Alternative Heilverfahren liegen im Trend. Der ayurvedische Arzt Sebastiano De Mel erzählt, warum das so ist.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-Süd - Der Puls eines Menschen ist für Sebastiano De Mel wie ein Lexikon. Der ayurvedische Arzt spürt – wenn er den Puls misst – keineswegs nur den Herzschlag eines Patienten. Er fühlt das Blut, das vom Herzen kommt. Die einzelnen Schläge sind für ihn gar nicht so von Bedeutung. De Mel kann über die Pulsmessung die Funktion und Gesundheit des gesamten Körpers und des Geistes erfühlen. Er kann fühlen, wie gesund die einzelnen Organe sind, Warnsignale des Körpers erkennen und welche Probleme zu einem späteren Zeitpunkt auftreten können. „Ich habe aber keine magischen Hände“, sagt De Mel.

 

De Mel fragt bei seinen Patienten nicht nur körperliche Symptome ab, sondern auch seelische Befindlichkeiten; er notiert sich viel. Manchmal sind kleine Hinweise entscheidend für seinen Befund. Die Diagnoseform von Ayurveda ist eben die Pulstechnik.

Ayurveda liegt dem Arzt im Blut

Zweimal im Monat praktiziert de Mel bei Yoga Süd, Mozartstraße 51. Eine feste Praxis hat er nicht. Er geht dahin, wo seine Patienten sind. Die Zusammenarbeit mit einem Yoga-Studio ist für ihn naheliegend: „Yoga ist die Schwester von Ayurveda.“ Es gibt viele Parallelen. Yoga ist nicht nur eine körperliche Praxis, sondern hat eine wesentliche mentale Komponente. Sie ist neben der ayurvedischen Massage und speziellen Kräutermischungen ein entscheidender Behandlungsansatz. Am wichtigsten ist die Ernährung: „Im ayurvedischen System ist Nahrung die Medizin“, sagt der 58-Jährige.

In Stuttgart lebt De Mel seit 2007; seine Frau ist Deutsche. Er ist in Neuseeland aufgewachsen; dort hat er Humanmedizin studiert. Ayurveda hat er später in Sri Lanka studiert. Sein Vater stammt von dort. Auch er habe – ebenso wie der Großvater – das ayurvedischer System praktiziert. „Das liegt mir im Blut“, sagt der Arzt. Viereinhalb Jahre hat er in Sri Lanka ayurvedische Medizin studiert. „Man braucht viel Erfahrung, um über den Puls Erkenntnisse zu gewinnen.“ 5500 Stunden habe er gelernt. Über den Puls bestimmt De Mel, welches Dosha, sprich, welcher Typ, ein Mensch ist. Die drei existierenden Doshas sind Vatta, Pitta oder Kapha. „Jeder Mensch passt auf einen von diesen Dreien.“

Die Schulmedizin und alternative Ansätze müssen sich ergänzen

Insgesamt hält De Mel das ayurvedische System für erfolgreich in der Behandlung von Symptomen und Krankheiten. „Wir schauen tiefer, sehen, wo die Wurzel eines Problems ist.“ Die gelte es zu finden. In der Schulmedizin wird oft anders diagnostiziert, sagt De Mel, der sich seit 27 Jahren auf das ayurvedische System konzentriert. Dennoch verteufelt er die Schulmedizin nicht. Denn aus seiner Sicht hat „jede medizinische Richtung ihr eigenes Fundament“.

Die steigende Nachfrage nach alternativen Heilmethoden erklärt der Spezialist damit, dass Stress und psychische Krankheiten zunehmen. „Manche finden da keine Lösung im klassischen System und suchen nach Wegen in der Natur.“

Gerade Magen- und Darmprobleme seien inzwischen weit verbreitet. Auslöser können aus der Sicht von De Mel neben der Ernährung Stress und Umwelteinflüsse sein. Ein wichtiger Faktor im Ayurveda ist es auch, sich Zeit zum Essen zu nehmen. „Manche essen sehr gesund und haben trotzdem Beschwerden“, sagt De Mel. Auch da gelte es die Ursache zu finden. Und die sagt ihm häufig der Puls.

Ayurveda – die Indische Heilkunst

Tradition
Ayurveda („Wissen vom Leben“) ist eine indische Heilkunst, welche die Gesamtperson betrachtet: Körper, Geist und Seele. Sie wird viel in Asien angewandt wird. In der westlichen Welt ist Ayurveda eher ein Wellnesstrend. Es gilt aber als eine der ältesten medizinischen Richtungen: Seit mehr als 5000 Jahren wird das Wissen weitergegeben.

Diagnose
Mittels der Blick- und Pulsdiagnose sowie Befragung stellt der Arzt das aktuelle Verhältnis der Lebensenergie (Doshas) eines Patienten fest. Die drei Doshas heißen Vatta, Pitta oder Kapha. Im Ayurveda wird der Informationsfluss des Blutes in fünf Elemente aufgeteilt: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Rau. Diese werden den Lebensenergien zugeordnet. Vatta steht für Luft und Raum, Pitta für Feuer und Wasser, Kapha für Wasser und Erde.