Baden-Württemberg hinkt im Bundesvergleich beim Unterricht für behinderte Kinder an der Regelschule noch hinterher. Aus Sicht eines Lehrerverbandes birgt das aber den Vorteil, dass Grün-Rot noch aus den Fehlern anderer Länder lernen kann.

Stuttgart - Der Lehrerverband VBE hat Grün-Rot aufgerufen, den Lehrern an Regelschulen für den Unterricht behinderter Kinder in jedem Fall einen Sonderpädagogen zur Seite zu stellen. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) habe sich zum sogenannten Tandemunterricht nur sehr vage geäußert. „Der Minister sagt „ja“, aber nicht wann, wie oft und wie“, kritisierte der Landeschef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, am Montag in Stuttgart. Der von 94 Prozent der Pädagogen im Südwesten (Bund: 98 Prozent) befürwortete Tandem-Unterricht müsse im Schulgesetz verankert werden. Hingegen gäben bundesweit fast zwei Drittel der Lehrer in inklusiven Klassen an, dass dort gewöhnlich nur eine Person unterrichtet.

 

Die Entlastung durch speziell ausgebildete Lehrkräfte gehöre zu den Rahmenbedingungen, die die Akzeptanz des inklusiven Unterrichts erhöhen könnte, sagte Brand. Minister Stoch betonte, die Expertise von Sonderpädagogen sei von zentraler Bedeutung. Deshalb werde das Zwei-Pädagogen-Prinzip angestrebt, wenn Gruppen behinderter Kinder unterrichtet würden.

Noch sei die Einstellung der Lehrer im Südwesten zur Inklusion überraschend positiv, sagte Brand. Zwei Drittel der Befragten einer Forsa-Umfrage hielten gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung für sinnvoll. Das sei ein weit höherer Wert als in Nordrhein-Westfalen mit 54 (Bund: 57) Prozent, wo die Inklusion schon weiter fortgeschritten sei. „Die Akzeptanz in Nordrhein-Westfalen sinkt von Jahr zu Jahr.“

Die Inklusions-Erfahrungen sind im Südwesten allerdings unterdurchschnittlich: 13 Prozent der befragten Lehrer unterrichten selbst in Lerngruppen von Kindern mit und ohne Behinderung, im Bund ist es knapp ein Drittel. Dass schulische Inklusion von zwei Drittel der Lehrkräfte unterstützt werde, sei ein Zeichen in die Gesellschaft, meinte Stoch. „Mit den Herausforderungen der inklusiven Unterrichtspraxis lassen wir die Lehrer nicht alleine“, sagte der Sozialdemokrat mit Blick auf den Ausbau von Fortbildungsangeboten.

Arbeitgeber betonen, Inklusion beginne in der Schule

Die Lehrer der allgemeinen Schulen fühlen sich laut der Umfrage aber schlecht vorbereitet auf inklusiven Unterricht: 69 (Bund: 77) Prozent finden das Fortbildungsangebot weniger oder gar nicht gut. Aus Sicht der CDU-Fraktion läuft die Landesregierung durch ihre „schleppende Vorbereitung“ Gefahr, die hohe Akzeptanz für Inklusion im Südwesten rasch zu verspielen.

Der gewünschten Doppelbesetzung der inklusiven Klassen sind laut Brand Grenzen gesetzt, da Sonderpädagogen derzeit „Mangelware“ seien. Eine „Schnellbleiche“ der Lehrer, die durch Schließung von Haupt- und Werkrealschule frei würden, lehnte er ab. „Das wird so nicht funktionieren.“

Deutschland hatte sich vor sechs Jahren verpflichtet, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen umzusetzen. Die bundesweite Umfrage offenbare weitere Schwachstellen, vor denen er Baden-Württemberg dringend warne, sagte Brand. So fehle es an Unterstützung für Lehrer, die mit psychischen und physischen Anforderungen konfrontiert werden. In inklusiven Klassen müsse der Lehrer etwa mit körperlichen Angriffen rechnen oder Schüler auf Toilettengänge begleiten. Brand forderte dringend Unterstützung: „Mit der Gesundheit der Lehrkräfte wird Schindluder getrieben.“

Die Arbeitgeber Baden-Württemberg betonten, die Inklusion in Ausbildung und Beschäftigung beginne in der Schule. Dafür müssten die Lehrkräfte umfassend vorbereitet werden, sagte der Bildungsexperte des Verbandes Stefan Küpper. Die Umfrage zeige dringenden Handlungsbedarf in der Lehreraus- und -fortbildung.