Im Kampf für eine bessere Luftqualität schrecken die Behörden vor Fahrverboten zurück. Noch. Wenn die Appelle an die Autofahrer und Kaminbesitzer fruchtlos bleiben, sind härtere Maßnahmen nicht ausgeschlossen.

Stuttgart - Der Zeitpunkt war eher ungünstig gewählt. Am späten Freitagnachmittag, während tausende von Pendlern gerade im Stau steckten und die Feinstaub- und Stickoxidbelastung mutmaßlich in die Höhe trieben, startete im Rathaus die Informationsmesse zum Thema Luftbelastung in der Landeshauptstadt.

 

Unter den wenigen, die sich im Großen Sitzungssaal des Rathauses eingefunden hatten und sich vor diversen Stellwänden (im Jargon des veranstaltenden Verkehrsministeriums „Themeninseln“ genannt) in Gespräche vertieften, waren vor allem zahlreiche Mitarbeiter der Landes- und Stadtverwaltung, aber auch die von den Auswirkungen der Luftschadstoffe unmittelbar Betroffenen. Die Bürgerinitiative Neckartor machte per Transparent deutlich, worum es ihr geht: „Fahrverbote retten Leben – Autoflut stoppen“.

Verkehrsministerium wartet Wirksamkeitsexpertise ab

Doch so einfach, so Christoph Erdmenger vom Verkehrsministerium, sei die Sache nicht. Zunächst müssten die Maßnahmen gegen Feinstaub- und Stickoxidbelastung auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden. Das dazu erforderliche Gutachten könnte im Sommer nächsten Jahres vorliegen. „Es reicht eben nicht, einzelne Maßnahmen zu administrieren“, sagte Erdmenger. Immerhin: der Abteilungsleiter für das Thema Nachhaltige Mobilität gab zu erkennen, dass Fahrverbote nicht grundsätzlich auszuschließen seien. Zunächst aber will man vom Januar an die Autofahrer und Kaminbesitzer via Feinstaubalarm auf die hohe Schadstoffkonzentration in der Luft bei sogenannten Inversionswetterlagen aufmerksam machen und sie bitten, kein Feuer zu machen und das Auto stehen zu lassen. Erdmenger: „Wenn die Appelle nicht helfen, und da gibt es durchaus eine gewisse Skepsis, sind wir auf eine Beschränkung vorbereitet.“

Den Zwischenruf, warum man mit Fahrverboten so lange warte, konterte der Mann aus dem Verkehrsministerium mit dem Argument, man müsse zunächst die Wirkungen des Eingriffs in den Straßenverkehr analysieren und dann den Menschen mitteilen: „Einfach verbieten reicht nicht, man muss es den Bürgern erklären.“ Auch Wolfgang Forderer von der Abteilung Mobilität in der Stabsstelle von OB Fritz Kuhn betonte im Hinblick auf das immer wieder zitierte eintägige Fahrverbot in Paris, die französischen Behörden hätten dieses Wochen vorab kommunziert und überdies 800 Polizisten zur Überwachung eingesetzt. Die Zeitdauer eines möglichen Fahrverbots, insbesondere für Dieselfahrzeuge älterer Bauart, die besonders viel Stickoxid ausstoßen, bewegt sich laut Forderer zwischen einem Tag und einer Woche – „je nach Wetterlage und Luftbelastung.“

Schon geringe Erhöhung steigert das Herzinfarktrisiko

Dass vor allem das Stickoxid längst von der Weltgesundheitsorganisation WHO als gesundheitsgefährdend eingestuft wurde, weil es tief in die Atemwege dringt, unterstrich anschließend der Mediziner Martin Kohlhäufl von der Lungenklinik Schillerhöhe. So seien etwa Kinder, aber auch ältere und lungenvorgeschädigte Menschen, die an besonders verkehrsreichen Straßen wohnen, gefährdet. Zudem steige das Herzinfarktrisiko durch die hohe Luftbelastung signifikant an. Kohlhäufl zeigte aber auch auf, dass bereits eine Reduzierung des Schadstoffwerts um 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft – der geltende EU-Grenzwert liegt derzeit bei 40 Mikrogramm – „einen positiven Effekt auf die Gesundheit der Menschen hat“. Die Rechnung gilt allerdings auch umgekehrt: Steigt der Wert um 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, erhöht sich laut Kohlhäufl auch das Risiko eines Herzinfarkts um zwölf Prozent.