Seit Jahrzehnten gibt es eine griechische Gemeinde in Stuttgart, doch seit einigen Jahren ruht der Verein. Nun will die Initiative „Neue hellenische Gemeinde“ einen Neustart wagen. Derweil demonstrieren Landsleute gegen das „Kaputtsparen“ ihrer Heimat.

Stuttgart - Anna Ioannidou leidet. Im Grunde ist das schon seit langem so. Aber inzwischen kann sie diesen Zustand nur noch schwer ertragen. „Die Lage ist zermürbend“, sagt die 52 Jahre alte Anwältin. Die Griechenlandkrise und die öffentliche Debatte darüber belasten sie sehr. „Seit Jahren vergeht kein Tag, an dem es nicht negative Nachrichten über Griechenland gibt. Diese ständige Hetze gegen ihr Land setzt den Griechen zu“, klagt Ioannidou, die sogenanntes Sachkundiges Mitglied im Internationalen Ausschuss des Gemeinderates ist. „Wir sind doch alle Europäer.“

 

Anna Ioannidou gehört zu einer Gruppe von Landsleuten, die sich zum Ziel gesetzt haben, in Stuttgart eine neue griechische Gemeinde zu gründen. Die bisher zehn Mitglieder nennen sich „Initiative Neue hellenische Gemeinde Stuttgart“. Lange war die Anwältin und Übersetzerin in der griechischen Gemeinde Mitglied. Doch seit wenigen Jahren gibt es diese nur noch auf dem Papier, tatsächlich gibt es keine Aktivitäten mehr. Auch ein Vereinsheim ist nicht mehr vorhanden, das Gebäude in Bad Cannstatt konnte aus finanziellen Gründen nicht gehalten werden. In seinen besten Zeiten habe der Verein in den 1970er Jahren etwa 3000 Mitglieder gehabt, vor einigen Jahren seien es dann noch 350 gewesen. Versuche, den Verein zu reaktivieren, seien gescheitert, sagt Ioannidou.

Reaktion auf die neue Migrationswelle

Deshalb nun die Initiative. „Angesichts der neuen Migrationswelle ist eine griechische Gemeinde notwendiger denn je“, davon ist die 52-Jährige, die seit 1972 in Stuttgart lebt, überzeugt. Durch die Krise in Hellas hat der Zuzug wieder stark zugenommen. Viele Menschen, die schon einmal in Deutschland gelebt und hier zum Teil die Schule besucht haben, dann aber zurück in ihre Heimat gegangen waren, sind wiedergekommen. Aber auch nicht wenige, die hier komplett neu anfangen müssen und die Sprache nicht beherrschen. „Ich sehe es als unsere Pflicht an, dass wir diese neuen Migranten willkommen heißen und helfen, dass sie sich hier wohlfühlen“, sagt Anna Ioannidou. Im Herbst will die Gruppe einen eigenen Verein gründen. Noch vor den Sommerferien lädt die Initiative zu einem Stammtisch in die Gaststätte Friedenau im Osten ein.

Erstmals an die Öffentlichkeit ging die Gruppe Anfang der Woche, bei einer Kundgebung zur Griechenlandkrise auf dem Schlossplatz. Um kurzfristig vor der Volksabstimmung am Sonntag noch eine Demonstration organisieren zu können, gesellte man sich zu den S 21-Gegnern bei der Montagsdemo. Und zu der Kundgebung an diesem Freitagabend unter dem Motto „Schluss mit dem Kaputtsparen Griechenlands – für ein solidarisches Europa“ hat die Initiative mit Attac Stuttgart und den Anstiftern aufgerufen.

Unterstützung für Neuankömmlinge

Angemeldet waren laut Fritz Mielert, Geschäftsführer von den Anstiftern, 500 Demonstranten. „Wegen der Hitze müssen wir aber wohl mit weniger rechnen“, sagte Mielert noch kurz vor Beginn der Kundgebung auf dem Stuttgarter Schillerplatz. Am Ende waren es etwa 150 Demonstraten, die die blau-weiß getreiften Flaggen schwenkten und auf Transparenten die „Solidarität mit Griechenland“ forderten.

Ioannidou skandierte in ihrer emotionalen Rede immer wieder das griechische Wort „ochi“, was auf deutsch „nein“ bedeutet: „Wir sagen ‚Nein’ zum unwürdigen Umgang mit Griechenland, ‚Nein’ zur Austerität und ‚Nein’ zur Troika.“

Neben politischen Veranstaltungen wie diesen schwebt Anna Ioannidou vor, dass der Verein etwa in Kooperation mit dem Welcomecenter der Stadt Neuankömmlinge aus Griechenland unterstützen und beraten könnte, Stammtische und andere Treffen organisiert, Projekte für Jugendliche anbietet und ganz generell Ansprechpartner der Stadt sein sollte. Etwa wenn es darum geht, die Lage von griechischstämmigen Bürgern der ersten Generation zu verbessern, die in Pflegeheimen leben und nur unzureichend Deutsch sprechen. Vor dem Volksentscheid in ihrer alten Heimat steigt nicht nur bei Anna Ioannidou die Spannung fast ins Unerträgliche. Nicht nur ihr raubt diese Belastung inzwischen sogar den Schlaf. Die 52-Jährige glaubt, dass es „ohne Schuldenschnitt in Griechenland nicht weitergeht“. Grundsätzlich aber ist für die Anwältin entscheidend: „Die Menschen müssen endlich wieder in den Mittelpunkt der Politik rücken – sie spielen zurzeit leider nur eine Nebenrolle“.