Inklusion ist gelungen, wenn ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht. Das ist der Tenor des ersten Forums zur Inklusion an Kitas in Baden-Württemberg. 400 Erzieherinnen hörten begeistert, dass soziale Netzwerke und ein vielfältiges Beziehungsgeflecht die professionelle Hilfe ergänzen müssen.

Reutlingen - Der Landtag von Baden-Württemberg wird am Mittwoch das Inklusionsgesetz für Schulen verabschieden und die Sonderschulpflicht abschaffen. Behinderte Kinder bekommen damit das Recht, eine allgemeine Schule zu besuchen. Doch Inklusion beginnt nicht erst in der Schule. Die Kitas sind zum Teil schon deutlich weiter. Seit 15 Jahren begleitet die Evangelische Hochschule Ludwigsburg schon Inklusionsprozesse an Tagesstätten. Zu den Städten der ersten Stunde gehört Reutlingen.

 

In Reutlingen haben 100 der 4400 Kinder in den Tagesstätten einen sogenannten sonderpädagogischen Förderbedarf, berichtet die Oberbürgermeisterin Barbara Bosch. Die Stadt bekennt sich seit 2007 in einer Erklärung ausdrücklich dazu „einen Kindergarten für alle zu schaffen“ und „Kindern mit höherem Assistenzbedarf die Inklusion zu erleichtern“. Orientierungshilfe zum gemeinsamen Leben, Spielen und Lernen gibt auch der Index für Inklusion in Kitas, den die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon 2006 übersetzt und jetzt neu überarbeitet hat.

Projekt zur Nachhaltigkeit

Von den Erfahrungen von Städten wie Reutlingen sollen alle Kommunen des Landes profitieren, sagt Jo Jerg, Professor an der Evangelische Hochschule Ludwigsburg. Zusammen mit dem Land wurde 2014 das vierjährige Projekt „Inklusion von Anfang an nachhaltig entwickeln“ ins Leben gerufen. Neben Reutlingen zählen Ludwigsburg, Tübingen und Freiburg zu den vier Starterkommunen des Projekts. Jährlich sollen vier weitere Kommunen dazukommen. Erhebungen sollen den Stand der Inklusion in Baden-Württemberg darstellen, Eltern und Fachkräfte sollen Zugriff auf die Informationen bekommen.

Qualifizierungen sind notwendig. Jerg hat festgestellt, dass es vor allem an Beratungskräften für die Kitas fehlt und regt eine Qualifizierung auf Landesebene an. Die Protagonisten sind sicher, Inklusion kann die Kita nicht allein erreichen. „Wir müssen Verantwortungsgemeinschaften und regionale Netzwerke bilden“, fordert Jerg. Ein landesweiter Beirat soll Zugänge zur nachhaltigen Strukturentwicklungen anbahnen.

Die Protagonisten streben zur Weiterentwicklung inklusiver Kitas jährliche Kongresse an. Das Interesse der Fachkräfte ist groß. Beim ersten Forum zur frühkindlichen Bildung und Inklusion in Kindertagesstätten am Montag in Reutlingen haben nach Angaben des Kultusministeriums die 400 Teilnehmerplätze nicht ausgereicht.

Zusammengehörigkeitsgefühl ist entscheidend

Dem Sozialraum kommt bei der Inklusion große Bedeutung zu, machte Frank Früchtel, Professor von der Fachhochschule Potsdam, anschaulich deutlich. Zusammengehörigkeitsgefühl entwickle sich nicht in homogenen Gruppen oder durch lediglich professionelle Hilfe. „Inklusion wird dadurch möglich, dass Menschen etwas füreinander tun können“, sagte der Sozialwissenschaftler unter großem Beifall.

Ähnlich sieht es auch OB Barbara Bosch. Sie sagt, „Inklusion ist ein kompletter Perspektivwechsel. Wir denken nicht mehr in Kategorien und Förderbedarfen, sondern ganzheitlich“. Alle Ebenen würden sich mit Inklusion beschäftigen. Kultusstaatssekretärin Marion von Wartenberg (SPD) geht es bei aller millionenschweren Finanzhilfe des Landes für Umbauten und Investitionen vor allem um eins: „Wir müssen die Barrieren in den Köpfen und den Herzen abbauen“. Sie verwies auch darauf, dass es mit Inklusion in Kita und Schule nicht getan ist: „Das Ziel ist die Integration in den ersten Arbeitsmarkt.“ Das gelte für Flüchtlinge ebenso wie für Behinderte.