Vor allem beim religiösen Unterricht geht Hamburg ganz eigene Wege. Im Gegenzug grenzen sich Muslime und Aleviten durch ein Bekenntnis zur freiheitlichen Grundordnung von extremistischen Gruppen ab.

Stuttgart - Schon bei der Vorstellung des Hamburger Religionsvertrages gingen die Einschätzungen weit auseinander: Einerseits war von „historischer Bedeutung“ die Rede, andererseits von „deklaratorischem Charakter“. Tatsächlich haben beide Einschätzungen ihre Berechtigung.

 

Die Vertragsentwürfe, an denen auf Initiative des damaligen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) seit 2007 gearbeitet worden ist, regeln die Glaubensfreiheit von Muslimen und Aleviten, die Rechtsstellung ihrer Gemeinden und Verbände sowie Feiertage und Religionsunterricht. Ähnliche Verträge gibt es bereits seit 2005 mit der evangelischen und der katholischen Kirche sowie seit 2007 mit der jüdischen Gemeinde. Die drei beteiligten muslimischen Verbände repräsentieren nach eigenen Angaben mehr als 90 Prozent der 130 000 Muslime in Hamburg. Hinzu kommen etwa 50 000 Aleviten.

„Die Verträge schaffen unabhängig von bereits bestehendem Recht Klarheit in verschiedenen Bereichen des religiösen Zusammenlebens“, heißt es in einer Erklärung der Senatskanzlei. Konkret sichern sie Muslimen und Aleviten Religionsfreiheit zu. Beide Glaubensgemeinschaften bekennen sich darin zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, um sich von extremistischen islamischen Gruppierungen abzugrenzen.

Keine Gleichstellung mit den Kirchen

Zugleich werden islamische Verbände als Religionsgemeinschaften eingeordnet, was allerdings keine Gleichstellung mit den Kirchen bedeutet, die öffentlich-rechtliche Körperschaften sind. Diese Gleichstellung hätte zur Konsequenz gehabt, dass die Verbände auch Kirchen- und Kultussteuern hätten erheben können. Allerdings wurde diese Frage der Gleichstellung bei der Verhandlung der Vertragsentwürfe ausgeklammert. Auch Regelungen über finanzielle Förderungen enthält der Vertrag nicht.

Es ist nicht die einzige Frage, die der Vertrag ausklammert. Auf die Fragen nach islamischen Kitas, ob muslimische Kinder am schulischen Schwimmunterricht teilnehmen müssen oder ob Lehrerinnen künftig in der Schule ein Kopftuch tragen dürfen, gibt er keine neuen Antworten.

Dafür sollen die drei höchsten islamischen und alevitischen Feiertage künftig den Status kirchlicher Feiertage erhalten, vergleichbar mit dem Buß- und Bettag. So können Gläubige sich an jeweils drei Feiertagen freinehmen, müssen dafür allerdings Urlaub beantragen oder nacharbeiten. Schüler dürfen sich vom Unterricht befreien lassen. Dies ist eine der wenigen Regelungen, die eine rechtliche Änderung darstellen und nicht nur bereits bestehende Gesetze bestätigen.

Katholische Kirche bleibt außen vor

Eine wesentliche Änderung gibt es allerdings auch beim Religionsunterricht: Künftig sollen Muslime und Aleviten stärker als bisher am „Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung“ beteiligt werden. Das Modell wurde bereits in den 90er Jahren entwickelt und folgt der Idee, dass evangelische Christen, Muslime, Aleviten, Juden und Buddhisten am besten im gemeinsamen Klassenverband etwas über ihre jeweilige Religion und die ihrer Mitschüler lernen.

Diese Form des Religionsunterrichtes wird in Hamburg bereits seit Jahren praktiziert, bisher unterrichten allerdings nur Religionslehrer mit evangelischer Lehrerlaubnis. Das soll sich mit dem neuen Staatsvertrag ändern: In einer fünfjährigen Entwicklungsphase soll das Unterrichtsmodell mit gleichberechtigter Beteiligung von Muslimen und Aleviten weiterentwickelt werden. Künftig sollen dann auch Muslime und Aleviten, die das zweite Staatsexamen haben, den Religionsunterricht geben dürfen. „Es handelt sich um ein ambitioniertes Projekt. Die Erhaltung des bewährten Religionsunterrichtes für alle unter den Bedingungen auch in religiöser Hinsicht zunehmend vielfältigen Gesellschaft ist aber für das wechselseitige Verständnis alle Mühe wert“, sagte Olaf Scholz (SPD), Hamburgs Erster Bürgermeister, bei der Vorstellung der Vertragsentwürfe.

Die katholische Kirche will beim Religionsunterricht allerdings außen vor bleiben. In einer Erklärung machten das Erzbistum Hamburg und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland deutlich, ihren konfessionellen Religionsunterricht beibehalten zu wollen. Allerdings begrüßten auch sie die Verträge.

Signal an die Landesregierungen

„Wenn auch viele Regelungen der beiden Verträge lediglich das geltende Recht wiederholen“, sagte Scholz, „so wollen wir den islamischen und alevitischen Gemeinden mit der Bestätigung ihrer Rechte und Pflichten den Platz in der Mitte unserer Gesellschaft einräumen. Hierfür ist der Vertrag ein deutliches Signal.“

Das Signal geht auch an andere Landesregierungen: Schließlich ist Hamburg das erste Bundesland, das die Rechte und Pflichten von Muslimen und Aleviten vertraglich festhält. Nicht nur deswegen macht sich unter den Vertretern der religiösen Gemeinschaften Hoffnung breit: „Der Vertrag ist für uns als Zeichen einer ausdrücklichen und positiv gewollten Anerkennung der Muslime in Hamburg von historischer Bedeutung“, sagte Zekeriya Altug von Ditib Hamburg. Daniel Abdin von Schura ergänzte: „Mit diesem Staatsvertrag kann Hamburg ein Signal auch für andere Bundesländer geben.“

Der Hamburger Senat muss als Nächstes über die Verträge beschließen, dann wird er unterzeichnet. Die Zustimmung der Bürgerschaft gilt als sicher. Schließlich haben in den letzten drei Legislaturperioden fast alle Parteien an den Verträgen mitgearbeitet. Lediglich die liberale FDP-Fraktion bezeichnete die vertragliche Regelung als „unnötig“. Doch aller Voraussicht nach dürfte der Staatsvertrag noch in diesem Jahr in Kraft treten.