Das Land will auch minderjährige Asylbewerber erkennungsdienstlich behandeln. Dazu bitten Innen- und Sozialministerium jetzt die Jugendämter um Mithilfe. Der Wunsch nach einer Datennacherfassung rührt vom Sexualmord an einer Freiburger Studentin im vergangenen Herbst.

Stuttgart - Die Landesbehörden wissen offenbar noch immer nicht genau, wie viele minderjährige unbegleitete Ausländer – sogenannte UMA – über die Grenzen kamen und welche Vorgeschichte diese haben. Deshalb soll die Polizei nach Informationen unserer Zeitung eine Nacherfassung dieser Flüchtlingsgruppe in die Wege leiten und diese, falls erforderlich, auch erkennungsdienstlich behandeln. Innen- und Sozialministerium haben deshalb Ende Januar alle Jugendämter im Land angeschrieben und um die Übermittlung von Namen, Geburtsdaten und anderen Basisdaten der in ihrer Obhut befindlichen UMA gebeten. Zum Jahresende hatten die Kommunen im Land rund 8200 jugendliche Asylbewerber vermeldet.

 

Hintergrund der Aktion ist der Sexualmord an einer Freiburger Studentin vom vergangenen Herbst. Als Tatverdächtiger sitzt zurzeit ein junger Mann aus Afghanistan in Untersuchungshaft, der bei seiner Einreise Ende 2015 angegeben hatte, er sei 17 Jahre alt. Erst im Zusammenhang mit den Mordermittlungen war den Behörden aufgefallen, dass der Mann in Griechenland wegen eines schweren Gewaltdelikts bereits 2013 in Haft war, dann aber vorzeitig freigelassen wurde. Auch sein Alter erscheint zweifelhaft. CDU-Innenminister Thomas Strobl hatte daraufhin gefordert, dass jeder unbegleitete minderjährige Flüchtling „zwingend erkennungsdienstlich behandelt“ werden müsse.

Einmalige Nacherfassung der Daten

Ebendies soll jetzt geschehen. Zwar hat der Brief der Ministerien bei den Jugendämter anfangs Irritationen ausgelöst, zumal persönliche Daten nicht ohne Weiteres zwischen Behörden ausgetauscht werden dürfen. „Dem Ministerium für Soziales und Integration ist bewusst, dass allein die Leiterinnen und Leiter der Jugendämter vor Ort über die Herausgabe von Sozialdaten entscheiden“, heißt es in dem Brief, der unserer Zeitung vorliegt. Es sei dem Ministerium jedoch unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen „außerordentlich wichtig“, dass die Jugendämter das Innenministerium „bei der Aufgabenerfüllung tatkräftig unterstützen“. Nur wenn alle Beteiligten konstruktiv mitwirkten, könnten mögliche Erfassungslücken rasch geschlossen werden.

In einem weiteren Schreiben begründen die beiden Ministerien die „einmalige Datennacherfassung“ mit der „besonderen Lage, in der wir uns befinden“. Die Aktion sei juristisch nicht zu beanstanden. Bei den Kommunalverbänden stoßen sie damit offensichtlich auf Verständnis: „Die Bevölkerung erwartet zu Recht, dass wir wissen, wer aufgenommen wurde, da müssen wir nachfassen“, sagte das geschäftsführende Vorstandsmitglied des baden-württembergischen Städtetags, Gudrun Heute-Bluhm, dieser Zeitung. Auch im Sozialministerium rechtfertigt man die Aktion. Es sei wichtig, eine gute Betreuung der unbegleiteten Asylbewerber sicherzustellen und zugleich dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung zu tragen.

Die meisten aus Afghanistan

Nach behördlichen Angaben leben derzeit rund 64 000 unbegleitete Flüchtlinge in Deutschland. 12,9 Prozent von ihnen musste Baden-Württemberg aufnehmen. Die meisten der Zugänge stammten im vergangenen Jahr aus Afghanistan (34,7 Prozent), Eritrea (11,8), Somalia (10,6), Syrien (9,7) und Gambia (9,1). Mehr als 95 Prozent von ihnen sind männlich.

Nach Angaben der griechischen Behörden waren die Fingerabdrücke und Personalien des Freiburger Tatverdächtigen seit seiner Ankunft in Griechenland im Eurodac-System gespeichert. Die Bundespolizei hatte darauf aber offenbar keinen Zugriff.