Axel Clesles kunterbuntes Ensemble feiert Premiere für sein „Inclusio“ benanntes Laienschauspiel. An dem ist nur eines kritikwürdig: sein Titel. Hinter dem verbirgt sich ein höchst bemerkenswertes Bühnenstück.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Falls dies sich liest wie ein der hehren Absicht wegen geträllertes Lobeslied, ist die deutsche Prosa schuld, die das Analytische liebt. Wer des Lebens Wonnen beschreiben will, greift besser zur Poesie und untermalt Schillers „Freude schöner Götterfunken“ noch mit Beethovens Musik. Inclusio heißt das Theaterstück, an dem nur eines kritikwürdig ist: der Titel. Der ist selbstredend abgeleitet von der Inklusion, jener sozialpädagogischen Wortschöpfung, die so grauenvoll am Versuch scheitert, Gutes zu benennen, dass sie viel eher an Hautausschlag denken lässt als an eine bessere Gesellschaft.

 

Seit Mittwoch ist ein lebendiges Bild öffentlich zu sehen, das die hehre Absicht zum juckenden Wort besser in Gefühle gießt, als womöglich Schiller und Beethoven es gemeinsam vermocht hätten. Es ist das Finale des Stücks, das im Theaterhaus Premiere feierte. Allein diese Schlussminuten würden den Besuch lohnen, in denen Junge, Alte, Fitte, Gebrechliche, im Geiste oder am Körper Angeschlagene unübersehbar die schiere Lust daran eint, was sie gemeinsam geschaffen haben, plus gegenseitigem Respekt. Wer diese kunterbunte Gesellschaft tanzen sieht und singen hört, kann eigentlich keinen anderen Gedanken hegen als den, dass ein Leben andere Ziele haben muss als die, denen der gemeine Deutsche alltäglich hinterdreinhechtet.

Scheinbar Unvereinbare vereinen sich auf der Bühne

Vier Gruppen von Menschen, die als unvereinbar gelten, stehen vereint auf der Bühne: durchschnittliche Jugendliche, behinderte Jugendliche, Behinderte jedes Alters, psychisch Kranke, rund 50 Frau und Mann. Sie spielen sonst Theater in der Gruppe „Die Rapsoden“, gegründet von der Kulturinitiative Bohnenviertel, in der Schauspielgruppe der Psychiatrie des Bürgerhospitals, in der der Behindertenwerkstätten Esslingen. Hinzu kommen professionelle Musiker, versammelt vom Komponisten und Bassisten Wolfgang Schmid, die aus dem Hintergrund die Musik einspielen.

Der Autor, Organisator und Regisseur heißt Axel Clesle. Drei Stücke hatte er bisher mit seinen Rapsoden inszeniert, alle hoch gelobt und oft prämiert – vorwiegend wegen des Bemühens um Inklusion, weniger wegen ihrer darstellerischen Qualität. Von seinem vierten Schauspiel sagt Clesle, dass „es glaube ich unser bisher bestes ist“. Daran besteht kein Zweifel.

Die Grundzüge des Stückes sind geklaut. Das Ensemble spielt Szenen aus weltbekannten Vorlagen, seien es Hollywood-Produktionen, Klassiker des deutschen Dramas oder die griechischen Heldensagen. Gemeinsam ist allen, dass der Hauptdarsteller an Geist oder Körper beeinträchtigt ist. Zwei Moderatoren fügen die Teile zusammen. Sie lassen nach jeder Szene das Publikum raten, aus welchem Original sie stammt. Wobei die beiden Männer sich im Verlauf der zweistündigen Aufführung zunehmend kabbeln.

Nicht einmal der Regisseur ist Profi im Wortsinn

Falls ihr humoristischer Zwist einstudiert ist, wirkt er erstaunlich spontan, falls er nicht einstudiert ist, wäre solch sprühende Spontaneität erstaunlich. Die Moderatoren sind keineswegs die einzigen, deren Darbietung professionelles Niveau erreicht. Insbesondere die Solo oder im Duo gespielten Szenen lassen zweifeln, dass ausschließlich Laien auf der Bühne stehen, aber so ist es. Nicht einmal der Regisseur ist Profi im Wortsinn. Clesle verdient sein Geld mit Bildern, Skulpturen, Büchern.

Umso mehr verblüfft, wie ihm gelingt, seine scheinbar unvereinbaren Schauspieler zu einer Einheit zusammenzufügen, in der jeder seine Rolle nicht spielt, sondern findet. Gelegentlich ist nicht einmal zu unterscheiden, ob dort vorn einer beeinträchtigt ist oder Beeinträchtigung nur schauspielert. „Das ist ja die Absicht“, sagt Clesle, die hintergründige. Diejenigen, die unzweifelhaft beeinträchtigt sind, senken die Intensität des Dargebotenen nicht, sie steigern sie, schon der Glaubwürdigkeit wegen.

Wer mithin denkt, er müsse der heren Absicht wegen eine Eintrittskarte kaufen, irrt grundsätzlich. Wer keine kauft, versäumt ein höchst bemerkenswertes Bühnenstück. Woraus sich ein zweiter Ansatz zur Kritik ergibt. Das Schauspiel ist zu selten zu sehen. Der Premiere am Mittwoch und Wiederholung am Donnerstag folgt ein Gastspiel in Kirchheim. Weitere Vorstellungen gibt das Ensemble erst am 21. und 22. Juli, dann im Varieté.