Menschen, die in einem Büro arbeiten, verbringen im Schnitt einen Tag pro Woche mit dem Beantworten von E-Mails, Anrufen und Kurznachrichten. Das erfordert einen bewussten Umgang und das zeitweilige Ignorieren von Nachrichten.

Freiburg/Mainz/Leipzig - Wer dem Informatiker Felix Freiling eine E-Mail schreiben will, der stößt auf seiner Homepage auf eine ungewöhnliche Mitteilung: Er könne nicht mehr alle Mails beantworten. Höflich entschuldigt er sich für die Umstände und empfiehlt allen mit dringenden Anliegen, ihm einen Brief zu schreiben. „Ich stoße ungern Leute vor den Kopf, aber diese vielen Mails haben mich fast wahnsinnig gemacht“, sagt der Professor der Universität Erlangen-Nürnberg. Früher habe man alle beantworten können, „aber diese Zeiten sind vorbei.“

 

„Das überforderte Ich“

Das Problem von Felix Freiling ist exemplarisch: Wer alle Mails in seinem Postfach beantwortet, dem fehlt am Ende des Tages die Zeit für die eigentliche Arbeit. Wie sehr dieses Thema die Gesellschaft beschäftigt, zeigt die nach Angaben der Forscher größte Online-Untersuchung im deutschsprachigen Raum zum Thema Arbeitseffizienz und neue Medien: Daniel Markgraf, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der privaten Akad-Hochschule in Leipzig, befragte im Sommer 2013 knapp 20 000 Büroarbeiter. Im Schnitt verbrachten sie einen Tag in der Woche mit der Bearbeitung von E-Mails – zu viel, wie die meisten von ihnen befanden. 84 Prozent sagten, sie hätten das Gefühl, viel zu arbeiten, aber es genüge noch immer nicht.

„Das überforderte Ich“ nennt Christian Montag diesen Effekt. Der Professor für Molekulare Psychologie forscht an der Universität Ulm daran, wie unsere biologische Ausstattung auf die Informationsflut reagiert und ab wann es ihr zuviel wird. „Das Arbeitsgedächtnis unseres Gehirns ist limitiert“, sagt er, „je mehr Informationen gleichzeitig verarbeitet werden müssen, umso schwerer fällt es uns, allen die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken.“ Durch die Masse an Mails kann sich nach seiner Beobachtung bei vielen Menschen eine emotionale Erschöpfung breit machen, wie sie auch bei Burnout beobachtet wird.

Aber nicht nur die Menge der elektronischen Kommunikation stresst den modernen Menschen, sondern auch ihre ständige Präsenz: „Mit Outlook auf dem Rechner und dem Smartphone neben der Tastatur ist es nicht mehr möglich, konzentriert zu arbeiten“, sagt Montag. Um in einen konzentrierten Arbeitsfluss zu kommen, braucht es Ruhe. Dieser „Flow“, wie ihn die Arbeitspsychologie nennt, stellt sich nur dann ein, wenn man Raum und Zeit um sich herum vergessen kann. Das kommt in der modernen Arbeitswelt immer seltener vor.

Unterbrechungen verursachen Stress

Antje Baethge, Wirtschaftspsychologin an der Universität Mainz, forscht seit längerem über Unterbrechungen. Schließlich unterbrechen uns auch Kollegen oder klingelnde Telefone. Schon vor der digitalen Revolution hatten Menschen mit diesem Problem zu tun. Häufige Unterbrechungen führen laut ihrer Studien dazu, dass wir schneller erschöpft und unzufrieden mit unserer Leistung sind. „Unterbrechungen sind ein Stressfaktor“, sagt Baethge. Sie bringen uns aus dem Arbeitsfluss und setzen viele kognitive Mechanismen in Gang, unter anderem, damit wir nicht vergessen, wo wir aufgehört haben.

Die moderne Kommunikation potenziert dieses Problem, was in der Wissenschaft erst langsam ankommt. Lange sei es schwierig gewesen, für entsprechende Untersuchungen Fördergelder zu bekommen, sagt Annette Hoppe, Leiterin des Lehrgebiets Arbeitswissenschaften an der Universität Cottbus. Als die Arbeitspsychologin auf einer Fachkonferenz 2004 erstmals das Wort „Technikstress“ erwähnte, sei sie von ihren Ingenieurskollegen noch ausgelacht worden. „Technik wird alles erleichtern, sagten sie.“

Die neue Work-Life-Balance verstärkt das Problem

Aber auch wer die automatischen Mail-Benachrichtigungen abstellt und das Handy im Nachbarzimmer deponiert, wird der Allgegenwart der Kommunikation nicht völlig entkommen. In vielen Berufen kann man heutzutage von überall arbeiten. Das ist für viele Menschen ein Gewinn, weil sich so beispielsweise Arbeit und Kinderbetreuung besser koordinieren lassen. Gleichzeitig erzeugt dieses überall-arbeiten-Können auch Druck: Es gibt keinen Feierabend mehr. Erste Studien zeigen die negativen Folgen der neuen Freiheit und der ständigen Erreichbarkeit. Die Arbeitsgruppe Wirtschaftspsychologie der Universität Freiburg hat 23 Studien zum Thema ausgewertet. Unter dem Strich fühlten sich die Betroffenen umso gestresster, je mehr Arbeit ins Privatleben Einzug hielt. Es wuchs das Gefühl, nicht mehr abschalten zu können.

Dabei sind gerade Kommunikationspausen umso wichtiger, betont Annette Hoppe. Denn das Arbeiten am Bildschirm, das Mailen, das Surfen mit dem Smartphone belaste immer die gleichen Hirnregionen. „Früher haben die Menschen nach Feierabend etwas ganz anderes gemacht und sich dabei erholt.“ Heute lesen viele auf dem Heimweg in der Bahn Nachrichten auf dem Smartphone und surfen zuhause auf dem Sofa mit dem Tablet-PC – eine Überforderung für unser Gehirn. Auch Molekularpsychologe Montag hält das für problematisch. Zwar habe uns die Technik lange Zeit entlastet. „Aber jetzt sind wir an dem Punkt, wo der Vorteil der digitalen Revolution verschwunden ist.“ Die Hoffnung, unsere Gehirne könnten sich dem neuen Umfeld vielleicht bald anpassen, teilt Montag nicht: „So schnell funktioniert die Evolution nicht.“

Wenn sich also unsere Gehirne nicht so schnell ändern können, dann muss sich die Technik anpassen. Technikstress-Forscherin Annette Hoppe wünscht sich Computer, die den Menschen begleiten und anzeigen, wann er eine Pause braucht. 08/15-Lösungen seien nicht der richtige Weg, sagt sie, auch wenn Politiker es damit leichter hätten, Gesetze zu formulieren. „Aber jeder Mensch ist anders, Arbeitsbedingungen sind unterschiedlich.“ Manche müssen auch nachts erreichbar sein, andere hingegen können schon ab 17 Uhr das Handy ausschalten. Auch Psychologe Montag rät zur individuellen Regelung, beispielsweise durch eine Software auf dem Smartphone, die Erreichbarkeit organisiert: Anrufe vom Chef könnten zwischen 9 und 16 Uhr durchgestellt werden, von 18 bis 22 Uhr dürfen Freunde anrufen, ab 22 Uhr ist Zeit für Erholung. Nichts spricht gegen die moderne Kommunikationstechnik, aber vieles dafür, sich auch einmal bewusst gegen sie abzugrenzen.