„Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Aber wir sollten jetzt nicht vorschnell das Beispiel Hannover verallgemeinern. Es kommt immer auf den Einzelfall an“, erklärt Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall im StZ-Interview.

Herr Gall, welche Folgen hat die Absage des Fußballländerspiels in Hannover? Was ist mit der Bundesliga, was ist mit den Weihnachtsmärkten? Großereignisse und Massenveranstaltungen sind schwerlich komplett abzusichern.
Das ist so, hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Aber wir sollten jetzt nicht vorschnell das Beispiel Hannover verallgemeinern. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Die Bundesliga wird am Wochenende spielen, und auch die Weihnachtsmärkte werden öffnen.
Kann künftig jeder durchgeknallte Spinner mit einer Bombendrohung die Absage des nächsten VfB-Spiels provozieren?
Schon in der Vergangenheit hat es vor Veranstaltungen Hinweise gegeben, die man als Bedrohung verstehen konnte, als Wichtigtuerei oder Trittbrettfahrerei. Und auch da war es nicht immer einfach, die Informationen sorgfältig abzuwägen, um dann eine Entscheidung zu treffen. Ich bitte um Vertrauen für diejenigen, die diese Abwägungen vorzunehmen haben. Ich kann versichern, dass da sehr verantwortungsvoll gehandelt wird.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière wollte partout nicht sagen, worin denn die Bedrohung beim Länderspiel in Hannover lag. Halten Sie das für vertrauensbildend?
Ich gehöre nicht zu denen, die den Bundesinnenminister für seine Entscheidung kritisieren. Seine Wortwahl kommentiere ich nicht. Vom Grundsatz her gilt: Wir nehmen ein erhöhtes Grundrauschen wahr. Alles, was wir lesen, was wir an Informationen auf diesen Kanälen erhalten, das nimmt ständig zu, weil der Islamische Staat – andere aber auch – die Propagandamaschine angeworfen hat. Aus all diesen Informationen einschließlich der direkten Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden entsteht ein Informationsgeflecht, auf dessen Grundlage wir Entscheidungen treffen müssen.
Wie steht es um die Sicherheit im Land?
Wir haben keine konkreten Hinweise auf Anschläge. Doch muss man wissen, dass der Islamische Staat Deutschland unverhohlen zum Ziel erklärt hat.
Wie viele Islamisten sind inzwischen in die Kampfgebiete ausgereist?
Den Sicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse über 50 Personen vor, die aus Baden-Württemberg in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind. Von fünf Personen wissen wir, dass sie dort umgekommen sind, und wir haben Erkenntnisse über rund 20 Rückkehrer. Diese Leute behalten wir natürlich besonders im Auge.
Welche zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen werden Sie ergreifen?
Wir werden dann die Sicherheitsvorkehrungen erhöhen, wenn wir entsprechende Erkenntnisse erlangen. Wir können aber nicht grundsätzlich mehr Polizei überall dorthin schicken, wo sich Menschen treffen. Terroristen, gar Selbstmordattentäter lassen sich auch nicht von Uniformen abschrecken, wir müssen sie gezielt ausspähen, bevor Menschen gefährdet werden oder es gar zu einem Anschlag kommt. Dass wir dabei nicht erfolglos waren, zeigt die Tatsache, dass wir Menschen identifizieren und dingfest machen konnten, die mit dem Islamischen Staat in Verbindung standen. Solche Erfolge fallen nicht vom Himmel. Ich trage meinen Teil dazu bei – etwa durch die flächenmäßige Verankerung des Staatsschutzes durch die Polizeireform oder durch das Antiterrorpaket vom Januar.
Als Innenminister ist die Situation für Sie wie gemalt, um mehr Personal und mehr Technik zu verlangen.
Wenn ich Populist wäre, würde ich genau so vorgehen. Aber das bin ich nicht. Ich habe den Auftrag, in den kommenden zwei Wochen zu prüfen, ob wir noch weiteren Verbesserungsbedarf haben. Das Ergebnis dieser Prüfung werde ich dem Kabinett vorlegen.
Die FDP hat mit Blick auf die Landtagswahl bereits 1000 zusätzliche Polizisten versprochen, die CDU legte nochmals 500 drauf.
Bei diesem Überbietungswettbewerb mache ich nicht mit. Übrigens waren es CDU und FDP, die zu Regierungszeiten die Polizei massiv geschwächt haben. Nicht nur, indem sie 1000 Stellen im Vollzug abbauten. Sie haben auch den Nichtvollzug geschwächt. Diese Verwaltungsarbeiten müssen dennoch erledigt werden, weshalb Polizisten am Schreibtisch sitzen, die wir dringender im Vollzugsdienst bräuchten. Das korrigiere ich jetzt mit 246 neuen Personalstellen in der Verwaltung. Wir werden von 2011 bis 2016 insgesamt 5600 Nachwuchskräfte bei der Polizei eingestellt haben. Das hat in einem solchen Zeitabschnitt noch keine Landesregierung vor uns geschafft.

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