Für Touristen ist es ein romantischer Spaß, die Brücken über der Seine mit Vorhängeschlössern zu verzieren. Den Parisern selber aber geht die neue Mode allmählich auf die Nerven. Nun machen die Gegner mobil.

Paris - Liebe macht blind. Wie sonst ließe sich erklären, was Amanda (26) und Collin (29) da gerade tun? Mit verzücktem Lächeln drückt Amanda den U-förmigen Stift des Vorhängeschlosses herunter. Klick, macht es. Da hängt es nun, das klobige Ding, verkettet mit ein paar Dutzend mehr oder minder identischen Exemplaren. Das hinterste muss irgendwo am Geländer der Seine-Brücke Pont des Arts befestigt sein. „Wunderschön, nicht wahr“, sagt Collin. Amanda nickt.

 

Zu sehen ist das Geländer nicht. Es sind der Zeichen unverbrüchlicher Liebe einfach zu viele. Wie ein dicker Ausschlag wuchern sie bis zu den schmiedeeisernen Krönchen der Brückenlaternen hinauf. Die den Louvre und das Institut de France verbindende Pont des Arts, einst als Musterbeispiel luftig-leichter Brückenarchitektur gepriesen, ächzt unter der ihr aufgebürdeten, tonnenschweren Last.

Collin hat für fünf Euro am Kai ein Schloss gekauft

Amanda packt den Filzstift ein, mit dem sie die Initialen auf das Schloss gepinselt hat, für Collin ein C, für sich ein A. Auch das Datum ist dokumentiert. Als Amerikanerin hat sie, wie in der Heimat üblich, erst den Monat vermerkt, dann den Tag. „C&A 5/8/14“ steht schwarz auf goldgelb zu lesen. Das sei so ähnlich, wie wenn sie beide, Arm in Arm, mit dem Handy ein Selfie machten und das Foto auf Facebook stellten, sagt Collin. Nur dass man sich auf der Seine-Brücke mit Hardware begnüge. In beiden Fällen gehe es darum, Privates öffentlich zu machen. Er wirft den Schlüssel des am Kai für fünf Euro erstandenen Schlosses in weitem Bogen in die Seine. Für immer vereint sind sie nun: der Schlüssel und der Fluss, das Schloss und das Brückengeländer, Collin und Amanda.

„Das hat mit Romantik nichts mehr zu tun“

Die Pariser selber sind weniger angetan von den durch Touristen hinterlassenen Vorhängeschlössern. Zwei hier lebende Amerikanerinnen finden die auch an anderen Brücken baumelnden „Love Locks“ derart hässlich, dass sie öffentlich zur Beseitigung aufrufen. 4500 Gleichgesinnte haben den Aufruf unterschrieben. Eine der beiden Anführerinnen der No-Love-Locks-Kampagne, die Schriftstellerin Lisa Taylor Huff, beklagt wachsende „optische Umweltverschmutzung und Vandalismus“. Und ihre Mitstreiterin Lisa Anselmo ist der Meinung: „Das hat mit Romantik nichts mehr zu tun, das ist außer Kontrolle geraten und zur Manie entartet.“

Die Pariser Stadtverwaltung hält sich bisher zurück. Jean-Pierre Lecoq, seit 1994 Bürgermeister des sechsten Arrondissements, zu dem die südliche Hälfte der Pont des Arts zählt, teilt die Bedenken der beiden Amerikanerinnen. Was als eine charmante Geste verliebter Touristenpärchen begonnen habe, habe das Stadium des Wahnsinns erreicht, sagt er.

Inspektoren überwachen das Gewicht der Brücken

Im Pariser Rathaus überwiegt freilich noch die Freude darüber, dass die Stadt der Liebe dank weltweit wachsender Begeisterung über die Liebesschlösser noch attraktiver geworden ist. Während ihr in Rom, Florenz oder Dublin durch die Androhung von Geldbußen Grenzen gesetzt wurden, können Paare in Paris noch nach Herzenslust Vorhängeschlösser aufhängen.

Gemeindeinspektoren wachen darüber, dass die wachsendem Gewicht ausgesetzten Seine-Brücken keinen Schaden nehmen. Bleibt die von Lecoq bekundete Sorge, eines der mehr als 700 000 über dem Fluss baumelnden Metallteile könne herunterfallen und auf einem Ausflugsboot Schaden anrichten. Aber so gravierend, dass die Stadt den Touristen das Vorhängeschlossvergnügen verleiden wollte, ist dieser Einwand dann offenbar doch nicht.

Was nicht heißt, das die Kommune nicht nach einer alle Beteiligten befriedigenden Lösung suchen würde. Die Website der Stadt weist bereits einen geradezu salomonischen Ausweg: digitale e-love locks. Software statt Hardware, würde Collin sagen.