Die Bigband Groove Inclusion, die Ludwigsburger Brenz Band und die ungarische Band Nemadomfel haben alle ein Ziel: Sie wollen zeigen, dass Menschen mit Behinderungen Talente haben, und anderen Menschen etwas geben können – zum Beispiel einen tollen Konzertabend wie den in der Endersbacher Jahnhalle.

Weinstadt - Marina, Marina, Marina“, singt Salvatore Pugliese inbrünstig ins Mikrofon, und auch seine Mitmusiker von der Ludwigsburger Brenz Band legen sich ins Zeug – mit Akkordeon und Dudelsack, Kongas und Waschbrett, am Keyboard und am Bass. Und so tanzen einige Zuhörer schon nachmittags zwischen den Stuhlreihen, bei der Generalprobe zur Langen Nacht der inklusiven Bands in der Endersbacher Jahnhalle. Gleich drei Musikgruppen stehen bei dem Benefizkonzert auf der Bühne: Die Brenz Band, die auf eine fast 40-jährige Karriere zurückblickt, die gut zehn Jahre alte Nemadomfel Band aus Budapest und das Baby im Trio, die vor einem guten Jahr gegründete Bigband Groove Inclusion aus dem Remstal.

 

Die Freude am Musikmachen haben alle drei gemeinsam – und ein Ziel, das Réka Dely von der Nemadomfel Band so beschreibt: „Wir wollen zeigen, dass Menschen mit Behinderungen wirklich talentiert sind und anderen Menschen etwas geben können.“ Wie zum Beispiel Richárd Szepesi, der blinde Sänger der Band, oder Zsuzsanna Bakró, die das Down-Syndrom und ein Talent für improvisierten Tanz hat.

Viele talentierte Musiker

„Zsuzsanna lebt in der Musik“, sagt Réka Dely, die zum Tanzteam der Nemadomfel Band gehört. Ihr Vater Géza habe vor rund zehn Jahren die Idee gehabt, eine Musikgruppe zu gründen, erzählt die 24-Jährige: „Er hat in einem Behindertenheim gearbeitet und zum Spaß ein bisschen Gitarre gespielt. Dabei hat er bemerkt, dass viele Bewohner talentierte Musiker sind.“

Inzwischen ist daraus ein Band entstanden, nebst einer Stiftung, die zahlreiche wohltätige Projekte unterstützt. Das aktuelle dürfte den Musikern ganz besonders am Herzen liegen, denn es ist ein Wohnprojekt, das Menschen mit Behinderungen helfen soll, möglichst selbstbestimmt zu leben. „In Ungarn landen sie oft im Heim oder bleiben auch als Erwachsene bei der Familie. Sie haben meist keine Möglichkeit, alleine oder in einer Wohngemeinschaft mit anderen zu leben“, bedauert Réka Dely.

Das soll sich ändern, doch dazu braucht es einiges an Geld. Und so tourt die Nemadomfel Band nun durch die Lande und tritt erstmals in Deutschland auf. Die Freundschaft zu den zwei Gruppen aus der Region Stuttgart ist in China entstanden: Dort haben sich die Musiker bei dem Festival „Makellos“ in Peking kennengelernt. „Réka hat im Frühjahr gemailt, dass die Band eine Tour durch Deutschland machen will“, erzählt Hans Fickelscher, einer der Bandleader der Groove Inclusion. Daraufhin habe man die Brenz Band kontaktiert und sich auf die Suche nach einem Veranstaltungsort gemacht. Für das Theaterhaus sei es zu kurzfristig gewesen, aber die Jahnhalle, ergänzt durch die Manpower des Jazzclubs Armer Konrad, sei ein idealer Ort.

Das Problem, dass es keinen barrierefreien Zugang zur Bühne gibt, haben die Organisatoren elegant gelöst – mit einem hinter der Bühne positionierten Lastwagen, dessen Laderampe als Lift für die Rollstuhlfahrer dient. Zu diesen gehört Tobias Petersen, der Mann mit der Baritonstimme bei Groove Inclusion. Er sagt, Singen sei für ihn eine Welt, in der er sich völlig ohne Handicap bewegen könne. Und die Bandkollegen seien wie eine Familie für ihn.

„Die erste integrative Band Deutschlands“

„Die Brenz Band ist eine kleine Familie“, sagt auch deren Leiter Jürgen Dietl – und schiebt nach: „Mittlerweile sind wir mit unseren 15 Mitgliedern ein Kleinunternehmen.“ Und zwar eines, das 40 inklusive Bands in Europa mit auf die Welt gebracht habe, erzählt der Gründer und Sonderschullehrer Horst Tögel: „Die Brenz Band war die erste integrative Band Deutschlands. Die Hälfte von uns ist behindert, die anderen behaupten, sie seien es nicht.“

1977 hat Tögel die Band in der Schule für Bildungsschwache in der Ludwigsburger Brenz-Straße gegründet. Zu einer Zeit, als solch eine Einrichtung die Nachbarn auf die Barrikaden brachte. Sie befürchteten, der Wert ihrer Immobilie könne sinken. Welch Ironie, dass die Brenz Band niemals in der Brenz-Straße, dafür in aller Welt aufgetreten ist. Zu Kopf gestiegen ist das den Musikern, die schon mal eine Anfrage aus dem Kanzleramt abgelehnt haben, weil sie am fraglichen Tag bereits einen Auftritt in einem Altersheim zugesagt hatten, nicht.

„Marina, Marina, Marina“, singt Salvatore Pugliese. Die Lange Nacht der inklusiven Bands kann beginnen.

Musik für einen guten Zweck

Wohnprojekt
Die ungarische Nem Adom Fel Stiftung ( auf Deutsch: „Ich gebe niemals auf“) und die dazugehörige Nemadomfel-Band sammeln Geld für ein neues Wohnprojekt in Budapest, das Menschen mit Behinderungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben erlauben soll. Dazu tourt die Band, die im Jahr 2005 gegründet wurde, derzeit durch Europa.

Auftritte
Wer die lange Nacht der inklusiven Bands verpasst hat, kann an diesem Montag, 28. September, sowie am Dienstag, 29. September, zumindest noch jeweils einen Solo-Auftritt der Nemadomfel-Band zu erleben. Die Ungarn spielen an beiden Tagen jeweils von 15 Uhr an im Pavillon auf dem Stuttgarter Schlossplatz.

Remstal
Die Bigband Groove Inclusion ist im Februar 2014 an der Volkshochschule Unteres Remstal aus der Taufe gehoben worden. Geprobt wird jeden Freitagnachmittag in der Musikschule Fellbach. Zum Repertoire gehören Hits und Klassiker aus dem Souljazz der 1960er-Jahre.

Ludwigsburg
Die Brenz Band ist 1977 in der „Schule für Bildungsschwache“ gegründet worden, die ihren Sitz in der Ludwigsburger Brenzstraße hatte. Die Musiker spielen allesamt ohne Noten und sind zwischen 18 und 83 Jahre alt. Sie sind unter anderem schon in Beirut und auf der Chinesischen Mauer aufgetreten.