Eine Arbeitsgruppe beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) will für die Wilhelma einen Lehrpfad für Bionik entwickeln.

Bad Cannstatt - Ein Regenschirm ist ein Regenschirm. Im Grunde ein einfaches Gerät, das immer nach demselben Prinzip aufgebaut ist. Doch gar nicht so selten ist der Wurm drin, klemmt die Mechanik, reißt der Stoff. An diesem Punkt kommt bei der Bionik, die als Fach Biologie und Technik verbindet, der Gemeine Ohrwurm ins Spiel. Also nicht die Dauerschleife in den Gehörgängen, sondern das Insekt, das auch Ohrenzwicker genannt wird – und das sogar fliegen kann. An den kleinen Flügeln sind raffinierte Knickstellen.

 

Die waren für eine Bionik-Arbeitsgruppe im Haus des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) in Österfeld ebenso interessant wie zum Beispiel die Fähigkeit der Seerose, sich bei Tageslicht zu entfalten und nachts wieder zu schließen. Davon inspiriert, konnte vergangenes Jahr, in Zusammenarbeit mit Studenten der Technischen Hochschule, eine neue Art von Schirm vorgestellt werden.

„Wir hatten soviel Spaß daran, dass wir weitermachen wollten. Und jetzt arbeiten wir an einem neuen Projekt“, sagt Oliver Schwarz vom Fraunhofer-Institut Stuttgart, wo er etwa für Bionische Medizintechnik zuständig ist. Schwarz hat den Arbeitskreis gegründet und trifft sich regelmäßig im VDI-Haus mit ehrenamtlichen Mitstreitern. Physiker, Ingenieure, Biologen: „Wir haben die Idee, in der Wilhelma bionische Prinzipien in einer Art Lehrpfad darzustellen. Das wäre der ideale Ort, um zu zeigen, wie sich aus der Natur innovative technische Lösungen ableiten lassen“, sagt Oliver Schwarz.

Der Bionik-Lehrpfad soll für Technik und Natur begeistern

Etwa am Beispiel des Kofferfisches, der mit seiner kantigen Form seinem Namen alle Ehre macht: „Er ist kompakt wie ein Lieferwagen, hat aber einen geringeren Strömungswiderstand als ein Sportwagen“, erläutert AK-Mitglied Frank Wenning, Maschinenbau-Ingenieur bei Daimler. Die Fahrzeugschmiede hatte 2005 mit einem „Bionic-Car“ Aufsehen erregt: ein Konzeptauto, das den Fisch zum Vorbild hatte.

Oder die Eule, denn diese macht nur „den kleinen Flatter“. Dank der feinfaserigen Struktur der Flügelränder entstehen beim Fliegen nur minimale Verwirbelungen: entsprechend die Energieersparnis. Kiehl in Künzelsau hat so einen geräuscharmen Ventilator entwickelt. Geforscht wird an Weiterungen für Antriebstechniken der Luftfahrt, die auch sonst bei der Natur spickelt: Mit Oberflächen, von Wal und Hai abgeschaut, die den Gleitwiderstand reduzieren. Bei Containerschiffen könnte das bis zu acht Prozent weniger Treibstoff erfordern. Ein weiteres Beispiel, das die Gruppe beschäftigt, ist ein dem Elefantenrüssel nachempfundener Greifarm.

Zehn Beispiele stehen derzeit auf der Liste: „Wir sind aber hinsichtlich der Umsetzung noch am Anfang“, betont Schwarz. Er selbst brenne „dafür, dass Innovationen geschaffen werden können, wenn wir mehr in die Natur schauen“. Arten seien in der Evolution unter zwei Gesichtspunkten erfolgreich: „Energie- und Materialersparnis. Und genau das versuchen wir heute auf vielen Ebenen!“ Wie bei den anderen verbindet sich bei Schwarz das Zweckgebundene mit dem Staunen über „die Großartigkeit der Natur“: „Es lohnt sich, jedes Tier, jede Pflanze anzuschauen. Mit Grausen sehe ich, dass wir jeden Tag 100 Arten verlieren.“ Die Hoffnung sei, mit einem Bionik-Lehrpfad „Perspektivwechsel anzuregen und für Technik und Natur gleichermaßen zu interessieren und zu begeistern.“

Vom Projekt ist auch der Wilhelma-Direktor Thomas Kölpin überzeugt: „Das Bionik-Projekt gefällt mir ausgezeichnet. Es wäre eine sehr gute Ergänzung für die Vermittlung von Wissen über Tiere und Pflanzen in der Wilhelma. Allerdings können wir das nicht mit Mitteln aus dem laufenden Etat leisten. Über die Umsetzung machen wir uns erst Gedanken, wenn die Finanzierung gelingt.“