Mal was anderes als Fischstäbchen und Putenschnitzel? Ein Insektenkochkurs bietet Risikofreudigen den besonderen Chitin-Kick. Der StZ-Autor Philipp Obergassner ist nicht davor zurück geschreckt.

Schwetzingen - Als Martin Dembowski die Mehlwürmer in der Fritteuse versenkt, heult ihr Chitinpanzer auf. Augenblicke später leert er die frittierten Insekten in eine Schale, greift mit drei Fingern ein paar triefende Exemplare heraus und steckt sie sich in den Mund. Sie sind knusprig, schmecken leicht nach Erdnussflips. „Die Schaben fand ich aber besser“, sagt der 15-Jährige. Martin nimmt zusammen mit seinem Vater an einem Insektenkochkurs in Schwetzingen teil – das Geburtstagsgeschenk vom Sohnemann an den Vater. „Ich hab das mal bei Galileo gesehen. Die zeigen ja ständig so Sachen wie ‚das ekligste Essen‘“, sagt Martin.

 

Den eigenen Ekel überwinden, etwas Neues ausprobieren, das wollen die elf Teilnehmer des Kochkurses. In anderen Kulturen stehen Maden, Raupen oder Heuschrecken täglich auf dem Speiseplan. Vor langer Zeit machte in Thailand die Not erfinderisch, als eine Heuschreckenplage die Reisernte vernichtete. Da kamen als Ersatz die Schwärmer auf den Teller. Seitdem sind dort Insekten das Essen der Armen. In Mexiko wiederum gelten Insekten seit vorspanischer Zeit als Delikatesse, und bei den Mayas wurden sie sogar als Medizin genutzt. Also alles andere als Ungeziefer.

„Die meisten sind freiwillig hier“

Europäern hingegen bereitet der Gedanke an einen Heuschreckensalat einen flauen Magen. Nur Experimentierfreudige wagen den Chitin-Kick. Aus Sicht von Barbara Grundler werden es aber immer mehr. Sie ist Inhaberin der Kochschule, die seit sechs Jahren Insektenkochkurse anbietet, früher einmal pro Monat, jetzt gibt es wegen zu vieler Anmeldungen aus dem ganzen Bundesgebiet zusätzliche Termine.

„Die meisten sind freiwillig hier“, sagt der Koch Nicolai Nefen und grinst, denn viele bekämen den Kochkurs als Gutschein geschenkt. So ist die Veranstaltung auch eher Mutprobe denn kulinarisches Erweckungserlebnis. Anbieter sind unter anderen Mydays und Jochen Schweizer, also Unternehmen, die Nervenkitzel und Abenteuer, beispielsweise Bungee-Jumping oder einen Fallschirmsprung, als Geschenkgutscheine verkaufen.

Vor ein paar Jahren noch seien die Gäste eher zurückhaltend gewesen, manche hätten dankbar den Reis gegessen, aber die Gemüse-Insekten-Mischung verschmäht, sagt Nefen. „Heute kommen die Leute an und fragen sofort, ob sie eine Heuschrecke essen können.“ Der Mietkoch führt an dem Abend durch das Menü: Flammkuchen mit Insekten, Chili-Spaghetti mit Mehlwurm-Topping, Wok-Gemüse mit Wüstenheuschrecken und Mittelmeergrillen und als Dessert mit Schokolade überzogene Heuschrecken an Kokos-Eis.

In Thailand gibt es Schaben an jeder Ecke

Erwin Geyer gehört zu der Sorte Gäste, die nur halb freiwillig hier sind. Er hat den Gutschein für den Kochkurs von seinen Arbeitskollegen geschenkt bekommen. Der 60-Jährige gilt als kulinarisch aufgeschlossen, „da fanden die das eine lustige Idee“, sagt Geyer. Und er hat nicht gekniffen, sondern ist von Nürnberg nach Schwetzingen gefahren, um jetzt zum ersten Mal in seinem Leben Insekten zu probieren. Geschmacklich fürchtet er nichts, nur was die Ästhetik von Mehlwürmern auf Spaghetti angeht, ist er skeptisch, als der Koch Nefen ihm sagt, dass Garnelen im Grunde auch ekelhaft aussähen. „So eine Heuschrecke im Schokomantel sieht doch viel besser aus“, schwärmt Nefen. Man müsse sich eben nur ein bisschen überwinden. Aber das müssten Chinesen bei Gorgonzola auch. Erwin Geyer stimmt ihm zu, aber ganz überzeugt sieht er nicht aus.

Die einzige Frau an diesem Abend kommt aus Mainz. Tamara Schwäch hat den ersten kulinarischen Kontakt mit Insekten schon hinter sich. Während eines Thailand-Urlaubs entdeckte sie die Krabbler zusammen mit ihrem Freund Manfred Welt. „In den Straßen dort gab es überall Schüsseln voll mit Schaben“, sagt Schwäch. Welt ergänzt: „Als wir die dann essen wollten, haben die Thais uns ganz komisch angeschaut.“ Warum reiche Europäer sich für ihr Armen-Essen interessieren, war ihnen schleierhaft.

Die ersten Insekten-Restaurants gibt es in Berlin und Frankfurt

Als Nischenprodukt haben es Insekten längst nach Europa geschafft: In Berlin und in Frankfurt am Main gibt es die beiden ersten deutschen Insekten-Restaurants. Internetshops bieten Lollis mit Heuschrecken, eingeschlossen wie in Bernstein, Mehlwürmer mit Barbecue-Geschmack oder Schoko-Taler mit Ameisen – vieles davon ist vergriffen. Die Insekten fürs Kochen wiederum werden lebend geliefert und dann eingefroren. Doch Heuschrecken, Schaben und Co. werden sich hierzulande wohl kaum als Trendessen durchsetzen, so wie es der rohe Fisch im Sushi vor dreißig Jahren tat. Dazu ist der Ekelfaktor zu groß. Da hilft auch nicht, dass die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen mit dem Hinweis auf 870 Millionen Hungernden fordert, Insekten als günstigen und proteinreichen Fleischersatz zu essen.

Immer fleißig mit dem Handy fotografieren

Bevor es ans Kochen geht, sollen die Teilnehmer ihre Beißhemmung gegenüber Insekten abbauen. Also werden alle Tierchen, die heute auf dem Speiseplan stehen, von Martin kurz in der Fritteuse versenkt. Das Highlight ist die Argentinische Waldschabe. Hierzulande bekommen normalerweise nur Mäuse oder Reptilien diese einfach zu züchtende Schabe vorgesetzt. Aber frittiert und mit ein bisschen Salz, Pfeffer und Chili gewürzt, schmecken die Krabbler gar nicht mal so übel. Im siedenden Fett bläht der Panzer der platten Tierchen sich auf, so dass sie außen knusprig und innen hohl werden. Der Geschmack ist fleischig, das Beißgefühl erinnert an Popcorn – inklusive der Reste, die immer zwischen den Zähnen hängen bleiben. Für den Frittiermeister Martin sind die Schaben der klare Favorit. „Mein ganzes Handy ist voll mit Fotos“, sagt er. Auch die anderen Teilnehmer knipsen vor dem Knabbern.

Wer schon alles was und wo gegessen hat

So ungewohnt die Krabbler auf dem Teller auch erscheinen, ihr Geschmack wirkt vertraut: Erdnussflips, eine Nuance Harzer Käse oder generell ein nussiges Aroma – „es ist kein Geschmack dabei, den ihr nicht kennt“, sagt Nefen. Und wenn es doch mal zu insektig schmeckt, wirkt eine Prise Salz Wunder. Doch niemand lässt sich durch den Kochkurs zum regelmäßigen Insektenverzehr bekehren. „Viele haken das einfach auf ihrer Liste ab“, das gibt Nefen offen zu.

So gehen auch die Gespräche bei Tisch vor allem darum, wer schon welche kulinarische Skurrilitäten verputzt hat: Hühnerfüße, Krokodilfleisch, Haifischflossen, Vogelnestsuppe oder Vogelspinne. Auch Manfred Welt und Tamara Schwäch werden in Zukunft von Insekten in der Pfanne Abstand nehmen. „Dafür war es mir zu wenig abwechslungsreich“, gesteht Welt. Die frittierte Schabe soll es aber trotzdem noch mal geben: „Als Partygag zu Halloween kommt das sicher gut.“

Der umweltbewusste Snack

Es gibt eine Million bekannte Insektenspezies. Davon gegessen werden laut der Welternährungsorganisation FAO etwa 1900 Arten. Bis jetzt stehen bei geschätzt zwei Milliarden Menschen Insekten auf dem Speiseplan, vor allem in Asien und Afrika. Für die FAO nicht genug, denn Insekten könnten dazu beitragen, die Weltbevölkerung – im Jahr 2050 werden es neun Milliarden Menschen sein – besser zu ernähren.

Insekten sind ein proteinhaltiger und günstiger Fleischersatz. Da sie Kaltblüter sind, verbrauchen sie die Energie des Futters nicht für ihre Körpertemperatur.Aus zwei Kilogramm Futter lässt sich so ein Kilogramm Insektenfleisch gewinnen. Für ein Kilo Rindfleisch braucht man dagegen mindestens die vierfache Menge an Nahrung. Außerdem sind viele Insekten reich an Vitaminen und Aminosäuren.

Insekten erzeugen im Vergleich mit anderem Mastvieh nur einen Bruchteil der Emissionen wie Methan, Ammoniak, Treibhausgase und Dung. Zudem taugen Insekten als Abfallverwerter. Dass unser Essen mit Gülle und Küchenabfällen gefüttert werden soll, ist gewöhnungsbedürftig. Eine Übertragung von Insektenkrankheiten auf den Menschen halten Wissenschaftler aber für unwahrscheinlich.