Die einen sehen in der Außengastronomie eine Bereicherung, die anderen wollen sie beschränken. Bürgermeister Werner Wölfle will dagegen den Marktplatz nach dem Scholz-Aus mit einer mobilen Gastronomie aufwerten.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Der Kampf um die Stuttgarter Innenstadt ist in vollem Gange. Die einen möchten in der Innenstadt leben, aber am liebsten ohne Lärm. Die anderen wollen in der Innenstadt bis zum Umfallen feiern. Wieder andere möchten shoppen, bis die Tüten platzen. Dass man alle Interessen nicht ohne Probleme unter einen Hut bringen kann, zeigt sich am Thema Außengastronomie.

 

Die Rollen sind dabei scheinbar klar verteilt: Auf der einen Seite ein Bezirksbeirat Mitte, der sich in den Augen vieler als Spaßbremse geriert und am liebsten ab 23 Uhr wieder die Bürgersteige hochklappen würde. Auf der anderen Seite lauter rührige Gastronomen, die aus reiner Nächstenliebe ein verschlafenes Metropölchen wachgeküsst haben.

Ganz so einfach ist es aber nicht.

Shitstorm nach dem Wunsch nach einer 23-Uhr-Sperrzeit

Als die Stuttgarter Zeitung vor einer Woche über den Wunsch des Bezirksbeirats Mitte berichtete, die Sperrstunde für die Außengastronomie zu vereinheitlichen, setzte es einen Shitstorm in den sozialen Medien. Der Rat wünscht sich eine einheitliche Sperrstunde für die Außengastronomie: „Am Wochenende um 24 oder 1 Uhr und unter der Woche um 23 Uhr. Danach muss Schluss sein“, sagt Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne). Der Tenor der Aufregung im Netz: Stuttgart entwickelt sich kontinuierlich zurück in eine Provinzstadt. Kurz vor der Gemeinderatswahl haben die politischen Parteien Angst, dass ihnen das Thema um die Ohren fliegt. Der ein oder andere kreative Nachtschwärmer äußert sich im Netz enttäuscht über „seine“ Grünen, die er doch bei der letzten Gemeinderatswahl gewählt habe.

„Die Grünen sind nicht restriktiver als andere Parteien. Keine Partei wird in der Lage sein, alle Wünsche zu erfüllen, die es bezüglich der Stuttgarter Innenstadt gibt“, sagt Veronika Kienzle. „Nehmen Sie die CDU: Stefan Kaufmann reist aus Berlin an, um uns vorzuwerfen, dass in Stuttgart zu restriktiv entschieden werde. Das ist einfach“, sagt Veronika Kienzle über den schwarzen Bundestagsabgeordneten, der sich gerne als Retter der Stuttgarter Clubkultur stilisiert. „Wir sind es leid, auch aus der Verwaltung immer den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen nach dem Motto, der böse Bezirksbeirat sieht alles negativ. Stattdessen braucht es endlich eine einheitliche Regelung von Ordnungsbürgermeister Schairer, der sich zu zögerlich verhält“, sagt Veronika Kienzle. Vor der Gemeinderatwahl wolle sich aber eben keiner an dem Thema die Finger verbrennen.

Bezirksbeirat ein Rat der Verhinderer?

Die Replik aus der Verwaltung folgt prompt: Hermann Karpf, persönlicher Refernt von Bürgermeister Schairer, hält von einer pauschalen Regelung überhaupt nichts. „Jeder Einzelfall muss für sich geprüft werden. Wenn es keine Anwohner gibt, die sich beschweren, sind längere Öffnungszeiten doch überhaupt kein Problem.“ Überhaupt plädiert Karpf für mehr Fingerspitzengefühl in der Innenstadt-Debatte. „Der Bezirksbeirat sieht überall das Leben durcheinandergebracht. Es kann aber doch auch keiner wollen, dass wir jetzt wieder um 24 Uhr alle Bürgersteige hochklappen und zur Kehrwochenreinigung zurückkehren. Das wird dem Lebensgefühl in dieser Stadt nicht mehr gerecht“

In der Gastronomie-Szene wird der Bezirksbeirat Mitte hinter vorgehaltener Hand längst als Rat der Verhinderer bezeichnet. Offiziell will sich niemand negativ über Veronika Kienzle und ihr Gremium äußern, aus Angst, der nächste Antrag könnte noch weniger wohlwollend behandelt werden. Ob eine pauschale Sperrzeit von 23 Uhr im Bereich der Außengastronomie das Problem der feierfreudigen Jugendlichen im öffentlichen Raum lösen wird, bezweifeln die Gastronomen. „Stattdessen wird nur noch mehr Ausgehpublikum rund um den Eckensee oder auf dem Schlossplatz im Freien trinken, während sie bei uns zumindest unter Aufsichtfeiern“, sagt ein Gastronom, der zwei Lokale in der Innenstadt betreibt.

Lärmproblem dank Gastronomie, Baustellen und Verkehr

Veronika Kienzle kann die Kritik an ihrer Arbeit nicht verstehen. „Wir sind nicht die gastronomiefeindlichen Spaßbremsen, als die wir immer dargestellt werden.“ Gastronomie sei nur ein Teil des Problems einer Innenstadt, „die völlig übernutzt ist. Dank Gastronomie, Baustellen und Verkehr hat der Lärm längst die Toleranzgrenze überschritten.“ In Zusammenhang mit der Stuttgarter Innenstadt will Kienzle auch nicht nur von einem Gastronomie-, sondern von einem Immobilienproblem sprechen. „Die Mieten sind zu hoch. So entsteht der Druck auf die Gastronomen, am besten rund um die Uhr zu öffnen, um den hohen Pachtzins wieder einzuspielen.“

Das Stichwort hohe Pacht führt zu Carls Brauhaus am Schlossplatz. Die gestern neu eröffnete Gastronomie von Dinkelacker und der Enchilada-Gruppe würde am zentralen Platz der Stadt gerne bis 2 Uhr im Freien bewirten, um die in Gastronomie-Kreisen kolportierten 40 000 Euro Kaltmiete im Monat wieder hereinzuspielen. Die Stadt hat über den Antrag noch nicht entschieden, der Außenbereich mit seinen 190 Plätzen an der Stauffenberg- und in der Bolzstraße darf frühestens Mitte nächster Woche eröffnet werden.

Carls Brauhaus plant fast 200 Außenplätze am Schlossplatz

Am Brauhaus-Schriftzug an der Fassade des Gebäudes, durch den Teile des Landtags die Würde des Parlaments gefährdet sehen, liegt die noch nicht erteilte Genehmigung aber nicht. „Die Stadt prüft eben noch“, sagt Werner Wölfle, Bürgermeister für Krankenhäuser und Verwaltung (Grüne). Wölfle sieht das Thema Gastronomie entspannter als seine Parteifreundin Kienzle. Die Entwicklung rund um den Hans-im-Glück-Brunnen findet er zum Beispiel gut. „Das ist ein schöner, urbaner Ort geworden.“ Auf der anderen Seite könne er aber auch verstehen, dass Anwohner neben einer Kneipe den Lärm störend finden. „Am Ende geht es um die Frage, wie urban unsere Stadt sein soll. Meines Erachtens gehört es zu einer Stadt dazu, dass das Leben nicht um 23 Uhr endet.“ Wölfle warnt davor, die Debatte zum Wahlkampfthema zu machen. „Da gibt es sonst nur Schwarz oder Weiß und zu wenig bunt. Das wird Stuttgart nicht gerecht.“

Mit einem anderen Vorstoß dürfte Wölfle dagegen alle Parteien wahlkampfunabhängig hinter sich vereinen. Wölfle will den Marktplatz wiederbeleben und vor dem Rathaus die Lücke schließen, die das Ende des Café Scholz hinterlassen hat. „Die Fläche auf der Mitte des Marktplatzes ist prädestiniert für eine mobile Gastronomie“, sagt Wölfle. „Aus Sicht von Oberbürgermeister Fritz Kuhn und mir ist eine Bespielung der Fläche im öffentlichen Interesse.“ Kuhn und Wölfle stellen sich einen eingegrenzten Bereich vor, der vom Ratskeller aus bewirtet wird. „Die Grundvoraussetzungen sind gegeben, sowohl rechtlich als auch logistisch“, so Wölfle weiter. Nächste Woche folge die nächste Sitzung in der Sache. Gegen eine rasche Belebung dieses öffentlichen Raumes dürfte keiner etwas haben. Der Kampf um den Rest der Innenstadt ist dagegen noch nicht entschieden.