straßenrand, jubelnde Schulkinder und Lastwagenfahrer, die beinahe aus der Kabine fallen, wenn der Tross und die Fahrerin mit dem langen Zopf vorbeifahren. Als Frau bekommt man einen Frauenbonus - die Enfield mit Anlasser und fünf Gängen anstatt ein Modell mit vier Gängen und Linksschaltung. Die Männer üben erst einmal das ungewohnte Schalten mit dem rechten Fuß. Erster Gang oben, alle anderen nach unten. Es ist gut, dass einem nichts peinlich sein muss, auch nicht, wenn Masud, der Mechaniker, den Kickstarter lässig mit seinen Badelatschen nach unten bewegt, also nur den Fuß fallen lässt, und die Maschine läuft. Die ersten 30 Kilometer zum Eingewöhnen führen über schmale Straßen, durch kleine Dörfer, durch Ministädtchen, immer schön auf der linken Seite. Gutmütig tuckern die Motorräder durch die Landschaft, der Fahrtwind ist angenehm. Es ist leichter als gedacht, sogar das Schlängeln durch den Verkehr und das Überholen.

Wichtigstes Teil am Fahrzeug ist die Hupe. Blinker sind überflüssig, beim Überholen wird kurz gehupt, manchmal auch länger, falls der Vordermann nicht zur Seite geht, und schwups ist man vorbei. Schlenker nach rechts sollte man unterlassen, denn es ist immer möglich, dass der Hintermann ebenfalls überholt. Nach ein paar Tagen ist dies in Fleisch und Blut übergegangen, so dass auch größere Orte mit quirligem Verkehr problemlos gemeistert werden. Da die Durchschnittsgeschwindigkeit in Ortschaften zwischen 20 und 40, außerhalb bei 60 bis 80 Kilometern pro Stunde liegt, wundert man sich immer wieder, dass trotzdem alles gutgeht. Von Varkala aus führt die Tour 150 Kilometer in Richtung Südspitze, nach Kanyakumari. Alle 40 bis 60 Kilometer wird Pause gemacht, es gibt eine frische Kokosnuss, einen Chai. Um den Devi-Tempel in Kanyakumari herum das übliche Angebot an Devotionalien und Plastiknippes, nach dem die Inder unbegreiflicher Weise absolut verrückt sind.

Den Vordermann nicht aus den Augen verlieren

Am nächsten Tag geht es 240 Kilometer über die Autobahn, wobei man sich ständig fragt, für wen diese gut ausgebaute Straße angelegt wurde, denn der Verkehr ist mehr als übersichtlich. Auch hier fährt der Konvoi nicht schneller als 80 Kilometer je Stunde. Wenn man hier die Enni einmal „ausfahren“ möchte, muss man sich nach hinten fallen lassen, um danach mit sagenhaften 120 Kilometern pro Stunde nach vorn zu preschen. Die Route führt an endlosen Windrädern vorbei nach Madurei. Dort herrscht reger Stadtverkehr. Erste große Herausforderung: den Vordermann nicht aus den Augen verlieren, das Motorrad nicht abwürgen und sich nicht vom Bus abdrängen lassen. Das Umschalten auf Grün an einer Kreuzung oder Bahnschranke hat etwas vom Gespannstart beim Motocrossrennen.

Erst drängeln wie am Skilift, dann fahren alle auf einmal los. Auf dem Weg zum Hotel gibt es den ersten kleinen Rempler. Ein Teilnehmer wird von einem Bus rüde abgedrängt. Er kommt mit ein paar blauen Flecken davon, das Motorrad hat ein paar Kratzer. Allerdings bedeutet dies eine Extraschicht für Mechaniker Masud, der Ennis liebt, jede Schraube beim Vornamen kennt und bei jedem falschen Geräusch die Ursache weiß. Nach Madurei führt die Tour in die Berge. Es folgen wunderbare Tage durch die Western Ghats, hinauf und hinunter in endlosen Rechts- und Linkskombinationen, die einen fast trunken machen. Weil hier Linksverkehr herrscht, sind die Linkskurven den Berg hinauf besonders schön. Kurz anbremsen, dann rein in die Senke vor der Kurve, Gas auf und hoch - wie in den Steilwandkurven einer alten Carrera-Bahn. Am nächsten Morgen dann geht es durch lauter Kurven durch die Teeplantagen hinauf nach Munnar. Zum Hotel führen fünf Kilometer traumhafte Straße.

Es ist fast wie Tiefschneewedeln, rechts, links, man kann das Grinsen nicht unterdrücken. Der erste motorradfreie Tag bringt etwas Freizeitstress. Erst eine Fahrt auf dem See, dann Gewürzshopping und Elefantenreiten. Man klettert auf das große graue Tier, das im Duschplatz sitzt - und schon bekommt der Reiter einen Rüssel voller Wasser ab. Von Thekkadi geht es dann hinab nach Kollam. Unterwegs ein Pilgerzug, eine nicht enden wollende Schlange von Menschen, Hunderte, nein, Tausende Männer, wenige Frauen, ein paar Kinder. Sie befinden sich auf ihrem 42 Tage währenden Marsch von einem Tempel zum anderen. Ihre Habe tragen sie in einem Bündel auf dem Kopf. Auch die Enni-Fahrer tragen eine Kopfbedeckung. Trotz der Hitze erweist sich der Vollvisierhelm als gute Wahl, zumindest kann man bei den ölig qualmenden Bussen das Visier schließen. Am Abend ist die Gruppe schließlich zurück in Varkala - und der Abschied von der lieb gewonnenen Enni fällt schwer.

Motorrad-Tour durch Indien

Veranstalter
Motorrad fahren im Winter, durch Palmenhaine und Teeplantagen, das kann man mit dem Veranstalter Wheel of India, www.wheelofindia.de , der mit seinem indischen Partner Motorradreisen durch verschiedene Teile Indiens anbietet. Die Teilnehmer bekommen für die Tour eine Royal Enfield zur Verfügung gestellt. Dieser ursprünglich aus England stammende Hersteller fertigte 1901 das erste Motorrad und ist die älteste noch produzierte Marke der Welt. Inzwischen wird die Enfield in Chennai/Indien gebaut. Eine 14-tägige Tour durch Südindien kostet pro Person ab 1888 Euro (ohne Flug).

Weitere Veranstalter für Motorrad-Reisen mit einer Royal Enfield durch Indien sind zum Beispiel Overcross, www.overcross.com/de/motorradreisen-2 , oder Vintage Rides, www.vintagerides.de