Berthold Stelzer und Heinz Lermann von der Initiative „Klein-List“ wünschen sich eine Quartiersmitte. Auf knapp 50 Metern, rechts und links der Pelargusstraße, soll eine Art Begegnungszone entstehen, die dann von Fußgängern und Autofahrern gleichermaßen genutzt wird.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-Süd - Parkplätze sind in der Stuttgarter Innenstadt ein knappes Gut. Im Lehenviertel im Stuttgarter Süden ist aufgrund der Not inzwischen das Parken in zweiter Reihe ein gängige Praxis. Jede kleine Lücke wird von Besuchern wie Anwohnern genutzt. Richtig entspannt ist es in der Liststraße deshalb nicht. Der Anwohner Karl Stahr wünscht sich deshalb einen Ruhepunkt im Viertel, wo er sich vielleicht auch hinsetzen und mit den Nachbarn schwätzen kann. Ein Ort, an dem auch Kinder friedlich spielen können, ohne dass gleich die Gefahr besteht, dass sie überfahren werden. Außerdem fehlt Stahr einiges: „Wir haben kaum Bäume in der Liststraße, die Akzente setzen. Ein bisschen Grün würde das Auge beruhigen“, sagt er. „Charmant“ findet Stahr, der sich auch im Bezirksbeirat Süd und in der Markuskirchengemeinde engagiert, deshalb die Initiative „Klein-List“. „Das könnte eine Win-Win-Situation für alle sein“, ist er überzeugt. „Ein noch besseres Lebensgefühl.“

 

Die Begegnungszone teilen sich Menschen und Autos

Die Initiative „Klein-List“ das sind bisher vornehmlich Berthold Stelzer, Inhaber der Hubertus-Apotheke, und Heinz Lermann. Der Architekt und Stadtplaner aus dem Stuttgarter Süden war einst auch für die Gestaltung des Marienplatzes zuständig. „Das war ja etwas ganz Großes“, erinnert sich der 73-Jährige. Davon gibt es aber sowohl im Stuttgarter Süden als auch in anderen Teilen der Innenstadt schon genug. Die Liststraße das soll ein Gegenentwurf werden zu all den Milaneos und Gerbers und was es sonst noch so alles gibt. „Kunstwelten“ nennt Lermann diese. Orte, die nicht natürlich gewachsen sind, sondern von Stadtplanern irgendwo hingebaut wurden. Das Lehenviertel hingegen mit der Liststraße und den vielen kleinen Lädchen, Cafés und Restaurants sei eine „Echtwelt“. Die zu erhalten und zu pflegen, das ist das Ziel der Initiative „Klein-List“ von Stelzer und Lermann.

Eine Art Begegnungszone haben sich die beiden ausgedacht, die Entwürfe dafür stammen von Lermann. Auf knapp 50 Metern, rechts und links der Pelargusstraße, soll eine neue soziale Mitte entstehen, die dann von Fußgängern und Autofahrern gleichermaßen genutzt wird. „Autos und Menschen müssen sich dort gegenseitig akzeptieren“, sagt Lermann. Die Straße soll jedoch höchstens fünf Meter breit sein, die Parkplätze links und rechts sollen weichen. Auf den frei werdenden Flächen wünschen sich die beiden Aktivisten mehr Grün und Raum für soziale Angebote. Platzkonzerte etwa, Auftritte des Kinderchors der Markusgemeinde oder von Kleinkünstlern aus dem Viertel kann sich Berthold Stelzer dort gut vorstellen.

Nahversorger fehlen im Lehenviertel

Natürlich soll das ganze Projekt nicht nur zu Unterhaltung der Anwohner dienen. Vor allem Besucher wollen die beiden Herren ins Lehenviertel locken und die bisherige Infrastruktur erhalten, wenn nicht sogar weiter ausbauen. „Bei uns fehlt vor allem ein Nahversorger“, sagt Stelzer. Dazu müssten die Bewohner immer zum Marienplatz.

Der Apotheker führt das Geschäft in der zweiten Generation. Sein Vater ist 1956 mit der Hubertus-Apotheke ins Viertel gezogen. „Ich kenne die Situation schon lange“, sagt er. Anfang der 1970er sei eine Fußgängerzone im Gespräch gewesen. „Das war der totale Irrweg.“ Denn die Autos ganz aus der Straße rauszuhalten, hält er nicht für sinnvoll. Das würde aus seiner Sicht das Ende vieler Geschäfte bedeuten. Ohnehin hätten im Laufe seiner Zeit an der Liststraße viele Geschäfte geschlossen, andere dafür neu eröffnet. In den einstigen Nanz zog ein Schlecker ein, heute befindet sich dort ein Einrichtungsgeschäft. Die kreativen Läden seien zwar auch gut, aber eine vielfältige Durchmischung sei besser für das Viertel, betont Stelzer.

Im Bezirksbeirat wurde der Vorstoß der Initiative überwiegend positiv bewertet. „Ich rechne das hoch an, wenn sich Privatpersonen mit so qualitativ hochwertigen Ideen einbringen“, sagt Bezirksvorsteher Raiko Grieb. Im Herbst steht das Konzept im Bezirksbeirat auf der Tagesordnung. Mit Mitteln aus dem städtischen Haushalt rechnet Grieb aber nicht vor 2018/2019. Zudem müsse man das Projekt mit allen Bürgern vor Ort diskutieren. Er habe auch schon skeptische Stimmen gehört. Hauptkritikpunkt sind natürlich die wegfallenden Parkplätze. Stelzer und Lermann hätten auch dafür eine Lösung. Die Parkhäuser rund um den Marienplatz seien nachts schließlich fast leer.

Eine neue Mitte für das Lehenviertel

Idee
Innerhalb der Liststraße, zwischen Lehen- und Römerstraße, soll laut dem Konzept „Klein-List“ ein Teil der Straße als Multinutzungsraum umgestaltet werden. Nur in der Mitte sollen dann noch Autos durchfahren, die Parkplätze sollen ganz weichen. Die neuen, freien Flächen sollen für Freisitze, Warenausstellungen, kleine Marktstände, Spielzonen oder ähnliches verwendet werden. Die vorläufigen, geschätzten Kosten für den ersten Bauabschnitt auf einer Fläche von 1200 Quadratmetern betragen rund 315000 Euro.

Geschichte
Das Lehenviertel wurde im Jahr 1912 in seinen wesentlichen Teilen bebaut und ist bis heute geprägt von einer vier- bis fünfgeschossigen Gründerzeitbebauung. Typisch ist, dass die Erdgeschosse der Häuser vornehmlich für Läden, Gastronomie oder Handwerk vorgesehen sind. Die kleinen Läden und Dienstleister erfreuen sich weit über das Viertel hinaus großer Beliebtheit. Mit „Klein-List“ soll die Besonderheit des Viertels noch stärker sichtbar werden und das Viertel eine Lebensqualität abseits der Haupteinkaufsstraßen erhalten.

Begegnungszone
Dieses Konzept ist typisch für die Schweiz. Inzwischen haben auch Belgien und Frankreich solche Zonen eingeführt, in denen Fußgänger Vorrang vor Autos haben. Deutschland sieht solche Formen der Verkehrsberuhigung bisher nicht vor. Lediglich Konstanz hat eine solche eingerichtet.