Bei Bosch Rexroth in Homburg/Saar werden im Zusammenspiel von Mensch und Maschine in hochautomatisierten Verfahren Ventile hergestellt. In einem nächsten Schritt sollen weitere Werke eingebunden werden. Ein Besuch in einer Fabrik, die in der Industrie als Vorzeigeprojekt gilt.

Homburg/Saar - Hier in Homburg an der Saar hat Bosch Rexroth also die neue Ära in der Produktion eingeläutet. Industrie 4.0 heißt das Schlagwort, das nichts weniger umschreibt als die vierte industrielle Revolution (nach Dampfmaschine, Fließband und Computer). In Zukunft sollen sich Mensch und Maschine, die Maschinen untereinander und alle auch noch mit Kunden und Lieferanten vernetzen – selbstverständlich weltweit. Dies soll zu mehr Flexibilität und Produktivität sowie zu höherer Qualität führen. Industrie 4.0 ist auch Schwerpunkt der Industriemesse, die am Sonntag in Hannover eröffnet wird.

 

Ende 2014 wurde in Homburg die neue, vernetzte Produktionslinie in Betrieb genommen. Es ist ein preisgekröntes Projekt, das den „Industrie 4.0 Award“ erhalten hat, vergeben von der Fachzeitschrift „Produktion“ sowie der Unternehmensberatung ROI Management Consulting, wegen der „ganzheitlichen und wirtschaftlichen Umsetzung“ wesentlicher Aspekte von Industrie 4.0, wie die Jury befand. Doch wer jetzt an der Saar die industrielle Revolution erwartet, dürfte enttäuscht sein. Gleichwohl wird in Homburg eindrucksvoll klar, wohin die Entwicklung geht.

250 Varianten hat Bosch Rexroth

Bis zu vier Mitarbeiter sind zeitgleich an der neuen Linie tätig und fertigen elektrohydraulische Ventile. Ohne sie würden sich Pflug, Mähwerk, Frontlader und Sämaschine, die an einen Traktor angehängt werden, weder heben noch senken noch rotieren. Wegen der großen Typenvielfalt eigne sich dieses Geschäft besonders gut für Industrie 4.0, sagt Frank Hess, technischer Leiter in Homburg. Schließlich soll diese nächste Stufe der Automatisierung selbst bei Kleinstserien flexibel und effizient sein. Bosch Rexroth bietet seinen Landtechnik-Kunden 250 Varianten an.

Bevor der Mitarbeiter nun Hand an ein Werkstück legt, muss er sich zunächst einmal anmelden. Ein Sensor an der Anlage liest die Informationen auf seinem Mitarbeiterausweis, der den Zusatz „4.0“ trägt, aus – damit kennt das System etwa die Muttersprache des Kollegen, und das System weiß, ob er viel oder wenig Erfahrung hat. Warum muss eine Anlage das wissen?, fragt sich der Besucher unwillkürlich.

Anfängern wird jeder Handgriff vorgeführt

Ziel ist, einen individuell zugeschnittenen Arbeitsplatz zu schaffen. Hat der Mitarbeiter viel Erfahrung, benötigt er wenig Montageanleitung, die er in seiner Muttersprache – etwa auf Deutsch – auf einem Bildschirm auf Augenhöhe in unmittelbarer Nähe der Station ablesen kann. Dort ist jeder einzelne Arbeitsschritt angeschrieben. Am Materialkasten blinkt ein grünes Licht auf – der Kollege erkennt sofort, welche Schraube, Feder oder Unterlegscheibe er als Nächstes montieren muss. Bei Anfängern läuft auf dem Bildschirm eine 3-D-Animation ab, bei der jeder Handgriff vorgeführt wird. Geduldig wiederholt das System die kurze Filmsequenz, bis das Teil sitzt. Derzeit kann die Anlage in Homburg nur Deutsch und Englisch, und sie unterscheidet auch nur zwischen Anfängern und Experten, erläutert der Werkleiter. Die nächsten Schritte sind klar: Die Zahl der Sprachen lässt sich deutlich steigern, und bei der Qualifikation der Mitarbeiter kommen weitere Abstufungen hinzu.

Doch warum benötigt der Mitarbeiter eine individuelle Anmeldung für Handgriffe, die er – mit entsprechender Erfahrung – quasi im Schlaf kann? Im Rahmen des Projekts Industrie 4.0 werden 25 (von insgesamt 250) Varianten gefertigt, und zwar in beliebiger Abfolge. Dies spart zeitaufwendiges Umrüsten, und Kundenwünsche lassen sich schneller erfüllen, erläutert Hess. Und damit steige die Produktivität. Ein Mitarbeiter kann noch so viel Erfahrung haben, doch bei einem ständigem Typenwechsel braucht auch er manchmal einen Hinweis via Bildschirm. Und woher weiß nun die Anlage, was zu tun ist? Diese Information erhält sie von dem Träger, auf dem das Werkstück transportiert wird. Dieser Träger ist mit einem RFID-Chip ausgestattet, also einem Mikrochip, der das Werkstück identifiziert. Ein Lesegerät an der Fertigungsstation liest die Informationen aus – und weiß damit, was konkret an diesem Arbeitsplatz zu tun ist. Dabei werden keine seitenlangen Arbeitsanweisungen übertragen, sondern lediglich der spezielle Code für die konkrete Ventilvariante. Mit dem Code, der aus wenigen Zeichen besteht, verbindet die Station automatisch konkrete Arbeitsschritte. Dass alle Handgriffe an der Station getan sind, kontrolliert eine Kamera – und gibt den Weg frei zur nächsten Station, wo zunächst wieder der RFID-Chip gelesen wird. Durch diese Kontrolle sinkt die Fehlerquote, wodurch die Produktivität steigt.

Noch füllen Mitarbeiter die Materialkästen auf

Auf seinem Weg durch die insgesamt neun Stationen trifft das Werkstück immer wieder auf Sensoren – winzig kleine, intelligente Teilchen, die Informationen sammeln. Beim Schrauber etwa misst der Sensor mit welcher Kraft die Schraube angezogen wird – und gibt grünes Licht, wenn sie perfekt sitzt. An einer anderen Station misst ein Sensor, dass das Werkstück kein Öl verliert. Beides hilft, Fehler zu vermeiden.

In Homburg kommunizieren Mitarbeiter, Werkstück und Maschine miteinander – mehr Vernetzung gibt es derzeit nicht. So werden etwa Materialkästen von Mitarbeitern in regelmäßigen Abständen aufgefüllt. Dies wird sich aber demnächst ändern; dann meldet das System selbst, was an welchem Arbeitsplatz fehlt. Auch die Materialbestellung beim Lieferanten soll dann die Maschine übernehmen. Und in einem übernächsten Schritt – 2017 oder 2018 wird es so weit sein, schätzt Werkleiter Hess – werden Schwesterwerke wie das in China in das System eingebunden. Dann kann etwa eine Software, die in Homburg erfolgreich läuft, einfach per Datenleitung auch im Werk im Reich der Mitte installiert werden.

Die globale Vernetzung hat auch Nachteile

Das klingt bescheiden, gemessen an den Visionen von Experten, die viel weiter gehen. Da fragt eine Maschine die andere sogar über Kontinente hinweg nach freien Kapazitäten – und dann, so die Vorstellung, werden Aufträge verschoben. Könnte es also sein, dass Hydraulikventile, die eigentlich in Homburg gefertigt werden sollten, wegen Kapazitätsengpässen irgendwann in China vom Band laufen? Ein Bosch-Sprecher sieht das nicht so. Dann müssten die Ventile ja wieder zum Kunden nach Deutschland transportiert werden. Mit dem Schiff kann das Wochen dauern, gibt er zu bedenken. Außerdem: Maschine und Software mögen gleich sein – dennoch können sich die hergestellten Teile unterscheiden; schließlich wurden sie zuvor ja an die Wünsche der Kunden vor Ort angepasst.