Ingrid Fischer saß fast zwei Jahrzehnte im Bezirksbeirat von Degerloch. Dann hat sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen völlig verändert. Die Frau aus Hoffeld hatte ein Aneurysma hinter der Schläfe.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Hoffeld - Origami war für Ingrid Fischer plötzlich wieder Neuland. Sie hat sich nicht mehr erinnert, was es dringend zu beachten gilt, wie Papierschmetterlinge gefaltet werden sollten, damit sie hinterher was hermachen an Zweigen. Die Kunst des Origami, die Ingrid Fischer eigentlich sehr gut beherrschte, war nicht das Einzige, was die heute 73-jährige Frau aus Hoffeld wieder ganz von vorne lernen musste. „Ich wusste nicht, wie Telefonieren geht, ich wusste nicht, wie der Computer funktioniert“, sagt sie.

 

Ingrid Fischer hatte vor zwei Jahren ein Aneurysma im Kopf, hinter der rechten Schläfe. Sie sagt, die große Mehrheit würde das nicht überleben.

Sie saß gerne im Bezirksbeirat

18 Jahre saß Ingrid Fischer für die Grünen im Bezirksbeirat Degerloch. „Das war für mich hochinteressant, weil da alles über Degerloch besprochen wurde.“ Sie hat sich auch sonst engagiert im Ort, sei es für die Flüchtlinge, die früher an der Hohen Eiche gewohnt haben, sei es für die Wandergruppe. Das war alles von heute auf morgen Vergangenheit.

Der 19. März 2012 krempelt ihr Leben um. Es ist im Bus passiert, sie selbst weiß es nicht mehr. Sie kann sich nur noch erinnern, dass sie morgens die Koffer gepackt hat, um nach Dresden zu fahren. „Ich weiß, dass die Zeit knapp war“, sagt sie. Das Nächste, an das sich Ingrid Fischer erinnern kann, ist, dass sie die Besuche im Krankenhaus gestört haben. „Ich wollte meine Ruhe“, sagt sie. Wenn sie anderen erzählen will, wann sie in welches Krankenhaus gekommen ist, kramt sie ein Büchlein hervor. Ihre Tochter hat ihr mit Bleistift die Chronologie des Unglücks notiert.

Eine Frau mit auffälliger Brille und roter Mähne

Wer Ingrid Fischer von früher kennt, der denkt ziemlich sicher an eine Frau mit einer auffälligen Brille, einem wuchtigen Ohrring und vor allem mit einer roten Mähne. Heute, zwei Jahre danach, ist ihre Frisur kurz und grau, und auch die Brille ist eine andere. Wenn Ingrid Fischer Bilder von früher – vor dem Aneurysma – anschaut, spricht sie von der Frau mit den roten Haaren, als wäre es eine andere. „Das ist die Frau Fischer“, sagt sie.

Die Frau Fischer mit der Mähne hat erst in Schönberg gelebt, später ist sie dann nach Hoffeld gezogen. Die gelernte Werbefachgestalterin war viel beschäftigt, immer auf Achse. Beruflich, ehrenamtlich und privat. Ein Leben auf der Überholspur. Doch das Schicksal hat ihr eine Pause verordnet. Jetzt ist alles ganz anders. „Weil ich das erste Mal Zeit habe“, sagt Ingrid Fischer.

Die Hoffelderin ordnet ihr Leben

Die kann sie gut brauchen, denn erstens ordnet sie ihr Leben. „Ich habe irgendwie von allem zu viel“, sagt sie. Zum anderen geht ihr alles noch recht langsam von der Hand, die eilige Frau Fischer, die war einmal. Um den Hals der neuen hängt ein farbenfroher Beutel. „Ich habe immer alles, was ich glaube zu brauchen, bei mir.“

Am Schrank neben dem Esstisch lehnt ein Buch mit der Aufschrift „Therapieziel Gesundheit“. Es geht ihr nicht um den Inhalt, sondern nur um den Titel. Als ob sie das vergessen könnte. Und das nicht nur, weil regelmäßig eine Pflegerin kommt.

Am Tisch wird eher gefaltet als gespeist

Das mit dem Origami klappt mittlerweile wieder ganz gut. Ingrid Fischer sitzt an ihrem Esstisch, auf dem mehr gefaltet als gespeist wird. In einer Schachtel liegen Origami-Röschen wie Pralinen nebeneinander. Die hat ihr ihre Faltfreundin Beate geschickt. Ob die nicht herzallerliebst seien.

Früher hat Ingrid Fischer Origami-Kurse gegeben und ihre Faltkunstwerke zum Beispiel auf Märkten verkauft. „Ich habe damit ordentlich verdient“, sagt sie. Nach dem Aneurysma hatte sie selbst einen Anfängerkurs nötig. Sie faltet nach wie vor nach Herzenslust, doch ihre Einstellung hat sich geändert. „Früher habe ich Origami produziert, heute mache ich es kommunikativ“, sagt sie. Sie verschenkt gern kleine Dankeschöns oder Denkanstöße. Wichtig ist: „Bei Origami muss man sehr genau sein, sonst ist es gebastelt“, sagt sie. „Und basteln tun wir nicht.“ Das wiederum gilt für die Frau Fischer mit der roten Mähne genauso wie für die neue.