Der Ehrenpräsident der IHK Stuttgart appelliert an die Kammern zu überlegen, ob der Zwang Mitglied in einer Kammer zu sein „wirklich nötig“ ist.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Die Pflichtmitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern muss auf den Prüfstand gestellt werden. Dies erklärte der Ehrenpräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart, Berthold Leibinger, in einem Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung. „Wir müssen uns überlegen, ob die Pflichtmitgliedschaft wirklich nötig ist“, sagte er auf die Frage, was möglicherweise bei den Kammern selbst reformiert werden müsse. Dies sei aber eine „sehr persönliche Meinung“, sagte Leibinger.

 

Der frühere Chef des Maschinenbauers Trumpf, der auch im Präsidium der Stuttgarter Kammer sitzt, machte allerdings eine Einschränkung: Unternehmen, die Lehrlinge ausbildeten, müssten wohl auch weiter Pflichtmitglieder sein. Dies sei schon wegen ihrer Aufgaben bei der dualen Berufsausbildung erforderlich. Die Ausbildung findet dabei sowohl in den Berufsschulen als auch in den Betrieben statt.

Momentan hat jedes Kammermitglied eine Stimme

Nach Meinung des Ehrenpräsidenten muss sich eine Industrie- und Handelskammer auch zu politischen Tagesfragen äußern. „Der Präsident muss das vertreten, was die Mehrheit seiner Mitglieder für richtig und wichtig hält,“ sagte Leibinger zu dem umstrittenen Verhalten der IHK. Kritiker hatten der Kammer vor den Wahlen vorgeworfen, sich eindeutig für den Bau von Stuttgart 21 ausgesprochen zu haben. Auch Unternehmer, die Stuttgart 21 ablehnten, äußerten sich schließlich politisch. Diese hätten aber eben keine Mehrheit in der Kammer, meinte der frühere Stuttgarter IHK-Präsident.

Wenig hält Leibinger davon, die Stimmen bei einer Wahl an Kriterien wie etwa die Beitragshöhe zu knüpfen. Dadurch erhielten große Unternehmen ein übermäßiges Gewicht. Im Augenblick hat jedes der rund 160 000 Stuttgarter Kammermitglieder eine Stimme, die Größe spielt dabei keine Rolle. „Vor der Wahl könnte die Kammer aber mehr zu den einzelnen Unternehmen sagen, aus denen die Bewerber kommen,“ meinte er. Dabei könne dann auch die Bedeutung eines Unternehmens für die regionale Wirtschaft deutlicher werden.

Für überdenkenswert hält Leibinger auch das Wahlverfahren. Gewählt werden dabei sowohl die Vollversammlung der IHK Region Stuttgart als auch die Bezirksversammlungen für die Kammergebiete Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg, Göppingen und Rems- Murr. Für jede dieser Versammlungen werden die Bewerber zudem in sechs verschiedenen Berufsgruppen gewählt. „Dieses Verfahren kann durchaus verwirrend sein“, findet der frühere Kammerchef. Denkbar sei für ihn, die Wahl zur Vollversammlung der IHK Region Stuttgart und zu den einzelnen Bezirksversammlungen nicht mehr gleichzeitig, sondern zu unterschiedlichen Terminen durchzuführen.

Leibinger: Müller hat gute Arbeit geleistet

Auf Spekulationen darüber, wer künftig an der Spitze der IHK Stuttgarter stehen könnte, wollte sich Leibinger nicht einlassen. „Ich kenne mindestens zehn gute Leute“, sagte er. Die meisten seien aber mit ihrem Unternehmen derart ausgelastet, dass ihnen kaum Zeit für ein solches Ehrenamt bleibe. Dies gelte auch für seinen Schwiegersohn Matthias Kammüller. Kammüller ist in der Geschäftsführung des Ditzinger Maschinenbauers Trumpf für den wichtigen Bereich Werkzeugmaschinen verantwortlich. Kammüller wurde kürzlich erneut in die Vollversammlung der IHK Stuttgart gewählt.

Der bisherige Präsident Herbert Müller, der den Einzug in die Vollversammlung verfehlt hat, habe eine gute Arbeit geleistet, sagte Leibinger. Es sei sehr schade, dass ein ausgewiesener Steuerfachmann nun nicht mehr in dem Gremium vertreten sei. Das Präsidium habe ihm aber geraten, sich nicht in die Vollversammlung kooptieren zu lassen. Dies wäre unter Umständen möglich gewesen. Müller hätte sich dann aber nach Meinung des Präsidiums mit einer gegen ihn gerichteten Kampagne auseinandersetzen müssen. Dass Müller nicht mehr in die Vollversammlung gewählt wurde, habe ihn überrascht, sagte Leibinger. Neben dem Streit um Stuttgart 21 machte er dafür auch eine allgemeine Missstimmung in der Bevölkerung verantwortlich. Diese sei aber nicht gerechtfertigt. So sei etwa der Wohlstand der Bewohner in der Region Stuttgart höher als in anderen Teilen Deutschlands.

„Der Idealfall ist ein Eigentümer aus einem produzierenden Unternehmen“, sagte Leibinger zu den Anforderungen an einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin. Auf jeden Fall müsse er aber „nah dran sein an den Themen, die uns in der Region umtreiben.“ Dies sei auch bei Unternehmen wie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young der Fall, von der Müller kommt. Steuerfragen, die Verkehrspolitik, die Bildungspolitik, die Berufsausbildung sowie die Forschungsinfrastruktur müssten im Blickfeld der neuen IHK-Spitze stehen. Zudem müsse diese gute Verbindungen zur Landespolitik haben.