Meist ist die Rede von multiresistenten Bakterien, wenn es um Infektionskrankheiten geht. Doch viele Bakterien können in einen schlafenden Zustand übergehen und so viele Krankheiten am Laufen halten.

Stuttgart - Die Angst vor Krankheitserregern, gegen die kein Medikament mehr hilft, ist groß – bei Patienten wie bei Ärzten. Bestens bekannt sind die Probleme, die antibiotikaresistente Bakterien machen. „Über diese liest oder hört man schließlich alle naslang etwas“, bestätigt Ralph Bertram, seit März Forschungsreferent an der Paracelsius Privatuniversität am Klinikum Nürnberg, zuvor viele Jahre Arbeitsgruppenleiter am Lehrstuhl für Mikrobielle Genetik der Uni Tübingen. Die Keime an denen der Biologe forscht, haben die meisten Mediziner dagegen nicht auf ihrem Radarschirm. Bertram gehört zu einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Wissenschaftlern, die sich mit Bakterien beschäftigt, die kein bisschen resistent gegen Antibiotika sind und dennoch hohe Konzentrationen dieser Medikamente über Tage, Wochen und sogar Monate ertragen können, ohne dass ihnen der Wirkstoff dauerhaft etwas anhaben kann.

 

Haben Salmonellen, Staphylokokken oder Mykobakterien ihren Wirt geentert, legt ein Teil der Krankheitserreger los und vermehrt sich millionenfach. Der Rest wächst und teilt sich dagegen nur schleppend oder verfällt sogar in eine schlafartige Starre. Während man den sich flott reproduzierenden Keimen meist schon mit einer einzigen Antibiotikagabe den Garaus machen kann, können sich ihre langsam wachsenden Artgenossen dem Angriff von Penicillin und Co dank ihrer gemächlichen Entwicklung entziehen. Sie tolerieren die Attacken der vernichtenden Wirkstoffe für eine gewisse Zeit – ohne resistent gegen die Medikamente zu sein. Dirk Bumann, Infektionsbiologe am Biozentrum der Universität Basel, ist überzeugt, dass es diese „mittelmäßigen, sonst kaum auffälligen Langweiler“ sind, die vor allem dafür sorgen, dass Infektionen nach einer Antibiotikatherapie neu aufflammen. Bumann konnte im vergangenen Jahr nachweisen, dass völlig gleiche Bakterien nicht nur , wie bis dahin bekannt, im Reagenzglas unterschiedlich schnell wachsen können, sondern tatsächlich auch in infizierten Lebewesen. Gemindertes Wachstum ist in der Regel aber kein Dauerzustand. „Der Wechsel von langsam zu schnell ist ein dynamischer Prozess, der noch nicht vollständig verstanden ist. Doch innerhalb von Minuten oder Stunden können ruhiggestellte Bakterien wieder in einen aktiven und teilungsfähigen Zustand übergehen“, erklärt Bertram.

Schlafende Bakterien

Als erster stellte Joseph Bigger, ein irischer Mikrobiologe, während des 2. Weltkriegs die These auf, dass sich Bakterien durch den zeitweiligen Übergang in einen „schlafenden“ Zustand dem Zugriff von Antibiotika entziehen können. „Dann war es jahrzehntelang sehr ruhig um das Thema“, erinnert sich Bertram. Entscheidend geändert hat sich das erst vor etwa 15 Jahren. Seither spürt eine langsam wachsende Gruppe von Wissenschaftlern der Frage nach, wieso banale Infekte wie etwa Mittelohr- oder Mandelentzündungen trotz starker Antibiotikatherapien immer wieder aufflackern. Zudem gebe es, so Sophie Helaine vom Imperial College in London, vermehrt Belege dafür, dass Krankheiten wie beispielsweise Mukoviszidose oder chronische Harnwegsinfektionen von antibiotikatoleranten Bakterien am Laufen gehalten werden. Den jüngsten Beweis lieferte Kim Lewis von der Northeastern Universität in Boston in einer im Juli im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Studie. Das Team des Amerikaners hatte Urinproben von 500 Patienten mit chronischen Harnwegsinfekten untersucht und konnte zeigen, eine große Zahl der in den Proben gefundenen Bakterien eindeutige Merkmale für langsames Wachstum und Antibiotikatoleranz trugen.

„Das ist total spannend, aber es ist Grundlagenforschung“, sagt Winfried Kern, Leiter der Infektiologie am Uniklinikum Freiburg. Auswirkungen auf die klinische Praxis hat die aktuelle Forschung an antibiotikatoleranten Erregern noch wenig. „Es gibt keinen Routinetest für Toleranz, den wir im Krankenhaus einsetzen könnten“, bedauert der Freiburger Infektiologe. Bei bestimmten Erkrankungen gehen Mediziner auf Grund ihrer Erfahrungen allerdings automatisch davon aus, dass mit einer kurzen Antibiotikagabe höchstwahrscheinlich keine Heilung zu erzielen ist. Hochdosiert und längerfristig eventuell mit Kombinationstherapien behandeln sie beispielsweise Entzündungen der Herzinnenhaut, Erkrankungen wie die Brucellose und die Tuberkulose oder auch entzündliche Reaktionen auf Fremdkörper im Organismus, wie künstliche Herzklappen oder andere Implantate. Um wirklich alle Keime abzutöten, kann eine Antibiotikatherapie da schon mal ein ganzes Jahr dauern.

Suche nach neuen Wirkstoffen

Damit wollen sich Wissenschaftler wie Ralph Bertram, Dirk Bumann, Sophie Helaine oder Kim Lewis auf Dauer aber nicht zufrieden geben. Sie suchen nach Wegen, die Antibiotikaempfindlichkeit langsam wachsender oder schlafender Bakterien zu steigern, indem sie ihre Aktivität ankurbeln. Zudem forschen sie an Wirkstoffen, vor denen sich die antibiotikatoleranten Erreger nicht verstecken können. Zwar habe die bisherige Entwicklung gezeigt, warnt der Freiburger Infektiologe Kern, „dass Bakterien immer Aus- und Umwege entwickeln, die ihr Überleben sichern.“ Trotz dessen und obwohl es noch keine klinischen Studien gibt, die die Wirksamkeit neuer Therapien bei Patienten gezeigt haben, stimmen einige der in den vergangenen Jahren entwickelten Ansätze die Grundlagenforscher hoffnungsvoll.

„Im Experiment hat die Kombination zweier Antibiotika, ADEP 4 und Rifampicin, sehr gut funktioniert“, berichtet Bertram. In einem anderen Versuch ließ sich die Wirksamkeit von Antibiotika durch die gleichzeitige Gabe von verschiedenen Zuckern steigern. Und dann wäre da noch die von Kim Lewis propagierte Pulstherapie: Er schlägt vor, Patienten zunächst ein Antibiotikum zu verabreichen, das die wachsenden Zellen tötet. Dann empfiehlt er eine kurze Pause, bis die toleranten Bakterien erwacht sind. Bevor sie sich teilen und einen neuen Entzündungsherd bilden, will Lewis mit einem Antibiotikum zuschlagen. Kliniker, wie Winfried Kern, hegen Zweifel an dieser Strategie, doch Lewis gibt sich zuversichtlich: „Wenn wir das im Reagenzglas ein paar Mal wiederholen, können wir eine Bakterienpopulation komplett vernichten“, so Lewis. „Ich bin überzeugt, dass uns dasselbe im Menschen gelingt.“