Bei der Pflege alter Menschen findet ein interreligiöser Dialog statt. Interkulturelle Kompetenz ist auch in Betrieben ohne globale Aktivitäten gefragt.

Stuttgart - 'Mitarbeitern mit geringen Deutschkenntnissen pflegerelevante Sachverhalte zu vermitteln, braucht viel Zeit und Geduld', sagt Rosemarie Amos-Ziegler. Die 52-Jährige ist Inhaberin der Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS), die in Filderstadt mit knapp 200 Mitarbeitern 134 Pflegebedürftige in drei Häusern versorgt. Mehr als ein Viertel der Belegschaft haben keine deutschen Wurzeln. Diese Mitarbeiter kommen aus 21 Nationen von fast allen Kontinenten. Gerade deshalb finden an Arbeitsplätzen wie diesen wahre Toleranz und Verständigung statt. Schließlich müssen die einzelnen Teams auf den Stationen und in drei Schichten Hand in Hand ein Gesamtergebnis abliefern. Deshalb schaut Amos-Ziegler nicht auf Hautfarbe oder Pass, sondern auf den Charakter. Allerdings hat die Chefin beobachtet: 'Gerade bei ausländischen Mitarbeitern sind Freundlichkeit, Fleiß und Respekt vor dem Alter häufig stärker ausgeprägt als bei Einheimischen.'

 

Doch solche Klischees haben Vor- wie Nachteile. So hätten insbesondere schwarzafrikanische Mitarbeiterinnen immer wieder Probleme, Vorgesetzten oder Angehörigen ihrer Klienten in die Augen zu schauen. Das löst im mindesten Fall Irritationen aus, weil es als Unsicherheit ausgelegt wird, und sorgt für Kommunikationsbedarf mit allen Beteiligten. 'Die jungen Frauen sagen uns immer wieder, dass es in ihrer Kultur als respektlos gilt, Höhergestellte direkt anzuschauen', sagt eine Stationsleiterin. Immer wieder nimmt sie dann junge Kolleginnen zur Seite und vermittelt ihnen, dass es hierzulande geradezu umgekehrt ist. Solche Gespräche erwiesen sich für beide Seiten oder gar das gesamte Team als sehr lehrreich, weil sie den Horizont weiteten. Doch nicht immer gelingt dieser kulturelle Austausch, insbesondere wenn die Zielgruppe muslimische Männer sind. Das bestätigen der Münchner Gebäudereiniger Markus Wasserle mit 170 Beschäftigten und Ostalb-Bäcker Hans-Günther Mack mit 100 Leuten in der Produktion.

Es geht um Wertschätzung und Zuwendung

'Die können keine Anweisungen von Frauen entgegennehmen und kommen mit Kritik generell nur schwer zurecht', sagt Mack, weshalb er solche Teams nur von erfahrenen Männern führen lässt. Und der Gebäudereiniger ergänzt: 'Meine rein irakischen oder iranischen Fassadenreiniger-Teams erzielen die besten Ergebnisse, weil da die interne Hierarchie unangefochten ist.' 'Letztlich muss passieren, womit unsere Kultur vertraut ist', gibt Amos-Ziegler die Richtung in ihrem Pflegeheim vor. Migranten haben dann Wochen oder auch Monate Zeit, sich mit den westlichen Gepflogenheiten im Sinne der Kundenorientierung vertraut zu machen. Dabei geht es um Wertschätzung, Zuwendung, letztlich das jeweilige Menschenbild. An der Gesamteinstellung der Migranten - also Engagement und Lernwilligkeit - erkennten die Führungskräfte schnell, wer auch kulturell willig ist. Dass dies gelingt, dafür hat die WGfS viele Mut machende Beispiele. Mit Joseph Omanga etwa hat sie einen Kongolesen in der Heimleitung, der in Personalunion die Demenzstation leitet, ein Pflegestudium und etliche Zusatzqualifikationen absolviert hat. Wie aus seinem privaten Umfeld immer wieder Schwarzafrikaner für ein Praktikum, eine Pflegeausbildung oder einen Helferjob anfragen, sind es in anderen Fällen Polinnen oder Philippinerinnen, die über hier bereits beschäftigte Freundinnen oder Verwandte dazukommen. Mit diesen Bewerberinnen hat die WGfS beste Erfahrungen. Bei Gebäudereiniger Wasserle, wo Araber weitere Landsleute empfehlen, ist es ebenso.

'Wer über diese Schiene kommt, hat oft schon über Monate oder Jahre aus erster Hand davon gehört, wie es bei uns zugeht, was erwartet wird und was man selbst erwarten darf', sagt Amos-Ziegler, deren erste ausländische Mitarbeiterin 1991 eine philippinische Krankenschwester war, die sich als Minijobberin in der Altenpflege etwas hinzuverdiente. Sprachdefizite sind nur bedingt ein Problem. Zu Beginn kommen Neue in der Pflege mit einem kleinen Vokabular zurecht, das meist in der täglichen Praxis am Arbeitsplatz schnell wächst. Zudem stehen für nahezu alle Sprachen dolmetschende Kollegen zur Verfügung, und weil die Heimleitung Deutschkurse bezahlt, besuchen ständig drei bis fünf Mitarbeiter an ihrem jeweiligen Wohnort meist bei der Volkshochschule entsprechende Angebote. Auch die Ausbildung, die zur Hälfte aus Schulunterricht besteht, trägt viel zum interkulturellen Dialog bei. Dort geht es etwa um Sterbebegleitung, die in allen Kulturen und Religionen verankert ist. Hier können sich Migranten mit ihren Traditionen einbringen und erfahren zugleich viel über abendländisch-christlich geprägte Rituale hierzulande. 'Unsere Mitarbeiterinnen tragen auch viel in ihre Herkunftsfamilien hinein, was sie bei der Arbeit erleben und was dann dort intensiv diskutiert wird', so Amos-Ziegler.

Das reicht von Gleichberechtigung von Mann und Frau über Meinungsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung bis hin zu vielen weiteren rechtsstaatlichen Prinzipien, die muslimisch sozialisierte Mitarbeiter teils auf den ersten und zweiten Blick in ihrer Ethik nicht verstehen oder gar ablehnen. Dass bei Bäcker, Gebäudereiniger und Pflegeheim weder politische noch religiöse Konflikte, die in den Herkunftsländern der Mitarbeiter teils zu Gewalt und Spaltung führen, auf die Teams durchschlagen, ist für die Führungskräfte ein Indiz, dass sich die Mitarbeiter menschlich und nicht ideologisch begegnen. Allerdings müssen auch die Arbeitgeber Regeln beachten: So sei es fast keinem muslimisch geprägten Mann möglich, Anweisungen von einer vorgesetzten Frau entgegenzunehmen. Besonders bei türkischen Jungen scheitert deshalb immer wieder eine Ausbildung an solchen maskulin geprägten Vorstellungen. Doch Mack, Wasserle oder Ziegler, die an behördlichen Migrationsprojekten wie 'Liwing' (Leben in Würde - Integration nachhaltig gestalten) zur Berufsfindung für benachteiligte Jugendliche teilnehmen, geben nicht auf.