Gordon Moore hat 1965 eine Vermutung geäußert, wie es mit der Miniaturisierung von integrierten Schaltkreisen weiter gehen könnte. Fünfzig Jahre später ist seine Arbeitsthese von damals zu einem branchenweit bekannten Gesetz geworden, das immer noch gilt.

Stuttgart - Es ist ein amüsantes Beispiel für die Absurditäten und Irrwege öffentlicher Meinungsbildung. Manchmal geht es dort zu wie bei der „stillen Post“. Da schreibt ein erfahrener Techniker in einem Fachmagazin eine Vermutung über den weiteren Gang der technischen Entwicklung in seinem Fach auf. Nach einigen Jahren sieht es so aus, als träfe die Vermutung ungefähr zu, worauf im öffentlichen Diskurs aus der Vermutung flugs ein „Gesetz“ wird. Da Jahrzehnte später kaum noch jemand im Original nachliest, wie dieses Gesetz zustande gekommen ist, wird es schließlich als eine Art allgemeines Gesetz überliefert, unabhängig von dem Fall, auf den es sich ursprünglich bezogen hat.

 

Moore veröffentlichte seine Vermutung vor 50 Jahren

In diesen Tagen wird es 50 Jahre alt, das Moore’sche Gesetz. Der Verursacher, Gordon Moore, hatte in der US-Zeitschrift „Electronics“ eine Beobachtung veröffentlicht. Der Artikel erschien am 19. April 1965. Moore war damals Direktor für Forschung und Entwicklung bei Fairchild Semiconductors, einer Firma, die er selbst mitbegründet hatte. Bekannter wurde er später als Mitbegründer der Firma Intel.

In seinem Artikel wagte er einen Ausblick auf die weitere Entwicklung und immer stärkere Miniaturisierung der damals revolutionären integrierten Schaltkreise (IC). Auf diesen ICs wurden immer mehr elektronische Komponenten „integriert“, daher ihr Name. Moore hatte festgestellt, dass es eine optimale Anzahl von Komponenten pro Chip gab, bei der die Herstellungskosten des Chips pro Komponente am geringsten waren. Genauso wichtig: die optimale Komponentenzahl stieg pro Jahr etwa auf das Doppelte. Und zugleich sanken die gesamten Herstellungskosten für einen Chip drastisch. Der IC des Jahres 1962 enthielt nur wenige Komponenten. 1965 waren es schon 50 oder mehr. Moore verlängerte die Kurve rein spekulativ in die Zukunft und kam für das Jahr 1975 auf 65 000 Komponenten pro Chip bei jährlicher Verdoppelung. Zehn Jahre könne diese jährliche Verdoppelung durchaus weitergehen, schrieb er vorsichtig.

„Ich habe nie erwartet, dass die Vorhersage präzise sei“, sagte der heute 86-Jährige vor zehn Jahren der „Süddeutschen Zeitung“. Doch er bastelte selbst mit am Mythos. Zehn Jahre nach seinem Artikel korrigierte er die Zeitspanne der Verdoppelung von einem auf zwei Jahre. Heute ist oft von 18 Monaten die Rede. Auch Gesetze müssen sich manchmal der Erfahrung beugen. Heutige Computerprozessoren enthalten Milliarden von Komponenten (Transistoren). Entspricht das Moores Regel? Die Größenordnung stimmt ungefähr. Doch hängt das Ergebnis davon ab, ob man die neueste Generation aus dem Labor oder die fortgeschrittenste auf dem Markt betrachtet, ob man die Zahl der Komponenten pro Chip oder die Dichte ihrer Packung zugrunde legt, denn Chips können unterschiedlich groß sein. Der Computervisionär Ray Kurzweil hat sogar einmal die Rechenleistung, die man für 1000 Dollar kaufen konnte, bis ins Jahr 1900 zurückgerechnet und behauptet, eine Übereinstimmung mit Moores Gesetz bekommen zu haben.

Hersteller planen mit seiner Vorhersage

In der IT-Branche ist Moore’sche Gesetz – englisch: Moore’s Law – zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden. Hersteller planen mit einer Entwicklung nach Moore und investieren viel, um im Rennen zu bleiben. Schon oft wurde das Ende der exponentiellen Miniaturisierung vorhergesagt. Spätestens wenn die Komponenten die Größe von Molekülen und Atomen erreichen, ist eine Verkleinerung nicht mehr vorstellbar. Nicht zuletzt der Urheber des Gesetzes redet davon, dass es noch zehn Jahre so weitergehen könne. Aber die Entwickler haben schon mehrfach Grenzen unterschritten, indem sie neue Techniken einsetzten, etwa durch die Verbesserung optischer Verfahren, mit denen die winzigen Strukturen erzeugt werden. Und wenn diese Strukturen nicht mehr verkleinert werden können, dann baut man in PCs zum Beispiel Mehrkernprozessoren ein und erhöht damit die Rechenleistung, oder man optimiert die Verdrahtung oder den Stromverbrauch und macht dadurch kleinere Strukturen möglich.

Und noch etwas hat die zum Gesetz mutierte Vermutung Gordon Moores bewirkt: Ein Verbraucher, der davon ausgeht, dass in 18 Monaten der PC oder das Smartphone nur noch halb so leistungsfähig ist, wie die dann aktuellen Geräte, der denkt in kurzen Kaufzyklen. So haben sich die Innovationszyklen der Branche als Wegwerfmentalität in den Köpfen der Käufer festgesetzt.